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28.01.12 / Vor 1050 Jahren: Als Deutschland das Herz Europas wurde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-12 vom 28. Januar 2012

Vor 1050 Jahren: Als Deutschland das Herz Europas wurde
von Hinrich E. Bues

Wer hätte voraussagen können, dass gerade im Jahr 2011 die Deutsche Frage aus einem gewissen Dämmerschlaf erwachte? Angesichts von Euro-Krise und wirtschaftlicher Stärke Deutschlands regte sich bei unseren Nachbarn plötzlich „Germanophobie“, die alte Angst vor der „Mittelmacht“. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die „Euro-Queen“, wurde abschätzig auch „Angela Bismarck“ genannt. Gleichzeitig landeten die Deutschen in einer internationalen Sympathie-Umfrage auf Platz eins. Die Deutschen werden in aller Welt bewundert wegen ihrer Tugenden und ihrer herausragenden Produkte, ihrer Reiselust und Freundlichkeit.

Dieses widersprüchliche Bild mag typisch für ein Volk sein, das geübt ist in Selbstzweifeln, die teilweise über Jahrhunderte eingebläut wurden. So bleibt die Deutsche Frage auch 2012 eigentümlich unbeantwortet. Es bleibt vielfach offen, was „typisch deutsch“, was das „deutsche Vaterland“ eigentlich ist. Einfach alle Menschen mit der deutschen Staatsangehörigkeit, wie es einige Politiker propagieren? Oder gelten noch die vier Kriterien der „Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur“, wie es in § 6 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes heißt, die immerhin als Voraussetzungen der „deutschen Volkszugehörigkeit“ gelten?

Was den Namen der Deutschen und den Gebrauch der deutschen Sprache angeht, ist die Antwort auf die offenen Fragen einfach. Etymologisch ist „deutsch“ vom indoeuropäischen Wort „thiud“ = Volk abgeleitet. Die älteste schriftliche Überlieferung, die „lingua thiodesca“ (786) meinte damit einfach die Sprache, die dem Volk verständlich ist. Das heute noch benutzte Wort „deut-lich“ hat diesen Wortstamm bewahrt. In Abgrenzung zu lateinischen, romanischen oder slawischen Sprachen unterhielten sich die Menschen hierzulande also so, wie „ihnen der Schnabel gewachsen“ war – in vielerlei Dialekten. Daraus entwickelte sich erst seit dem 16. Jahrhundert das heutige Hochdeutsch.

Traditionell verbindet man mit der Deutschen Frage das Anfang des 19. Jahrhunderts bestehende Machtvakuum in der Mitte Europas. Man kann auch von der „deutschen Kleinstaaterei“ sprechen, denn immerhin gab es 1789 genau 1789 staatliche Einheiten hierzulande, wie der Historiker Immanuel Geist gezählt hat. Doch dieser Blick in die Geschichte der letzten 200 Jahre würde zu kurz geraten. In diesem Jahr 2012 feiern wir, von der Öffentlichkeit und Politik weitgehend unbeachtet, das Jubiläum 1050 Jahre Gründung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Genau am 2. Februar 962 ließ sich der deutsche König Otto I. (912–973) in Rom zum Kaiser krönen. Damit war das sogenannte „Erste Reich“ errichtet, mit dem eine Phase der imperialen Machtausübung begann, die von der Mitte Europas ausging. In diese Zeit fallen die Kreuzzüge (Eroberung Jerusalems 1099) und ab 1134 die Ausdehnung nach Osten, verstärkt durch den Deutschen Ritterorden (ab 1230). In das 11. und 12. Jahrhundert fallen auch die Konflikte der deutschen Könige und Kaiser mit der Universalkirche (Investiturstreit 1073, Wormser Konkordat 1122). Die christliche Kirche war, seit im 8. Jahrhundert der fränkische König Karl Martell den Benediktinermönch Bonifatius, den „Apostel der Deutschen“, in das damalige ostfränkische Gebiet entsandte, systematisch aufgebaut worden. Karl der Große begründete 831 das Missionsbistum Hamburg und Otto der Große 968 das Missionsbistum Magdeburg.

Nach dieser imperialen Phase konstatieren Historiker allgemein ab 1198 ein gewisses „Machtvakuum“ in der Mitte Europas, das letztlich bis 1871, bis zur Gründung des „Zweiten Reiches“, also länger als 650 Jahre, dauern sollte. Äußeres Zeichen dafür ist beispielsweise das Fehlen einer Hauptstadt hierzulande. Die Partikularmächte (Fürstentümer und Städte) konkurrierten mit den zentralen und universalen Gewalten (Kaiser und Kirche). Eine vielleicht typisch deutsche Sorge vor zu viel zentraler Macht, die sich heute sowohl in der föderalen Struktur der Bundesrepublik wie in der Skepsis gegenüber einer zu mächtigen Brüsseler Bürokratie fortsetzt.

