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28.01.12 / Aufklärung über Alt Passarger Fischer in Büsum / Existenznot führte zur Abwanderung an die Nordseeküste − Am Frischen Haff erworbene Kenntnisse sicherten ihre Existenz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-12 vom 28. Januar 2012

Aufklärung über Alt Passarger Fischer in Büsum
Existenznot führte zur Abwanderung an die Nordseeküste − Am Frischen Haff erworbene Kenntnisse sicherten ihre Existenz

Es war nur eine kleine Frage, die Frau Ute Eichler aus Hamburg stellte, aber sie hatte eine erfreuliche Resonanz, die vor allem von der Kreisgemeinschaft Heiligenbeil kam. Denn es handelte sich um die Fischer aus Alt Passarge, die vor dem Ersten Weltkrieg nach Büsum gingen, um sich dort eine Existenz aufzubauen. Frau Eichler war auf diesen Vorgang in einem in Büsum spielenden Roman von Jürgen Bracker „Hinter der Nebelwand“ gestoßen, in dem sich eine der Hauptgestalten als Fischertochter aus Ostpreußen entpuppte. Dass diese Umsiedlung vom Frischen Haff zur Nordseeküste tatsächlich stattgefunden hat, beweist das Nachwort, in dem erklärt wird, dass um 1910 nahezu die Hälfte aller Büsumer Kutter den zugezogenen Fischern aus Alt Passarge gehörte. Das Thema fesselte Frau Eichler so, dass sie uns fragte, ob wir mehr über diese Umsiedlungsaktion wüssten und ob auch andere Fischer aus anderen Orten am Frischen Haff daran beteiligt gewesen seien. Wir reichten die Frage an unsere Ostpreußische Familie weiter und siehe da: Wir könnten mit dem Material, das wir bekamen, mühelos diese ganze Seite füllen und wären dann noch nicht am Ende. Allein Frau Heidrun Schemmerling de Claret aus Bonndorf übersandte uns eine achtseitige Ausarbeitung, die sich hauptsächlich auf einen Vortrag von Herrn Horst Neumann aus Büsum bezieht, die dieser im November 2005 im Ostheim in Bad Pyrmont im Rahmen eines Seminars für Familienforschung der Kreisgemeinschaft Heiligenbeil hielt. Er stützt sich auf eine Abhandlung von Prof. Jürgen Bracker, dem früheren Leiter des Museums für Hamburgische Geschichte, dem heutigen Hamburgmuseum, mit dem Titel „Ostpreußische Fischer in Büsum – ein Beitrag zur Industrialisierung der Fischerei vor 1914“. Auf diese und weitere Quellen – wie der 1981/2 erschienene Beitrag von Emil Mallien im Heimatblatt der Kreisgemeinschaft – weist Frau Schemmerling de Claret in ihren Ausführungen hin, denen wir vor allem die Anfangsgeschichte der systematischen Ansiedlung der Alt Passarger Fischer in Büsum entnehmen. Denn so begann es einmal vor nunmehr 124 Jahren:

Als erster Fischer aus Alt Passarge ließ sich 1888 Gustav Rentel in Büsum nieder. Er hatte während seiner Dienstzeit bei der Marine den Büsumer Otto Haack kennen gelernt, der ihn überredete, mit ihm nach Dithmarschen zu kommen. Der 22-Jährige folgte dem Freund, begann dort in der Fischerei tätig zu werden und baute in sieben Jahren eine eigene Existenz auf, sodass er heiraten konnte. Seine Braut Wilhelmine Schott holte er sich aus seiner Heimat. Sie war die Tochter eines erfahrenen Seemanns, der dem Schwiegersohn gerne bei dem Ausbau seiner Existenz half, aber einige Jahre später doch in die Heimat am Frischen Haff zurückkehrte. Dafür kamen dann Carl Rentel, ein Bruder von Gustav, und im Laufe der nächsten Jahre weitere Fischer aus Alt Passarge. Die Ursache für die Abwanderung war nicht allein im Nachlassen der Fischbestände im Frischen Haff zu suchen, sie erfolgte auch aufgrund des damals geltenden Fischereirechts, das nur die ältesten Söhne der Fischereiwirte ausüben durften, Es waren also existenzielle Gründe, die viele junge Männer aus Alt Passarge zwangen, ihren Heimatort zu verlassen. Dass einige von ihnen nach Büsum gingen, lag vor allem an Gustav Rentel, der dort Pionierarbeit in der Fischverarbeitung geleistet hatte. Schon 1895 hatte er einen Fisch- und Krabbenversand gegründet, zehn Jahre später entstand eine Krabbenkonservenfabrik, die sich zu einem ansehnlichen Betrieb entwickelte. Ältere Fischer folgten manchmal erst zögerlich, wenn sich Söhne oder andere Verwandte bereits etabliert hatten. Oder sie fischten saisonal, also von März bis November in der Nordsee, und kehrten den Winter über nach Alt Passarge zurück. Der Fischereiwirt Karl Korn segelte sogar mit seinem seetüchtig gemachten Keitelkahn mit der Familie sowie beweglichem Hab und Gut über die Ost- und Nordsee nach Büsum – und das mitten im kalten Winter! Am 17. Februar 1908 lief er mit vollen Segeln in den Büsumer Hafen ein.

Dass die Fischer aus Alt Passarge durch ihre in der Keitelfischerei auf dem Frischen Haff erworbenen Kenntnisse in der Büsumer Küstenfischerei gut verwerten konnten, sicherte ihnen den Aufbau einer Existenz. Zwar gab es anfangs Schwierigkeiten, denn die Büsumer Fischer fürchteten die Konkurrenz, aber sie erkannten bald die Impulse für die Entwick-lung der Fischerei in dem Nordseehafen, die von den ostpreußischen Fischern ausgingen. Diese hatten vor allem an der Motorisierung der Büsumer Fischerei nach der Jahrhundertwende einen entscheidenden Anteil. 1914 waren bereits zehn von 60 Kuttern im Besitz von Neubürgern. Auch nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich die Zuwanderung fort: 1929 hatten 19 von insgesamt 89 Büsumer Kutterfahrzeugen einen aus Alt Passarge stammenden Eigner. Der größte Hochseekutter trug den Namen „Ostpreußen“. Und noch einmal führte ein Zuwandererstrom vom Frischen Haff dazu, dass sich der ostpreußische Anteil in der Einwohnerzahl von Büsum erheblich erhöhte: 54 Vertriebene aus Alt Passarge führte der Fluchtweg zu den Verwandten oder Freunden an der Westküste Schleswig-Holsteins, das war fast ein Fünftel aller Einwohner des verlassenen Heimatdorfes am Frischen Haff. Den altpreußischen Namen kann man in dem schönen Nordseebad immer wieder begegnen, so in dem Firmenschild des Kaufmanns und Fischhändlers Gerhard Rentel, Urenkel jenes Gustav Rentel, mit dem diese Geschichte begann. Und die „Alt-Passarge-Straße“ soll an die maßgeblichen Impulse erinnern, die von den ostpreußischen Fischern bei der Entwicklung der Fischerei in Büsum und dem Ausbau des Büsumer Hafens ausgegangen sind. Es ist schon interessant, diesen Spuren nachzugehen. Wir danken der Kreisgemeinschaft Heiligenbeil und vor allem der Kirchspielvertreterin von Grunau-Alt Passarge, Heidrun Schemmerling de Claret, für die Überlassung dieses umfangreichen Materials. R.G.


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