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21.01.12 / Matschwetter schlecht für Forstbetrieb / Romantik, das war einmal: Auf Rundgang im Nutzwald Colditz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-07 vom 21. Januar 2012

Matschwetter schlecht für Forstbetrieb
Romantik, das war einmal: Auf Rundgang im Nutzwald Colditz

„Es treibt der Wind im Winterwalde / die Flockenherde wie ein Hirt“... , dichtete Rilke. Nass, kalt und matschig hingegen war es zu Jahresbeginn im Colditzer Forst im Landkreis Leipzig. Die PAZ schaute Försterin Barbara Kotsch­mar auf ihrer winterlichen Inspektionstour über die Schulter.

Und auf einmal wird der Wald doch noch weiß. Und das, obwohl es hier noch keine einzige Schneeflocke in diesem Winter geschneit hat. Die Försterin stoppt ihren Jeep mit dem Mul­dentaler Kennzeichen MTL. Fast noch beim Bremsen springt die Tür auf, schon steht sie auf dem Waldweg. Jetzt, im Winter, da die Randbäume ihres Laubes entkleidet sind, kann man die teils glattweißen oder grauschwarzweißen Stämme weiter drinnen gut erblicken.

„Dies ist ein geschlossener Birkenwald, in dem noch bis 1996 Birkensaft gezapft wurde“, sagt sie. Was beinahe unglaublich klingt, erklärt sie sodann an einem kapitalen Birkenstamm. „Ungefähr in dieser Höhe“ – sie zeigt 40, 50 Zentimeter über dem Erdboden an – „hat man im März, April pro Stamm zwei bis drei fünf Zentimeter tiefe Löcher gebohrt. Ein hineingestecktes Metallröhrchen diente dem Abfluss. Der Saft, etwa zwei Liter pro Baum und Tag, tropfte in darunter gestellte Gläser. Abends wurde der Saft von Forstarbeitern in großen Kannen gesammelt.“ Bei 4000 angezapften Bäumen ergab das pro Jahr etwa 80000 Liter, die zur Weiterverarbeitung in der Kosmetikindustrie landeten.

„Die Löcher haben wir nach der zweiwöchigen Erntezeit wieder verpfropft. Den Bäumen schadet das nicht.“ Einen Moment lang steht Barbara Kotschmar wie gedankenverloren, als sei dies eine Besinnung auf eine für immer versunkene Waldwelt, im feinen Regen am Weges­rand. Tropfenbehangen und traurig neigen sich vergehender Fingerhut, Rainfarn und Weidenrös­chen im braunen Einheitsfarbton zur Erde.

Dann stützt sich die Försterin kurz am Wagen ab und klopft ihre Schnürstiefel aneinander, damit die Matsch- und Schlammklumpen abfallen. „Kein gutes Wetter für den Forstbetrieb“, sagt sie, steigt ein und fährt weiter. Plötzlich eine Vollbremsung. „Das ist ja der Gipfel“, poltert sie plötzlich los. Springt erneut aus dem Wagen, nimmt das Dilemma in Augenschein. Einer Douglasie, vor einigen Jahren angepflanzt, fehlt das obere Drittel. Es wurde abgesägt. „Da wollte einer einen Weihnachtsbaum klauen.“ Und ließ die Spitze dennoch liegen. „Wie arm muss so ein Mensch sein?“, fragt sie sich. Und meint nicht nur die Armut im Geldbeutel. Auch solch traurige Ergebnisse gehören zur winterlichen Inspektionstour eines Försters. Oder besser, einer Försterin.

Knapp ein Fünftel der damaligen Försterabsolventen in der DDR waren weiblichen Geschlechts. Seit dem 1. Januar 1985 leitet Barbara Kotschmar das Revier 05 des Staatsbetriebes Sachsenforst, das zum Forstbetrieb Leipzig gehört und 1600 Hektar umfasst. Schon ihr Vater hatte dem geschichts­trächtigen Colditzer Forst als forstlicher Leiter vorgestanden.

Der Colditzer Forst ist ein Rest des Urwaldes „Miriquidi“, was germanisch „dunkler Wald“ bedeutete. Einst hatte er sich geschlossen von den Anhöhen des Erzgebirges bis in das nördliche sächsische Flachland er­streckt. Der wohl bedeutendste deutsche Forstwissenschaftler, Johann Heinrich Cotta (1763–1844), hatte diesen Wald in 40-jähriger Aufforstung ab 1822 von einem als Weide genutzten Wald in einen forstwirtschaftlichen Nutzbetrieb umgewandelt. Berühmt geworden ist der Forst vor allem dank seines durchgängigen Schemas als „Gitterwald“: Wie auf dem Schachbrett verlaufen „Schneisen“ von Nord nach Süd und „Flügel“ von Ost nach West. Der Waldraum dazwischen hieß einst, wie in Ostpreußen auch, „Jagen“; das Wort wird, obwohl mittlerweile der Begriff „Abteilung“ dominiert, teilweise auch heute noch gebraucht.

