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21.01.12 / Leicht beeinflussbar / Selbstbestimmung? Von wegen!

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-07 vom 21. Januar 2012

Leicht beeinflussbar
Selbstbestimmung? Von wegen!

Der Phi-losoph René Descartes hielt große Stücke auf die Vernunft. Mit seinem berühmten Ausspruch „Ich denke, also bin ich“ erhob er die Rationalität zum Fundament der menschlichen Existenz. Das Gegenteil sei der Fall, meinen die Autoren des Buches „Ich denke, also spinn ich“. Jochen Mai und Daniel Rettig halten unsere Entscheidungen und unser Handeln häufig für irrational und beeinflussbar. In der Regel wüssten wir gar nicht, wodurch wir beeinflusst werden. Die beiden Redakteure der „Wirtschaftswoche“ stehen eher auf der Seite von Sigmund Freud, dem Vater der Psychoanalyse: Nur wenn wir uns etwas Unbewusstes bewusst machen, haben wir eine gewisse Chance, uns rationaler zu verhalten. In allen Bereichen räumen die Autoren mit dem Mythos der völligen Selbstbestimmung auf und enthüllen verblüffende psychologische Phänomene, die unser Leben bestimmen.

Beispiel Arbeit und Beruf: Innerhalb eines Unternehmens gelte die Maxime „Konkurrenz belebt das Geschäft“ nicht. Nach dem sogenannten Superstar-Effekt beeinflusse allein die Anwesenheit eines Ausnahmetalents die Konkurrenten negativ. Eine US-Forscherin wertete Statistiken von Golftunieren der Profiliga aus und stellte fest, dass die Leistungen der Profigolfer schlechter ausfielen, wenn Superstar Tiger Woods ebenfalls antrat. War Woods nicht dabei, zeigten die Sportler durchweg bessere Leistungen. Für den Betrieb bedeute das: Bonuszahlungen und Prämien lohnen sich kaum, um alle Mitarbeiter anzuspornen. Denn wird die Leistung des Einzelnen – etwa durch die Auszeichnung „Mitarbeiter des Monats“ – besonders honoriert, demotiviert das alle anderen. Würdigt der Vorgesetzte die Einzelleistung seiner Mitarbeiter allerdings zu wenig, besteht die Gefahr des sozialen Faulenzens. Der sogenannte Ringelmann-Effekt wurde erstmals in einem Versuch beobachtet, bei dem Probanden an einem Seil ziehen sollten. Je größer die Gruppe war, desto mehr nahm die Zugkraft des Teammitglieds ab.

Ein weiteres interessantes Phänomen im Berufsalltag ist der „Watercooler-Effekt“. Demnach verbesserten weniger Meetings und stattdessen die Einrichtung von Räumen zum Tratschen den Informationsfluss und sorgten für mehr Solidarität und Produktivität in Teams.

Beispiel Liebe und Partnerschaft: Der sogenannte Coolidge-Effekt erklärt, warum Männer fremdgehen. So entwickelten Männer größere sexuelle Lust, wenn sie ab und zu ihre Partnerin wechseln. Verantwortlich dafür sei das Glückshormon Dopamin. Ganz so einfach wie die beobachteten Ratten im Käfig können die Exemplare der Spezies Homo sapiens ihren Seitensprung jedoch nicht damit rechtfertigen, im Affekt gehandelt zu haben. Ein Tipp der Autoren an die Frauen: Machen Sie sich den „Valins-Effekt“ zunutze! Aufregung führe bei Männern nämlich dazu, dass sie ihr weibliches Gegenüber als besonders erotisch attraktiv einschätzen. Wie wär es also mit einer Verabredung zum Fallschirmspringen?

Sachlich, verständlich und humorvoll dokumentieren die Autoren zahlreiche kuriose Alltagsphänomene. Dahinter steckt eine unglaubliche Rechercheleistung, die eine Fülle von Studien und Experimenten sowie eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer wissenschaftlichen Gültigkeit umfasst. Zudem geben Mai und Rettig viele Ratschläge, wie sich die Erkenntnisse im Alltag und im Beruf nutzen lassen. Da waren keine Spinner, sondern Denker am Werk. Sophia E. Gerber

Jochen Mai und Daniel Rettig: „Ich denke, also spinn ich: Warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen“, dtv, München 2011, broschiert, 384 Seiten, 14,90 Euro


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