So typisch wie diese deutsche Eigenart sein mag; sie war nicht immer friedenschaffend oder gar wohlstandsfördernd. Zu Beginn der Neuzeit um das Jahr 1500 bildete die deutsche Kleinstaaterei den Nährboden für die Spaltung der bis dahin einigen, lateinischen Kirche des Abendlandes. Unzählige Religionskriege folgten. Der in dieser Zeit als deutscher Kaiser Karl V. (1519 gekrönt) regierende spanische König Carlos I. blickte weitgehend verständnislos auf die religiösen und sozialrevolutionären Unruhen durch die südwestdeutschen Reichsritter (1522/23), die Bauern (1524/25) oder die Münsteraner Täufer-Kommune (1534/35). Diese gescheiterten Umsturzversuche gelten gemeinhin als Vorläufer der sozialistischen und kommunistischen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die das Blut von Millionen Menschen forderten.

Das imperiale Machtvakuum in der Mitte Europas begann sich erst um 1750 wieder zu füllen, als die von England ausgehende Industrialisierung für eine langsame Verbesserung des Lebensstandards sorgte und ein Wachstum der Bevölkerung ermöglichte. In der östlichen Mitte Europas entwickelte sich in dieser Zeit eine neue Großmacht, die eng mit dem Namen

Friedrich des Großen (1712–1786) zusammengebracht werden muss, dessen 300. Geburtstag gerade gefeiert wurde. Seine politischen, wirtschaftlichen und militärischen Initiativen sorgten für ein Aufblühen Preußens. Dass dann um das Jahr 1800, auch angestoßen von den Ideen der Aufklärung, ein europäisches Kulturzentrum in der Mitte Europas entstand, ist ohne diese Vorgeschichte kaum denkbar. Musik, Literatur, Philosophie, die Universitäten Humboldtscher Idee, später auch die Naturwissenschaften, prägen das weltweite Ansehen Deutschlands bis heute.

Alle diese Entwicklungen fließen letztlich auch in die Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871, des sogenannten „Zweiten Reiches“, ein. Die deutsche Einheit kam, genauso wenig wie die deutsche Einigung 1989/90, „von unten“. Die liberalen Vorkämpfer 1820/30 hatten dies zwar erhofft und im Deutschlandlied 1840 noch besungen, doch „Einigkeit und Recht und Freiheit“ zerschellten 1848/49 zunächst an den Klippen der machtpolitischen Realitäten. Die Einigung kam schließlich „von oben“, mehr oder minder auf militärischem Wege – durch die Einigungskriege (1864–1871) des preußischen Militärs, durch „Blut und Stahl“, so Otto von Bismarcks Worte. Dass die in Versailles proklamierte staatliche Einheit Deutschlands schwierig zu leben war, sollte Bismarck dann schmerzlich im „Kulturkampf“ mit der katholischen Kirche, im Aufbegehren ostelbischer Juncker gegen die neuen Großbürger der „Gründerzeit“ und in der Auseinandersetzung mit den Sozialisten erfahren.

Eine gemeinsame Sprache, Kultur, Religion und wirtschaftliche Kraft als Basis einer staatlichen Einheit „von oben“? Gerade der Missbrauch der deutschen Geschichte und Kultur, auch der preußischen Tugenden wie Ordnung, Toleranz und Pflichterfüllung durch das „Dritte Reichs“ (1933–45) macht es nicht leicht eine Kontinuität der deutschen Geschichte zu sehen. Dabei ist der 20. Juli 1944 mit seinen Märtyrern ein so deutliches Zeichen des „anderen Deutschland“, das die Tugenden der deutschen Geschichte hochhielt.

Eine alte Regel besagt, dass der Missbrauch den Gebrauch nicht aufhebt. Das „Dritte Reich“ ist kein typischer Ausdruck deutschen oder preußischen Wesens. Zwölf Jahre heben nicht eine Geschichte von 1050 Jahren auf. Die Rückbesinnung auf die ganze Geschichte Deutschlands ab 962 kann gegenüber einer Politik der Dauerbeschwichtigung gegenüber den deutschen Nachbarn und dem nagenden Zweifel am deutschen Wesen helfen, ein neues und gerechtes Selbstbild zu entwickeln, das auch einen gesunden Stolz auf das Vaterland zulässt.

 

Dr. Hinrich E. Bues, Jahrgang 1954, Studium der evangelischen und katholischen Theologie, wurde mit einer kirchengeschichtlichen Dissertation promoviert und arbeitet heute als freier Publizist.


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