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28.01.12 / Treu zur Fahne in Krieg und Frieden / Generaladmiral Hermann Boehm diente in drei Marinen, doch Kadavergehorsam war ihm fremd

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-12 vom 28. Januar 2012

Treu zur Fahne in Krieg und Frieden
Generaladmiral Hermann Boehm diente in drei Marinen, doch Kadavergehorsam war ihm fremd

Nur die mühselige und kleinteilige Beschäftigung und Erforschung des Lebens und Wirkens des Einzelnen verspricht Gewinn für eigenes Handeln in schwierigen Situationen. Dies kann am Beispiel der Lebensgeschichte des Generadadmirals Hermann Boehm, eines der höchsten militärischen Führer der Marine, nachvollzogen werden.

Hermann Boehm wurde am 18. Januar 1884 im oberschlesischen Rybnik geboren. Seine Familie gehörte dem schlesischen Bildungsbürgertum an. Nach dem Abitur trat er 1903 in die Kaiserliche Marine ein. Der Ausbildung zum Seeoffizier und verschiedenen Bordkommandos folgte ein Wechsel zur damals noch jungen Torpedowaffe. Im Ersten Weltkrieg stand er von Anfang bis Ende als Kommandant von Torpedobooten im nahezu ununterbrochenen Kriegseinsatz. Neben zahlreichen kleineren Gefechten nahm er an der Skagerrakschlacht teil, im Januar 1917 hatte er ein schweres Gefecht mit englischen Kreuzern im Kanal. Das „lange Warten“ vieler seiner Kameraden auf den großen Schiffen auf die vorhergesagte Schlacht mit der britischen Flotte war ihm gänzlich fremd. Der Ausbruch der Meutereien auf einigen Schiffen der Hochseeflotte war daher für ihn unverständlich. Die stets daraus abgeleitete traumatische Belastung der kaiserlichen Seeoffiziere findet sich bei Boehm in keiner Weise.

Nach einem kurzen zivilen Zwischenspiel wurde Boehm 1920 reaktiviert. Er widmete sich dem Aufbau der Reichsmarine mit ganzer Kraft und diente der Weimarer Republik stets loyal. Die Beschränkungen des Versailler Vertrages empfand er als ungerecht, aber als gegeben und plante als Leiter der Flottenabteilung in Berlin die Operationen, die zur Verteidigung des Deutschen Reiches notwendig waren. Als „Chef des Stabes“ der Flotte entwickelte er den Einsatz der Flotte in selbständig operierenden Kampfgruppen – ein völlig neues Operationskonzept.

Den durch die nationalsozialistische Regierung ermöglichten Gewinn des Deutschen Reiches an militärischem und politischem Einfluss in Europa begrüßte er von ganzem Herzen. Einmischungen der NSDAP in die Kriegsmarine widersetzte er sich energisch, an der Verfolgung der Juden beteiligte er sich weder in Wort, geschweige in der Tat. Gegen die Ereignisse während der sogenannten Reichskristallnacht protestierten er und andere hohe Marineoffiziere offiziell bei ihrem Oberbefehlshaber Großadmiral Erich Raeder.

Die Gegnerschaft zu England und den Ausbruch des Krieges 1939 sah er im Gegensatz zur Seekriegsleitung in Berlin realistisch voraus. Mehrfach wies er Oberbefehlshaber Raeder auf die drohende Kriegsgefahr hin. Als Flottenchef ab Herbst 1938 wusste er nur zu genau, dass die Flotte im Kampf gegen die alliierten Marinen ohne Chance war. Doch war es für ihn selbstverständlich, nach Ausbruch des Krieges mit aller Entschlossenheit seine Pflicht zu tun. Völlig unterschiedliche Vorstellungen über die Führung des Seekrieges, fehlerhafte Organisation und menschliche Unverträglichkeiten führten zur Ablösung von Boehm als Flottenchef nur zwei Monate nach Kriegsbeginn. Seine Ablösung zog den Wechsel weiterer Befehlshaber und Kommandeure nach sich und führte zum weitgehenden Verlust der im Frieden eingeübten operativen Verfahren und Fähigkeiten sowie des gegenseitigen Vertrauens innerhalb der aktiven Flottenverbände. Daraus ergaben sich schweren Verluste im Zuge der Besetzung Norwegens.

