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25.02.12 / Experte ohne Einsicht / Ulrich Kienzle über seine Zeit als Nahost-Korrespondent der ARD

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-12 vom 25. Februar 2012

Experte ohne Einsicht
Ulrich Kienzle über seine Zeit als Nahost-Korrespondent der ARD

Wer früher, in grauer Vorzeit, als der Unterschied zwischen CDU und SPD halbwegs erkennbar war, häufig das ZDF-Magazin „Frontal“ gesehen hat, der erinnert sich gerne zweier Mitt-Fünfziger, der eine SPD-lastig, der andere eher CDU-gläubig, die sich am Ende des Nachrichten-Magazins gegenseitig anfrotzelten: Bodo Hauser und Ulrich Kienzle. Rituell begann der Dialog mit dem Ruf Hausers „Noch Fragen, Kienzle?“ Dann kamen kurze Wortgefechte zwischen den beiden, die die jeweiligen Partei-Positionen durch den Kakao ziehen sollten. Manchmal war dies Geplänkel zum Lachen, immer aber lachhaft.

Dabei war Kienzle eigentlich einer der ersten Nahost-Korrespondenten der ARD. Für den Südwestfunk Stuttgart bereiste er mit wachsendem Ansehen und Reise-etat den gesamten Nahen Osten, der sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Auflösung der großen Kolonialreiche in einem ständigen Umbruchprozess befand, buchstäblich von Bagdad bis Marokko. Auch später, als Chefre-dakteur von Radio Bremen 1980 bis 1990 sowie als Leiter der ZDF-Außenpolitik und Moderator des „Auslandsjournals“, blieb er der Faszination, die dieser Landstrich und seine Bewohner auf ihn ausgeübt haben müssen, treu. Das heißt, er spezialisierte sich auf den Nahen Osten, für ihn immer noch das Land von 1001 Nacht und wohl das von Karl May.

Im Alter steht er nun der Deutsch-Arabischen Gesellschaft vor und zählt sich zusammen mit Peter Scholl-Latour zu den gern zitierten „Nahost-Experten“. Sein neues Buch „Abschied von 1001 Nacht“, in einem kleinen, ihm nahestehenden Verlag erschienen, nimmt die aktuellen Ereignisse des von ihm sehr begrüßten „Arabischen Frühlings“ zum Anlass, einen Rückblick auf sein Leben als Nah-Ost-Korrespondent zu halten: ein wildes, privilegiertes Leben als westlicher Beobachter in einer ziemlich rauen, halbbarbarischen und oft undurchschaubaren nachkolonialen Welt, die sich in einem rasanten Wandel befindet, der heute noch nicht abgeschlossen ist.

Als Reporter und Korrespondent des im Nahen Osten sehr respektierten deutschen Massenmediums Fernsehen erlebt er die mächtigen Männern der Region aus äußerster, oft intimster Nähe, ebenso gern von ihnen umarmt wie hinters Licht geführt. Dem irakischen Diktator Saddam Hussein, der betonte, dass er eine Koran-Ausgabe mit seinem eigenen Blut hat schreiben lassen, stellte er die ziemlich kühne Frage: „Präsident Bush bezeichnet Sie als neuen Hitler. Empfinden Sie das als Kompliment oder als Beleidigung?“

Kienzle sah Kairo zur Zeit von Sadats Bruch mit den Sowjets, er begegnet dem zypriotischen Präsidenten Makarios während des beginnenden blutigen Terrors gegen die türkische Minderheit und besucht den noch jungen Gaddafi in seinem Präsidentenpalast, der damals aus einem Beduinenzelt bestand.

Kienzle war im Libanon-Krieg, bei dem das einstige Paris des Ostens, Beirut, vor seinen Augen in eine Trümmerlandschaft verwandelt wurde, länger dabei, als ihm lieb war. Der untergegangenen Welt dieses Libanons gilt wohl die größte Zuneigung des verwöhnten Orientkenner, hier schildert er seine eindrucksvollsten und intensivsten Erinnerungen.

Am Ende seines aktiven Nah-Ost-Lebens überraschte ihn, nachdem er 40 Jahre Nahost-Expertentum ohne besondere Erschütterung hinter sich gebracht hatte, plötzlich und unerwartet der sogenannte „Arabische Frühling“. Und hier obliegt der ausgebuffte Orientfahrer einem riesigen Irrtum: Er glaubt an den Sieg der Jungen, der Studenten, der Aufklärer mit Facebook. Wo doch schon vor Erscheinen seines Buches immer deutlicher wurde, dass der Arabische Frühling in Wahrheit ein Sieg des islamischen Fundamentalismus war. Und so ist sein Abschied von 1001 Nacht nur ein Rückblick auf 40 Jahre Nahost-Geschichte – der ist allerdings imponierend. Klaus Rainer Röhl

Ulrich Kienzle: „Abschied von 1001 Nacht“, sagas edition, Stuttgart 2011, gebunden, 350 Seiten, 19,90 Euro


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