Försterin Kotschmar fährt eine Schneise entlang. Immer wieder bremst sie vor tiefen, mit Wasser vollgefüllten Schlaglöchern ab. In der Hundebox hinten im Wagen räkelt sich „Dark“. Der vierjährige Jack-Russel-Terrier sollte eigentlich ein Jagdhund werden, ist aber eher zu einem Stromer und Ausreißer geworden: „Zwei Mal haben wir ihn schon aus dem Tierheim holen müssen.“

Plötzlich leuchtet rechter Hand aus dem Fichtendunkel, in etwa 200 Metern Entfernung, ein Punkt Signalorange auf: „Das sind zwei unserer drei festen Waldarbeiter. Sie kontrollieren im Winter Drahtschutzzäune nach Zerstörung durch Wildschweine. Rehe nutzen den Durchschlupf und verbeißen vor allem junge Eichen. Eichen lieben diese Feinschmecker besonders. Ein einziges Reh kann durch Verbiss eine gesamte Jungpflanzung zerstören.“ Dass die Waldarbeiter leuchtende Orangewesten tragen, gehöre zum Sicherheitsstandard. „Da hat sich Gott sei Dank viel getan in den vergangenen Jahren. Sie tragen auch Gitterschutzhosen gegen Schnitte mit der Motorsäge und haben einen Funkknopf für den Notruf im Ohr.

Neben Zaunkontrollen reinigen die Waldarbeiter auch gleich die jetzt leeren Nistkästen. Zudem kontrollieren sie an öffentlichen Waldstraßen, welche Bäume infolge Alters oder Krankheit gefällt werden müssen.

Ein paar Hundert Meter weiter beginnt sich der Wald zu lichten. Weniger wegen seines natürlichen Wuchses, sondern weil Forstarbeiter Peter auf seinem „Harvester“ saubere Arbeit geleistet hat: Ein stolzer Fichtenhochwald, der vor kurzem noch Wind und Wetter trotzte, liegt nun, geordnet nach Stämmen und Reisig, zerlegt an der Rückestraße.

Harvester sind Vollerntemaschinen: Sie fällen Bäume, rücken und entkronen sie, entrinden die Stämme und schichten sie schließlich zum Abtransport auf.

Doch es ist gut möglich, ja wahrscheinlich, dass Peter schon in dieser Woche die Arbeit einstellen muss. Er spricht das Dilemma offen an: „Ganz schön weich und tief der Boden.“ Der Dauerregen der vergangenen Tage hat den Waldboden morastig und tief gemacht. Die tonnenschweren Vollernter sinken derart ein, dass die Forstleute von „Weichen“ auf den Rückewegen sprechen. Da hilft selbst das aufgeschichtete Reisig nicht, obwohl das recht gut abfedert.

Der Druck der Maschinen auf das Erdreich des Waldes ist folgenschwer. Sie verdichten den wertvollen Boden derart, dass Wurzel- und Feinwurzelwerk mitsamt ihrer komplexen Tier- und Pflanzenwelt bis ins Kleinste zerstört werden. „Ich fürchte, jetzt ist Feierabend für die Erntemaschinen“, meint die Försterin bei der Weiterfahrt.

Damit käme der Einschlag zum Stillstand. Obwohl es Arbeit genug gäbe für die Harvester. Kotsch­mar stoppt vor einem ausgewachsenen Fichtenhochwald, zwei Hektar groß. Diese Fichtenkultur ist ein Erbe der Cotta’schen Großaufforstung ab 1822. Doch damit geht es nun zu Ende: Die Markierungen für die Rückegassen sind in leuchtendem Hellblau bereits angezeichnet. „Dieser Abschnitt wird komplett fallen und durch Laubmischwald wieder aufgeforstet. Das Ende der Monokultur ist ein großes Programm des aktuellen Waldplanes“, sagt sie. Und die Fichtenkreuzschnäbel, die im März zu brüten beginnen? „Die weichen in einen anderen Fichtenbestand aus, das ist ganz normal“, so die Försterin.

Zurück am Forstamt, freut sich Barbara Kotschmar, dass sie endlich ihre nasse Jacke und ihre dreckigen Schuhe ausziehen und zurück in ihre gute warme Forststube kann.

Heinz-Wilhelm Bertram


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