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25.02.12 / Flucht ohne Eltern / Neunjähriger bleibt mit jüdischem Freund in Papuschienen zurück

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-12 vom 25. Februar 2012

Flucht ohne Eltern
Neunjähriger bleibt mit jüdischem Freund in Papuschienen zurück

Papuschienen hießen zwei ostpreußische Dörfer im Landkreis Tilsit-Ragnit. Im Zuge der Germanisierung der Ortsnamen wurde das eine, nahe der Grenze zum Landkreis Elchniederung gelegene Dorf Papuschienen 1938 in Buschdorf umbenannt. Es ist der Schauplatz des Flüchtlingsdramas „Sonne der Gerechtigkeit“ von Ingo Bewer. Der Hauptstrang der Handlung spielt vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs. Im Mittelpunkt des bewegenden Romans um Heimat, Kindheit und Heldenmut steht die Familie Haak, die in Papuschienen / Buschdorf einen Landhandel führt. Die Personen sprechen in der Mundart des nördlichen Ostpreußens, ihre Dialoge scheint der Autor ihnen abgelauscht zu haben. Alles ist in so lebensvollen, frischen Bildern geschildert, dass der Leser nicht umhin kann, sich in den kindlichen Ich-Erzähler hineinzuversetzen. Allerdings gibt sich das Buch mit seinen zahlreichen Fehlern und sonstigen Mängeln deutlich als Erstlingswerk zu erkennen. Wer aber grundsätzlich geneigt ist, die zu Herzen gehende Geschichte zu lesen, wird sich wohl damit abfinden. Man könnte denken, es handele sich bei dem Geschehen wenigstens teilweise um eigene Erlebnisse des Autors. Über ihn finden sich im Buch keine biografischen Angaben, doch war in Erfahrung zu bringen, dass er in Niedersachsen aufwuchs und seine Großeltern aus Papuschienen stammen.

Im Sommer 1942 findet der neunjährige Günther Haak einen kranken und halb verhungerten gleichaltrigen Jungen in einer verlassenen Kate. Wolfgang Jäger, ein evangelisch getaufter Halbjude aus Tilsit, ist völlig verstört und bedroht Günther aus Angst, von ihm verraten zu werden. Zusammen mit seiner Mutter und anderen Gefangenen war er einige Tage zuvor aus einem Viehwaggon entkommen, als der Zug, in dem Juden aus Ostpreußen nach Auschwitz transportiert wurden, nachts an einem Bahnhof hielt. Die Geflohenen wurden entdeckt und verfolgt. Wolfgang, der sich unter dem Waggon festgeklammert hielt, hatte seine Mutter aber nicht unter den abgeführten Personen erkennen können. Tagelang war er allein herumgeirrt. Nach einigem Zögern entschließt sich Günther, Wolfgang zu versorgen. Lediglich den gutmütigen französischen Kriegsgefangenen Jean-Michel, der bei der Familie Haak lebt und arbeitet, zieht er ins Vertrauen.

Weder Günther noch Wolfgang ahnen, dass sie durch ihre Mütter auf schicksalhafte Weise miteinander verbunden sind. Zwar hatte Wolfgang von seiner Mutter die Anweisung erhalten, sich an ihre frühere Freundin in Papuschienen zu wenden, falls sie bei der Flucht getrennt würden. Doch die Jungen halten im falschen Ort nach Mathilde Jäger Ausschau.

Mit der Schilderung der chaotischen Flucht der Familie Haak mit Wolfgang im Winter 1945 endet die in mehreren Rückblenden erzählte Geschichte. Günther verliert seine Angehörigen im dichten Schneetreiben aus den Augen und kehrt als Einziger in sein Elternhaus zurück, wo alles geplündert und zerstört ist. Später schlägt er sich monatelang durch Litauen und Schweden bis nach Bremen durch. Sein Leben lang hat Günther Haak einen immer wiederkehrenden Traum. Der Traum endet mit einem Riss, einer dunklen Wand. 2002 glaubt der 68-jährige, in Verden lebende Witwer durch das alte Kirchenlied „Sonne der Gerechtigkeit“ einen Hinweis gefunden zu haben, der zur Aufklärung des Rätsels führen könnte. Er fasst den Entschluss, nach Polen zu reisen und Nachforschungen anzustellen, um Klarheit über seine traumatischen Erlebnisse während der Flucht zu gewinnen. Dagmar Jestrzemski

Ingo Bewer: „Sonne der Gerechtigkeit“, Buchverlag Andrea Schmitz, Egestorf 2011, broschiert, 354 Seiten, 18,80 Euro


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