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17.03.12 / Zweite Gründerzeit in Berlin / Immer mehr Internet-Pioniere arbeiten von der Hauptstadt aus, doch die setzt auf Industriebetriebe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-12 vom 17. März 2012

Zweite Gründerzeit in Berlin
Immer mehr Internet-Pioniere arbeiten von der Hauptstadt aus, doch die setzt auf Industriebetriebe

Berlin entwickelt sich immer mehr zum weltweit beachteten Anziehungspunkt für die Internetbranche. Der rot-schwarze Senat will jedoch die längst vergessen geglaubte Industriepolitik wiederbeleben: „Berlin ist die Zukunft“ – so ähnlich wie die Überschrift im britischen „Economist“ klingen seit einiger Zeit immer mehr Berichte internationaler Medien, wenn es um den Gründungsboom  von Internetunternehmen in Berlin geht. In die Stadt strömen junge Talente mit Geschäftsideen ebenso wie renommierte Investoren aus dem Technologiesektor wie Benchmark Capital und Index Ventures, die auf der Suche nach lukrativen Anlagechancen sind.

Erste in Berlin gegründete Firmen der Branche haben inzwischen einen Unternehmenswert von mehreren hundert Millionen Euro erreicht. Auf die erste Berliner Neugründung, die einen Milliardenwert erreicht, wird gewartet. Doch schaut man sich den rot-schwarzen Koalitionsvertrag an, dann findet sich von dieser Entwicklung dort kaum etwas wieder. Der Senat hat stattdessen die Industriepolitik wiederentdeckt: Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass Berlin wieder an alte Traditionen anknüpfen kann und ein Industriestandort wird, wie es bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war, denkbar gering. Siemens und Allianz werden ihre Konzernzentralen nicht mehr aus München zurückverlegen. Borsig und die AEG  werden in Berlin keine Auferstehung feiern. Um etablierte Unternehmen per Fördermaßnahmen zu einem Umzug nach Berlin zu bewegen, fehlt das Geld. Gleiches gilt für das Geschäftsmodell  „Steuerdumping“, mit dem Standorte wie Luxemburg und Irland um Großkonzerne wie Amazon oder Ebay geworben haben.

Wenn Berlin eine Chance hat, dann liegen diese bei neugegründeten Unternehmen etwa in der Internetbranche. Erfahrungsgemäß wird ein Großteil der Neugründungen nicht langfristig am Markt bleiben. Unter den wenigen Konzepten, die sich als tragfähig erweisen, stecken allerdings die potenziellen Konzerne von Morgen, die eventuell sogar dem Standort Berlin treu bleiben. Das Paradoxe an der Entwicklung ist, dass der Unternehmungsgeist, der derzeit nach Berlin strömt, gar nicht die Erwartung auf Förderung á la Industriepolitik hat, die der Berliner Senat wiederbeleben will. Mehr als alle anderen ist die Internetbranche auf privates Kapital eingestellt. Was stattdessen erwartet wird, ist, dass sich Berlin auf Bundesebene dafür einsetzt, dass praxisferne Vorgaben verschwinden und nötige Regelungen wie ein Wagniskapital-Gesetz schneller umgesetzt werden. Gleiches gilt für einen Einsatz für die technische Infrastruktur.

Bisher ist der Senat mit solchen Bemühungen allerdings kaum aufgefallen: Bereits im Jahr 2003 gab es erstmals Überlegungen, in der Stadt einen kostenlosen Internet-Zugang per kabellosem Netzwerk einzurichten. International wäre Berlin damit Vorreiter gewesen. Für die Wirtschaft hätten sich zahlreiche neue Geschäftsfelder erschlossen, selbst ein Partner aus der Industrie war bereit, eine werbefinanzierte Lösung anzubieten. Bis heute hat sich in der Angelegenheit allerdings nichts getan. London wird nun die erste Großstadt Europas, die ein entsprechendes Netz zu den Olympischen Spielen in Betrieb nimmt. Im Rennen um den Titel „europäisches Sillicon Valley“ zunächst einmal ein Pluspunkt für die Stadt an der Themse.

Ebenso wenig ist die Versorgung der Berliner Haushalte mit Internet-Breitbandanschlüssen eine Erfolgsgeschichte. Die Führungsposition, die Deutschland technisch noch in den 90er Jahren bei der Glasfasertechnik innehatte, hat sich bei der Infrastruktur weder in Deutschland noch in Berlin niedergeschlagen. Angekündigt ist jetzt ein Pilotprojekt in Berlin-Neukölln, bei dem 4000 Haushalte Glasfaseranschlüsse erhalten sollen. Für Berliner Verhältnisse werden die geplanten Zugänge mit 100 Megabits pro Sekunde je Sekunde eine neue Dimension darstellen. Gemessen am Versorgungsgrad, den Haushalte in Südkorea, Hongkong oder Japan erreicht haben, bleibt Berlin allerdings – zumindest was diese Infrastruktur angeht – tiefste Provinz. Wenn Berlin trotz solcher Hemmnisse zum Dorado für Internet-Pioniere geworden ist, dann trotz und nicht wegen der Wirtschaftspolitik des Berliner Senats.   Norman Hanert


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