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03.03.12 / Boote, welche die Seele heilen / Eine Fahrt mit der Gabare über die gezähmte Dordogne – Vom einst schweren Leben der Lastkahnfahrer im Südwesten Frankreichs

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-12 vom 03. März 2012

Boote, welche die Seele heilen
Eine Fahrt mit der Gabare über die gezähmte Dordogne – Vom einst schweren Leben der Lastkahnfahrer im Südwesten Frankreichs

Seelenruhe hat viele Klänge. Der Wind, der in den Blättern der mächtigen Bäume rauscht, das Plätschern des Flusses, der Schrei eines Milans, der über den Wipfeln kreist oder das leise Tuckern der Gabare, die sich gemächlich ihren Weg durch das braungrüne Wasser des Dordogne-Stausees bahnt. 60 Meter unter dem Kiel lebten bis ins 20. Jahrhundert die Waldarbeiter und Kleinbauern, die ihr karges Leben als Gabariers, als Bootsbauer und Lastkahnfahrer aufbesserten.

In jedem Frühjahr und Herbst bauten sie aus dem Holz, das sie im Winter geschlagen hatten, die vier Tonnen schweren Gabaren: schwere, flache hölzerne Lastkähne. Wenn im Frühjahr und im Herbst die damals noch wilde Dordogne genug Wasser führte, beluden sie ihre Kähne mit bis zu 15 Tonnen Holz, Getreide, Vieh, Gemüse, Fisch und Fleisch, um damit den Fluss hinunter zu den Märkten im reichen Aquitanien zu rudern. Die Zeit drängte. Bis zu 400 Gabaren gleichzeitig starteten am Oberlauf der Dordogne im Département Corrèze, wenn es der Wasserstand des Flusses für kurze Zeit erlaubte.

Eine Woche dauerte die gefährliche Reise durch Stromschnellen und Untiefen hinunter ins Flachland bei Bordeaux, drei Wochen der Marsch zu Fuß zurück in die abgelegenen Täler zwischen dem immer noch mittelalterlich anmutenden Flusshafenstädtchen Argentat und der Quelle der Dordogne. So dringend brauchten die Menschen unten in der Aquitaine das Holz der Corrèze für den Haus- und Schiffbau, für die Eichenfässer der Weingüter, zum Heizen, Kochen und für die Eisengießerei, dass die Männer aus den Bergen ihre Boote am Ziel zersägten und das Holz verkauften. „Heute“, sagt Robin, „verschwenden wir Holz, werfen es weg und bauen viel Unsinn damit. Damals war es der wichtigste Rohstoff der Menschen.“

„Eine flüssige Autobahn für Waren und Gedanken“ sei der Fluss bis vor nicht einmal 150 Jahren gewesen. Die heute noch dichten Wälder der Corrèze waren undurchdringlich, die Steigungen mit Fuhrwerken auf schlechten Straßen kaum zu schaffen. Die Männer brachten Geld in ihre armen Bergdörfer, Waren aus fernen Ländern und Ideen.

Im 16. und 17. Jahrhundert waren es die Gedanken Luthers und der Protestanten, später die Eindrücke von den technischen Errungenschaften der Industrialisierung. Die raubten den Gabariers schließlich ihre Lebensgrundlage. Als Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Eisenbahnzüge die Aquitaine und Limoges mit den größeren Orten in der Corrèze verbanden, lohnte sich das Geschäft mit den Lastkähnen nicht mehr. Die letzten Gabaren brachten um 1930 nur noch ihre Besitzer und deren Familien ins Tal. Sie flohen vor dem kargen Leben auf ihren Höfen.

Die einst wilde Dordogne, die nicht nur das mittelalterlich erhaltene Beaulieu mit seinem 800 Jahre alten Kloster immer wieder überschwemmte, ist längst gezähmt. Seit 50 Jahren bändigen fünf Staumauern das Wasser. Es fließt wohldosiert über die Turbinen der Wasserkraftwerke. Nur die Fische haben den Fortschritt nicht verkraftet. Wo es früher Lachse und Forellen im Überfluss gab, brauchen die Angler heute viel Geduld. Oft zerstört das Auf und Ab des Wassers im Stausee den Laich der Tiere.

Robin und einige Kollegen vermitteln Touristen auf ihren nachgebauten Gabaren einen Eindruck vom Leben der Bergbauern und Lastkahnfahrer früherer Zeiten. Seit mehr als 20 Jahren steuert der Bretone, den es vor langer Zeit vom Meer an den Fluß verschlagen hat, das vier Tonnen schwere Holzboot über den 33 Kilometer langen See. Die mehr als vier Meter langen, baumstammdicken Ruder hängen nur noch zur Dekoration am Heck. Ein gleichmäßig tuckernder Dieselmotor und ein Lenkrad leisten die Arbeit der Ruderer. Wo früher die Fracht lagerte, sitzen heute Touristen, die in die seit fast 50 Jahren unberührten, dichten Wälder am Ufer schauen, die Ruine eines verlassenen Bauernhauses bestaunen oder den Milan beobachten, der schreiend seine Kreise über den Wipfeln zieht. Jeder Baum, sagt Robin, hat sein eigenes Grün und kein Kieselstein gleicht dem anderen.

Zu jeder Tageszeit taucht das Licht die spiegelnde Fläche des Stausees, die Felsen und die Wälder am Ufer in andere Farben. Wer seine Sinne öffnet, sieht und hört immer etwas, auch hier in der vermeintlichen Stille. Als einer der letzten Gabarier auf der Dordogne hat der nachdenkliche 50-Jährige sein Glück gefunden. „Mein Boot“, sagt er, „heilt meine Seele“. Robert B. Fishman


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