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10.03.12 / Siebenfaches Werben für Russlanddeutsche / Die Ausstellung »Volk auf dem Weg« ist auf Wanderschaft quer durch Deutschland – Öffentliche Orte sind bevorzugte Etappenziele

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-12 vom 10. März 2012

Siebenfaches Werben für Russlanddeutsche
Die Ausstellung »Volk auf dem Weg« ist auf Wanderschaft quer durch Deutschland – Öffentliche Orte sind bevorzugte Etappenziele

Eigentlich müsste der Name Michail Iwanowitsch Kalinin bei Millionen Deutschen negative Assoziationen auslösen. Bei den noch lebenden gebürtigen Ostpreußen und ihren Nachfahren, weil die Hauptstadt ihrer Heimat nach dem formellen Staatsoberhaupt der Sowjetunion benannt ist. 1946 benannten die Eroberer die 1255 gegründete Pregelmetropole in „Kaliningrad“ um. Aber auch bei den etwa 2,5 Millionen inzwischen nach Deutschland verzogenen Russlanddeutschen und ihren Kinder und Enkeln dürfte der Name Kalinin für den Verlust ihrer Heimat stehen. Denn am 30. August 1941 veröffentlichte der Kreml den Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der Sowjetunion „Über die Umsiedlung der Deutschen, die in den Wolga-Rayons wohnen“.

178 Jahre zuvor hatte die russische Zarin Katharina die Große die Vorfahren der Russlanddeutschen gezielt ins Land geholt, damit sie die zum Teil menschenleeren Gebiete ihres Großreiches bevölkerten. 30623 Ausländer folgten bis 1774 der Einladung der in Deutschland geborenen Monarchin. Woher sie kamen und wo sie siedelten, das zeigt die in regelmäßigen Abständen aktualisierte Ausstellung „Volk auf dem Weg“, die schon seit 1995 auf Wanderschaft quer durch Deutschland ist. Vergangenen Monat lud die Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD Aydan Özoguz die Hamburger zur Eröffnung der in Hamburg-Rahlstedt Zwischenstation machenden Wanderausstellung ein. Da die aus 25 Tafeln bestehende Ausstellung noch sechs Zwillinge hat, die ebenfalls dauernd auf Wanderschaft sind, haben bereits viele Deutsche sich über das Schicksal der Russlanddeutschen informieren können. 2011, als sich die Deportation der Russlanddeutschen zum 70. Mal jährte, konnte sie so an 118 Orten gezeigt werden. Zahlreiche Begleitveranstaltungen vor allem für Schüler sorgten für eine breite Wahrnehmung.

Da die Wanderausstellung „Volk auf dem Weg“ überwiegend an öffentlichen Orten – in Hamburg ist es ein Einkaufszentrum gewesen – gezeigt wird, sehen sich auch Personen die Schau an, die deswegen niemals extra in ein Museum gegangen wären. Damit die Geschichte der Russlanddeutschen nicht zu abstrakt ist, ist sie unter anderem anhand von vier Familien greifbar gemacht worden. Der Interessierte kann erfahren warum die Familien Schwindt, Wedel, Biedlingmaier und Pflugfelder-Baun aus ihrer deutschen Heimat im 18. beziehungsweise 19. Jahrhundert nach Russland gingen. Er kann nachlesen, wo sie eine neue Heimat fanden, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienten und relativ ungestört lebten, bis sie im Ersten Weltkrieg erstmals zum Feind Russlands erklärt wurden, da ihre Vorfahren aus Deutschland stammten, sie oft überwiegend noch Deutsch sprachen und ihre deutschen Traditionen pflegten. Bereits 1915 war die Aussiedlung von Deutschen angedacht, obwohl viele der Männer als Soldaten im Dienst der russischen Armee standen. Da sich viele Stadtverordnete dagegen aussprachen, die fleißigen und ihrer Meinung nach unentbehrlichen deutschen Kolonisten umzusiedeln, wurde der Gedanke schnell wieder fallengelassen. Doch 1941, nachdem die Bolschewiki längst die Macht ergriffen hatten und durch die Kollektivierung der Landwirtschaft und die Bildung einer „neuen sozialistischen Gesellschaft“ die wohlhabenden russlanddeutschen Bauern und Bürger längst Enteignung und Unterdrück-ung hatten erfahren müssen, fand sich kein Fürsprecher mehr. Und mit dem von Kalinin und Alexander Gorkin unterzeichneten, aber vom wahren sowjetischen Machthaber Josef Stalin angeordneten Erlass begann die Deportation der Russlanddeutschen vor allem nach Sibirien. Zuvor wurden oft die Männer der Familien erschossen, die Familien wurden häufig auch getrennt, wie es bei den vier in der Ausstellung gezeigten Familienschicksalen auch der Fall war. Bis Ende 1941 wurden nach offiziellen sowjetischen Angaben 799459 Personen aus dem europäischen Teil der Sowjetunion nach Kasachstan und Sibirien „umgesiedelt“, unter ihnen 444115 Wolgadeutsche, wegen Spionage oft zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Eine Rückkehr in ihre Heimat wurde ihnen selbst nach der Rehabilitierung nach Stalins Tod 1953 verboten. Jene, die das Glück hatten, der Deportation zu entgehen, waren fortan entrechtet und wurden oft auch ihrer ökonomischen Basis beraubt. Auch unter dem im Vergleich mit Stalin moderaten Nikita Chruschtschow besserte sich die Stellung der Russlanddeutschen nur langsam. Daher versuchten viele Russlanddeutsche die Sowjetunion zu verlassen. Doch in den 50er Jahren durften nur wenige Tausend ausreisen, in den 60er Jahren sogar noch weniger. Ab Mitte der 70er Jahre ließ der Kreml wieder mehr ausreisen und die Bundesrepublik Deutschland nahm auch mehr auf. Nach dem Ende der Sowjetunion und mit dem Ende des Kalten Krieges, als die Möglichkeit zur Ausreise gegeben war, kam der Ansturm auf die Bundesrepublik Deutschland. 1990 kamen 147950 deutsche Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion. Es wurden jedes Jahr mehr, bis 1994 mit 213214 der Höhepunkt erreicht wurde. Im Jahr 2000 kamen nur noch 94558, 2010 sogar nur noch 2297.

Sie alle wurden aufgrund ihrer mangelhaften und altmodischen Deutschkenntnisse jedoch nicht überall mit offenen Armen aufgenommen. „Ah, sie hatten also auch einen deutschen Schäferhund“, wurden sie manchmal sogar direkt angegiftet. Doch auch wenn die Russlanddeutschen zum Teil vor über 200 Jahren ihre deutsche Heimat verlassen hatten, so hatten doch genau diese deutschen Wurzeln den Nachfahren dieser Auswanderer viel Leid eingebracht. Die Ausstellung „Volk auf dem Weg“ informiert nun die Deutschen über dieses Leid und verdeutlicht auch, dass die Russlanddeutschen keine klassischen Zuwanderer sind und auch heute noch durch Fleiß auffallen. Über 2,3 Millionen Russlanddeutsche sind seit 1950 aus der (ehemaligen) UdSSR nach Deutschland gekommen. Dass sie sich inzwischen fast überall perfekt integriert haben, dass beweist der Umstand, dass Russlanddeutsche heute in der öffentlichen Debatte kaum noch ein Thema sind, obwohl es doch fast so viele waren, die da kamen, wie einst aus der Türkei.  Rebecca Bellano


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