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21.01.12 / Alltag mit Bombenalarm / Eindrucksvolle Zeugenberichte aus der Hauptstadt im Krieg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-07 vom 21. Januar 2012

Alltag mit Bombenalarm
Eindrucksvolle Zeugenberichte aus der Hauptstadt im Krieg

Wenn auch nur ein feindliches Flugzeug unser Reichsgebiet überfliegt, will ich Meier heißen!“, soll laut Berliner Volksmund der Oberbefehlshaber der Luftwaffe Hermann Göring in einer Rundfunkrede bei Kriegsanfang versprochen haben.

Obwohl das Zitat nirgends belegt ist, hat die Geschichte dieses Versprechen als falsch enttarnt. Nirgendwo in Europa dauerte der erlebte Krieg länger als in Berlin, das mit der Kriegserklärung an Polen am 1. September zum Ausgangspunkt des Zweiten Weltkriegs wurde. Nachdem 1940 erstmals britische Luftstreitkräfte die Stadt bombardiert hatten, begannen im Herbst 1943 anglo-amerikanische Streitkräfte mit großräumigen Flächenbombardements. Bis zum Kriegsende wurden rund eine Million Einwohner evakuiert. Zehntausende starben.

In seinem Buch „Berlin im Krieg. Eine Generation erinnert sich“ betrachtet der Journalist Sven Felix Kellerhoff den Kriegsalltag aus einer bisher wenig beachteten Perspektive: aus derjenigen der Berliner Zivilbevölkerung. Die Zeit zwischen 1939 und 1945 war für sie geprägt durch Fliegeralarm und Lebensmittelrationierung, Zerstörung und Tod, Judenverfolgung und Zwangsarbeit sowie durch den Terror von Wehrmacht und SS.

„Dicht an dicht standen die Menschen, und unter dem gewaltigen Luftdruck der Bomben schwankte der Bunker wie ein Schiff auf dem Meer. Alle Menschen fürchteten sich sehr, und sogar die im Bunker anwesenden Soldaten sagten, dass sie lieber an der Front wären, als hier hilflos ausgeliefert zu sein“, schildert eine Zeitzeugin bildlich ihre Angst angesichts der Bombardements. Rückblickend auf eine Evakuierung in einem Luftschutzkeller am Kurfürstendamm und das anschließende Wettrennen mit ihrer Nachbarin nach Hause notiert eine Exilrussin ironisch in ihr Tagebuch: „In Krisenzeiten zeigen sich die Berliner von ihrer besten Seite und können sehr komisch sein.“

Vor allem Frauen und noch im 19. Jahrhundert Geborene kommen bei Kellerhoff – teils posthum – zu Wort, weil die meisten Männer an der Front und viele Kinder evakuiert worden waren. Tausende Berliner Kinder wurden in Pflegefamilien oder Landschulheimen in den preußischen Provinzen Posen und Ostpreußen sowie im Warte-gau, dem von Deutschland annektierten Westteil des eroberten Polens, untergebracht.

Der Autor enthüllt, dass die Eltern die sogenannte erweiterte Kinderlandverschickung keineswegs als „Angebot für eine verbesserte Sicherheit ihrer Kinder verstanden ..., sondern als Vorsorge für noch härtere Luftangriffe, vielleicht sogar mit Giftgas“.

Propagandaminister Joseph Goebbels tobte angesichts solcher Spekulationen: „Wieder Gerüchte in Berlin betreffend Gasangriffe und Kinderevakuierung. Ich trete aber jetzt ganz energisch dagegen auf und lasse die Gerüchtefabrikanten einsperren.“

Eindrucksvoll zeigt der Journalist anhand authentischer Berichte, wie die Berliner trotz Güterknappheit und ständiger Gefahr familiäre Traditionen aufrechterhielten.

Eine jüdische Zeitzeugin schreibt über den Weihnachtsabend 1940 in ihr Haushaltsbuch: „Für die Dauer von einigen Stunden vergessen sie alle womöglich, in welcher Lage sie sind. Sie reden, genießen das Essen, sind glücklich, zusammen zu sein, musizieren vielleicht auch ein wenig, Die Scheiben spiegeln den Kerzenschein, während draußen der Schnee in dichten Flocken herabfällt und alles ganz friedlich erscheint.“

Doch der Schein trog und bereits eine Woche später hielten die Leute Flugblätter englischer Autoren in der Hand, auf denen es hieß: „Prosit 1941! Das neue Jahr beginnt, und der Krieg geht weiter …!“ Noch vier Jahre sollten bis zum Einmarsch der Roten Armee und der letzten „Schlacht um Berlin“ vergehen, die mit dem Selbstmord Hitlers, der Einstellung aller deutschen Kampfhandlungen und der Kapitulation Deutschlands im Kasinosaal einer Wehrmachtskaserne in Karlshorst am 8. Mai 1945 endete. Mit seiner umfassenden Gesamtdarstellung über den Kriegsalltag in der Hauptstadt und zahlreichen Abbildungen macht Kellerhoff ein wichtiges Stück Zeitgeschichte auch für Nachgeborene lebendig. Sophia E. Gerber

Sven Felix Kellerhoff: „Berlin im Krieg. Eine Generation erinnert sich“, Quadriga Verlag, Berlin 2011, 382 Seiten, 19,99 Euro.


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