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03.03.12 / »Der Brief meiner Mutter« / Die historische Quelle inspirierte Detlef Arntzen zur gleichnamigen Novelle

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-12 vom 03. März 2012

»Der Brief meiner Mutter«
Die historische Quelle inspirierte Detlef Arntzen zur gleichnamigen Novelle

Wie schon in unserer Kolumne erwähnt, schreibt die Mutter von Detlef Arntzen im Februar 1945 einen Brief über ihre Flucht aus Königsberg als Rotkreuzschwester zusammen mit einer Freundin, die als Zivilistin ohne Schwesterntracht in einen Flüchtlingszug gelangt. Aber der letzte Zug aus Königsberg, der sein Ziel in Westdeutschland erreichen wird, ist vorher abgefahren, dieser kommt nicht mehr durch. Vor den Weichselbrücken muss der Zug umkehren, weil die Russen durchgebrochen sind. Nach 50 Stunden landen die enttäuschten Flüchtlinge wieder auf dem Königsberger Hauptbahnhof. Die beiden Frauen versuchen eine zweite Flucht, diesmal nach Pillau, um von der Hafenstadt mit einem Schiff in den Westen zu kommen. Der Mutter gelingt die Flucht über See, ihrer Freundin Inge Wahrburg nicht. Dieser Brief war für Detlef Arntzen der Anlass, eine Novelle zu schreiben, die auf weiteren Gesprächen mit seiner Mutter beruht. Dies ist der Originalbrief, den Frau Arntzen am 10. Februar 1945 an ihre Schwester und deren Töchter schreibt:

Meine geliebte Paula, mein liebes Annemiechen, mein Emmilein, ich wollte Euch gleich schreiben, aber ich fühlte mich wie nach einer schweren Krankheit, kann mich zu nichts mehr aufraffen. Die letzten drei Wochen waren zu schlimm. Neben allem Persönlichen die schreckliche Sorge um die Kleinen, um Euch und Oma, es war kaum zu ertragen.

Nun geht es Euch wie mir, nur dass Ihr noch die quälende Sorge um Euern Vater habt. Heimatlos, aufgegeben, was einem noch lieb war. Nur nicht denken. Ich möchte immer schlafen, kann es plötzlich ohne Mittel, bin bis zur letzten Kraft erschöpft. Am Sonnabend, dem 20. Januar, sagte ich zu Inge, wir müssten nach Kolberg fahren, die Front käme näher, und ich müsste mich um meine Kleinen kümmern, Inge wollte sofort los, aber ich sagte, wir sollten alles überlegt vorbereiten. Ich Schaf! Um 10 Uhr ein Anruf vom Roten Kreuz: Lage sehr ernst, rette sich wer kann! Also schnell über meine Kleidung die Tracht angezogen, etwas gegessen und mit den vorbereiteten Koffern und Rucksäcken zum Bahnhof. Um 2 Uhr nachts waren wir dort, da stand wie bestellt ein Zug, Flüchtlinge aus den Kreisen Wehlau, Tapiau und anderen, ganz voll, aber als Krankenschwester wurde ich mit Freude aufgenommen. Das schien wirklich ein unverdientes Glück zu sein. Um 4 Uhr fuhren wir los, gegen Abend waren wir etwa in Braunsberg. Da lagen wir die ganze Nacht, da angeblich vor uns alles verstopft war. Gegen Morgen waren wir in einem kleinen Ort vor Elbing, der Bahnhof leer, das ganze Dorf schon geflohen. Ich gebe in Mengen Baldrian und Hoffmannstropfen. Zwei Säuglinge sterben. Es ist 17 Uhr, wir müssen vor der Nacht über die Weichselbrücken. Der Zug fährt los, eine junge Arztfrau aus Heiligenbeil umarmt mich weinend vor Glück, sie hat vier kleine Kinder.

Aber was ist das? Der Zug fährt zurück, was war geschehen? In Elbing waren die ersten russischen Panzer, abgeschnitten! Die Fahrt in der Nacht zurück war furchtbar. In der Ferne Schießen, Schneesturm durch die Tür. Eine alte Frau wird wahnsinnig, wir zwingen sie mit Hilfe von Soldaten, den Zug zu verlassen. Im Laufe der Nacht werden noch zwei Frauen irrsinnig. Um 16 Uhr, nach 50 Stunden Fahrt, sind wir wieder in Königsberg. Jetzt müssen wir raus, letzte Möglichkeit. Unsere Koffer haben wir stehen lassen, nur mit den Ruck­säcken geht es sich leichter.

Verhältnismäßig einfach kommen wir nach Pillau, und versuchen, Karten für ein Schiff zu bekommen. Von 3 Uhr früh bis 15 Uhr immer auf den Beinen, wie Bettler gebettelt um Schiffskarten. Nichts zu machen. Königsberger kommen erst in den nächsten Tagen dran. Mittags hieß es dann, es bestehe überhaupt keine Gefahr. Aber von 15 Uhr an wurde Pillau von allen militärischen Stellen geräumt. Jetzt heraus oder nie, das war uns klar. Ein Herauskommen mit Inge wurde immer unmöglicher. Dann sagte Inge, sie führe nach Königsberg zurück. Das war ein furchtbarer Augenblick, aber blieben wir zusammen, waren wir beide verloren. Da kommen zwei kleine Matrosen vom Schiff „Robert Ley“, die hatte Gott geschickt. Ich flehe sie an, mich auf das Schiff zu mogeln, und sie bekommen mich tatsächlich auf das Schiff. Ich hätte sie umarmen können. Donnerstagabend fuhren wir los. Es kamen sechs ruhige Tage mit reichlich Arbeit, da wir 30 Schwestern zur Betreuung von 5000 Flüchtlingen eingesetzt waren.

Soweit der Brief von Frau Arntzen zur Lage am 21./22. Januar 1945. In seiner Novelle behandelt der Sohn die Frage, die seine Mutter bis an ihr Lebensende bewegt hat: Was wurde aus Inge Wahrburg? Sie hat nie wieder etwas von der Zurückgelassenen gehört, ihr Schicksal liegt im Dunkel ... (Detlef Arntzen „Der Brief meiner Mutter“, Laumann Verlag, Dülmen, ISBN 3-89960-277-3) R.G.


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