Im Frühjahr 1940 wurde Boehm – völlig unerwartet – Marineoberbefehlshaber in Norwegen. Bestimmend für diesen Zeitabschnitt bis 1943 waren die militärischen Aufgaben, aber schwerer wogen die Auseinandersetzungen mit Reichskommissar Josef Terboven, dem Statthalter Adolf Hitlers in Norwegen. Wollte Boehm von Anfang an zu einem erträglichen Ausgleich mit der norwegischen Nation unter Gewährung größtmöglicher Selbständigkeit kommen, so strebte Terboven die Errichtung eines Protektorates mit allen bekannten Unterdrückungsmaßnahmen der NSDAP an. Eine derartige Konstellation führte schließlich Ende 1942 zu einer offiziellen schriftlichen Beschwerde Boehms bei Hitler über den Reichskommissar. Hitler gab Boehm zwar in der Sache Recht, aber an den politischen Gegebenheiten änderte sich nichts.

Mit der Übernahme der Position des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine durch Großadmiral Karl Dönitz endete im Mai 1943 die militärische Laufbahn von Boehm. Dönitz entließ den einzigen Admiral, der im Bereich Seekriegsführung im Küstenvorfeld, Küstenverteidigung und Seetrans­port Erfahrung und Erfolge vorzuweisen hatte. Er empfand Boehm mit seinen heftigen Auseinandersetzungen mit der NSDAP als Belastung für seine geplante Annäherung an Hitler und die Partei.

Im Sommer 1943 stellte Boehm – nun pensionierter Offizier – einen Aufnahmeantrag in die NSDAP. Nach den Erfahrungen, die er insbesondere in Norwegen mit deren Führern gemacht hatte, bleibt dieser Schritt unverständlich. Unklar sind die Umstände seines Eintrittes. Erst Hitler selbst genehmigte schließlich die Aufnahme. Denkbar ist, dass Boehm nach der Beendigung seiner militärischen Laufbahn nun durch den Parteieintritt einen Beitrag zum Überlebenskampf der Nation – so wie er die Situation sah – leisten wollte. Im Frühjahr 1944 wurde Boehm reaktiviert, um als Seekriegslehrer an der Marineakademie in Bad Homburg zu unterrichten. Er entwickelte neue gedankliche Ansatzpunkte, da er nicht wie früher die reine Operationsgeschichte in den Mittelpunkt der Darstellung stellte, sondern die Seekriegsgeschichte als Teil der Gesamtgeschichte betrachtete und hierbei politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche, technische und soziologische Einflüsse berücksichtig sehen wollte.

Das Kriegsende und den Zusammenbruch des Deutschen Reiches erlebte Boehm als Flüchtling in der Nähe von Kiel in tiefer Verzweiflung, verstärkt durch den Tod seines jüngeren Sohnes, der als Leutnant in Kurland gefallen war. Die ersten Nachkriegsjahre waren auch für einen ehemaligen Generaladmiral wie für die allermeisten Deutschen ein schlichter Kampf ums Überleben. Die Normalisierung der Lebensverhältnisse erlaubte dann auch Boehm die Tätigkeit, die er für die kommenden Lebensjahre anstrebte: Beitragen zur wahrheitsgemäßen Darstellung der Geschichte. Dies begann mit einer eidesstattlichen Erklärung zur Verteidigung von Großadmiral Raeder im Nürnberger Prozess, die als Beweismaterial akzeptiert wurde. Zu Ereignissen, an denen er direkt oder als Miterlebender beteiligt war, hat er sich in verschiedenen Publikationen schriftlich geäußert. Mit den Ereignissen des 20. Juli 1944 und den Fragen von Hoch- und Landesverrat beschäftigte er sich in großer Tiefe und Eindringlichkeit. Die Verbrechen des Nationalsozialismus waren ihm eine schwere Belastung, niemals hat er sich an deren Beschönigung oder Relativierung beteiligt.

Den erneuten Aufbau einer deutschen Marine verfolgte er mit großer innerer Anteilnahme. Einfluss wird er über von ihm sehr geschätzte Kameraden wie Admiral Walter Gladisch und Admiral Conrad Patzig genommen haben. Die junge Bundesmarine ehrte ihn in vielfältiger Weise. Boehm starb am 11. April 1972. Der damalige Flottenchef, Vizeadmiral Paul Hartwig, legte anlässlich der Trauerfeier in Kiel den offi­ziellen Kranz des Bundesministers der Verteidigung nieder und hielt eine ehrende Gedenkansprache. Eberhard Kliem

Der Autor dieses Beitrags ist Verfasser des Buches „Generaladmiral Hermann Boehm. Ein deutscher Marineoffizier im 20. Jahrhundert“, Florian Isensee, Oldenburg 2011, gebunden, 376 Seiten, 29,80 Euro.


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