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03.03.12 / Vaterlandsverräter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-12 vom 03. März 2012

Vaterlandsverräter
von Vera Lengsfeld

Das Kino Babylon ist so etwas wie ein Geheimtipp für Freunde guter, selten gespielter Filme. Es ist auch eines der wenigen Kinos, die Filme über die Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur zeigen. Vergangenen Montag hatten die Robert-Havemann-Gesellschaft und die Stasi- Unterlagenbehörde zu einer besonderen Veranstaltung eingeladen.

Gezeigt wurde der Film „Der Vaterlandsverräter“ von Annakathrin Hendel, eine Porträtstudie des DDR-Schriftstellers Paul Gratzik, der über 20 Jahre für die Staatssicherheit spionierte. Berichtet hat Gratzik über alle: Kollegen, Freunde, Förderer, Geliebte. Wie irreführend der Titel des Filmes ist, wurde klar, als der ehemalige Führungsoffizier des Schriftstellers stolz berichtete, dass sein IM die richtige Entscheidung getroffen habe, als er sich für das Vaterland und gegen seine Nächsten entschieden habe. „Der reuelose Spitzel“ hätte das Werk also heißen müssen, bei dessen Betrachtung ich mich gefragt habe, wie man einen so wunderbaren Film mit eindrücklichen Bildern über so ein unwürdiges Subjekt machen kann.

Gleich in der Eingangssequenz poltert Gratzik: „Ich hatte gute Gründe, meine Arbeit zu machen ... Ich hab viel zu wenig Leute angeschissen ... Ich habe kein Gewissen, ich habe keine Moral ...“ Das meint der Mann ernst und hält es für einen Vorzug. Denn: „Wir haben euch Kapitalisten viel zu wenig ans Bein gepisst ... Hätte ich bloß nicht bei der Stasi in’ Sack gehau’n.“ Das Einzige, was er bereut, ist also, 1981 bei der Stasi aufgehört zu haben. Er hatte sich damals selber enttarnt und stand fortan unter Beobachtung.

Der Abend, gedacht als Beitrag zur Versöhnung zwischen Tätern und Verfolgten, musste schiefgehen. Die zahlreichen Besucher, die gekommen waren in der Hoffnung, einen Stasispitzel, der seine Taten bereut hat, zu erleben, wurden bitter enttäuscht.

Nach dem Zwischenruf einer ehemaligen politischen Gefangenen, dass sie nicht hier wäre, um einen weiteren Täter, der sich und die DDR verteidigt, auf dem Podium zu erleben, war die Spannung im Saal mit Händen zu greifen. Als die Regisseurin die Zwischenruferin auch noch abkanzelte und deutlich machte, dass es ihr darum ging, die Spitzeltätigkeit von Gratzik in den Hintergrund treten zu lassen, hätte das beinahe zu Tumulten geführt.

Ungerührt von der überwiegenden Ablehnung demonstrierte Gratzik, dass Kommunisten wie er nichts aus dem Debakel, das sie angerichtet haben, gelernt haben.

Versöhnung mit solchen Leuten ist nicht möglich. Die Verfolgten haben nur eine Möglichkeit, sich zu befreien: ihre Verfolger zu vergessen.


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