26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
11.02.12 / Klugheit, Witz und Gottvertrauen / »Als das Wünschen noch geholfen hat«: Das Kasseler Brüder-Grimm-Museum mit Sonderschau wiedereröffnet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-12 vom 11. Februar 2012

Klugheit, Witz und Gottvertrauen
»Als das Wünschen noch geholfen hat«: Das Kasseler Brüder-Grimm-Museum mit Sonderschau wiedereröffnet

Kassel bezeichnet sich stolz als Hauptstadt der Brüder Grimm. Denn dort verbrachten Jacob (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859) als Märchensammler und Begründer der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft nach eigener Einschätzung „die arbeitsamste und vielleicht auch fruchtbarste Zeit“ ihres Lebens. Dessen Stationen sind von der Geburt in Hanau bis zu ihrer letzten Wirkungsstätte Berlin im Kasseler Brüder-Grimm-Museum dokumentiert. Nach zweijährigen Sanierungsarbeiten ist das in einem 1714 errichteten Palais residierende Museum wiedereröffnet worden.

Die ungeheure Popularität der Brüder Grimm bei Jung und Alt gründet auf „Hänsel und Gretel“, „Aschenputtel“, „Schneewittchen“ sowie ihren anderen Kinder- und Hausmärchen. Bernhard Lauer, der Leiter des Grimm-Museums, erklärt: „Neben der Luther-Bibel stellt die Grimmsche Märchensammlung das bekannteste und berühmteste deutsche Buch dar.“ Es wurde in 160 Sprachen übersetzt und hat weltweit eine Auflage von über einer Milliarde Exemplaren erreicht.

Der erste Band mit hundert Märchen erschien 1812, der zweite, ebenfalls 100 Märchen umfassende Band wurde 1815 veröffentlicht. Die beiden sogenannten „Handexemplare“ der „Kinder- und Hausmärchen“, von der Unesco zum Weltdokumentenerbe erklärt, liegen als „Allerheiligstes“ des Museums in einer Panzerglasvitrine. „Die Bände enthalten zahlreiche handschriftliche Eintragungen, Verbesserungen und Quellenangaben beider Brüder“, erläutert Lauer. „Auch kann man über die Handexemplare sehr schön die sprachliche und stilistische Arbeit an den Mär­chentexten verfolgen oder auch motivische Änderungen feststellen, zum Beispiel wenn in der ersten Ausgabe bei Schneewittchen die leibliche Mutter Schneewittchen umbringen will und in der zweiten Ausgabe diese dann zu einer Stiefmutter wird.“

Im Erdgeschoss des Museums widmet sich die Sonderschau „Als das Wünschen noch geholfen hat“ der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Kinder- und Hausmärchen, die dieses Jahr ihr 200. Veröffentlichungsjubiläum feiern. Zunächst wird belegt, dass die ab 1806 in Kassel und Umgebung Märchen sammelnden Brüder Grimm nicht die ersten waren, die volkstümliche Erzählungen nach schriftlichen und mündlichen Quellen aufzeichneten und bearbeiteten. Zum Aufgebot gehören neben den arabischen Sammlungen „Tausend und eine Nacht“ sowie „Tausend und ein Tag“ kostbare Erstausgaben. Einer der deutschen Vorläufer der Grimms war Johann Carl August Musäus (1735–1787), der in fünf Bänden seine „Volksmärchen der Deutschen“ veröffentlichte.

„Aber mit der Märchensammlung der Brüder Grimm begann die systematische Aufsammlung der ,Poesie des Volkes‘“, wie der Museumsdirektor betont. Rund 50 Beiträger lassen sich nachweisen. Unter ihnen befanden sich viele Töchter aus gutem Hause, was doch das Grimmsche Etikett „Volkspoesie“ stark relativiert. Den Titel „Kinder- und Hausmärchen“ erklärten die Grimms in ihrer Vorrede so: „Kindermärchen werden erzählt, damit in ihrem reinen und milden Lichte die ersten Gedanken und Kräfte des Herzens aufwachen und wachsen; weil aber einen jeden ihre einfache Poesie erfreuen und ihre Wahrheit belehren kann, und weil sie beim Haus bleiben und fort­erben, werden sie auch Hausmärchen genannt.“

Oft handeln sie von Bewährungsproben und Reifungsprozessen. Und macht es nicht jedem Mut, wenn wenigstens im Märchen der Schwache über den Starken, der Arme über den Reichen triumphiert? Dazu braucht es – so die Botschaft der Gebrüder Grimm – nichts weiter als Klugheit und Witz, Beherztheit und Einfallsreichtum, Gottvertrauen, Treue und – wie schon der am Ende hocherfreut mit leeren Händen dastehende Hans erfuhr – etwas Glück zur rechten Zeit.

Ausgestellt sind neben den von den Brüdern Grimm handschriftlich festgehaltenen Erzählungen „Dornröschen“ und „Schneewittchen“ frühe Auflagen der zweibändigen Großen Ausgabe und der einbändigen Kleinen Ausgabe, die 50 Märchen enthält. Erst diese mit sieben Illustrationen von Ludwig Emil Grimm ausgestattete Kleine Ausgabe, seit 1825 angeboten, machte aus dem vormaligen Ladenhüter einen Kassenschlager. Bereits 1826 erschien in Stuttgart der erste Raubdruck mit handkolorierten Nachstichen der Illustrationen Ludwig Emil Grimms. Zahlreiche weitere farbenfrohe Bilder zum „Froschkönig“, auf den der Titel der Sonderausstellung zurück­geht, zu „Aschenputtel“, dem „Tapferen Schneiderlein“, dem „Wolf und den sieben Geißlein“ oder dem die Kleine Ausgabe beschließenden Märchen „Die Sterntaler“ veranschaulichen im letzten Kapitel der Schau die internationale Illustrationsgeschichte von Grimms Märchen bis in unsere Tage. Veit-Mario Thiede

Brüder Grimm-Museum, Schöne Aussicht 2, Kassel. Di.-So. 10-17 Uhr, Mi. 10-20 Uhr. Informationen: (09561) 787 20 33, Internet: www.grimms.de. Die Sonderausstellung läuft bis zum 6. Mai 2012.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren