29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
17.03.12 / Der Krieg lässt sie nicht mehr los / Immer mehr US-Veteranen finden nach ihren Kampfeinsätzen nicht mehr zurück in den heimischen Alltag

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-12 vom 17. März 2012

Der Krieg lässt sie nicht mehr los
Immer mehr US-Veteranen finden nach ihren Kampfeinsätzen nicht mehr zurück in den heimischen Alltag

Während im heißen US-Wahlkampf die Republikaner, wie US-Präsident Barack Obama es in einer Pressekonferenz formulierte, „die Kriegstrommeln schlagen“ und seine Präferenz für eine diplomatische Lösung im Iran-Konflikt als „weich“ einstufen, sind die Folgen der letzten US-Kriege im Irak und Afghanistan immer stärker in der US-Gesellschaft spürbar.

Vor kurzem wurde das an täglichen Verbrechen nicht gerade arme Los Angeles von einer Reihe absurd scheinender Morde aufgeschreckt. Die Opfer waren ausnahmslos Obdachlose. Sie wurden mit über 40 Messerstichen ohne erkennbares Motiv erstochen. Bis beim letzten Opfer Passanten den Täter flüchten sahen. Sie verfolgten ihn und alarmierten die Polizei, so dass er gefasst wurde und die filmreife Mordserie auf diese Weise ein Ende fand.

Zur Überraschung der Polizei war der Täter namens Itzcoatl „Izzy“ Ocampo ein erst 23 Jahre junger Veteran der Marines (US-Marineinfanteristen), der im Irak gedient hatte und über den seine entgeisterten Angehörigen und Freunde nur Gutes zu sagen wussten. Der Anschlag auf das World Trade Center vom 11. September 2001 hatte den immer fröhlichen und hilfsbereiten Jungen dazu gebracht, zu den Marines zu gehen, wo er von 2005 bis 2010 diente. „Er war ein Muster-Marine“, betonte jetzt schockiert seine Vorgesetzte im renommierten Marines-Stützpunkt Camp Pendleton bei Los Angeles, Bonnie Tisdale: „Immer pünktlich und zuverlässig. Gleich wessen man ihn anklagt, ich würde ihm mit meinem Leben vertrauen. Er ist ein Veteran, der nicht die erforderliche Hilfe erhielt.“

Ein tiefes Mitleid empfand Ocampo für alle Armen und Leidenden. Nach dem Ende seines Militärdienstes ohne Job, unterstützte er Obdachlose mit seinem Arbeitslosengeld, gab ihnen oft seine letzten Dollar.

Was war geschehen? Wie ist so ein Wandel möglich? Itzcoatl „Izzy“ Ocampo leidet wie eine steigende Zahl von Irak- und Afghanistan-Veteranen unter einen psychischen Syndrom, das verheerend wirken kann: Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Wie bei der traumatischen Hirnverletzung (Traumatic Brain Injury, TBI) handelt es sich dabei um eine psychische Reaktion, in diesem Falle auf traumatische Ereignisse an der Front und den kompletten Unterschied zum sensationslosen Leben daheim. Patriotisch und abenteuerlustig haben sie sich anwerben lassen und werden dann mit der Realität eines brutalen Krieges in einem fremden Land mit anderen Menschen, anderen Bräuchen, anderer Religion und einem oft unsichtbaren tödlichen Feind nicht fertig, mit der Angst und dem Terror, den Verwundeten und Toten. PTBS wie TBI erzeugen Albträume, Schlaflosigkeit, schwere Depression, Aggressivität, Verstörtheit und Gefühlslosigkeit.

Ocampo diente bei einem Medical Battalion, das Tote und Verwundete an Ort und Stelle für den Weitertransport in Hospitäler betreut. „Als mein Sohn 2008 nach mehreren Einsätzen aus dem Irak zurückkam“, sagt sein Vater, ein aus Mexiko eingewanderter Rechtsanwalt, „erschien er wie verwandelt. Er redete davon, dass schreckliche Dinge geschehen werden und die Welt untergeht.“ 2010 quittierte Ocampo den Dienst. Aber zuhause wurde alles schlimmer. Sein Bruder: „Er war total verrückt. Überall suchte er nach Bomben und Waffen.“

Nach Schätzungen leben Zehntausende von Kriegsveteranen obdachlos auf der Straße. Davon haben rund 20 Prozent psychische Störungen, und 70 Prozent sind drogenabhängig. Hochgerechnet nehmen sich an jedem Tag 18 Veteranen das Leben. Ohne Job, ohne Geld, ohne Hoffnung und ohne Kameradschaft und Verbundenheit in gemeinsamen Aktionen, aber dafür oft mit zerstörten Familien fühlen sie nach dem Ende des Militärdienstes isoliert und nutzlos.

Wie die Selbstmord- ist auch die Scheidungsrate bei Militärangehörigen erschreckend hoch. Paare werden sich fremd mit jedem weiteren monatelangen Einsatz. Besonders schlimm ist es bei Veteranen, die unter PTBS leiden. Die Kinder sind dem Vater beziehungsweise der Mutter entfremdet und verängstigt angesichts von Wutanfällen, Tätlichkeiten und durch Depression. Die unehrenhaften Entlassungen aus der US-Army sind seit dem Irakkrieg um 40 Prozent gestiegen. Bei jedem fünften spielt Alkohol eine Rolle, bei jedem zweiten ist es Drogenmissbrauch. Hinzu kommen die durch schwere Verletzungen untauglich gewordenen Soldaten. Junge, durchtrainierte Menschen, die nun Invaliden sind, bevölkern die Hospitäler wie Rehabilitationszentren des Kriegsveteranenministeriums der Vereinigten Staaten (United States Department of Veterans Affairs, VA). Das VA versucht alles, um Hilfe zu leisten, ist aber nach so langer Kriegszeit total überfordert. Vor allem fehlen Psychologen, um die psychischen Störungen, auf denen die meisten schweren Probleme beruhen, rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln. Hilfsgesuche bleiben in der Bürokratie stecken. So war Ocampo mit PTBS eingestuft, erhielt aber keine Behandlung.

Hilfe kommt vielfach von privaten Initiativen. Sportveranstaltungen für Kriegsinvalide sind ein besonderer Erfolg. Und seit kurzem gibt es Lifequest, ein Musik-Camp in Colorado. Dort treffen sich vor allem verwundete Veteranen mit Liedermachern, die ihnen helfen, ihre Kriegserfahrungen in Songs einzubringen. Wie bei dem 28-jährigen Army Sergeant Tyler Daly, der im Irak durch eine Sprengfalle, eine sogenannte Roadside Bomb, verwundet wurde und seit seiner Ausmusterung an TBI, schwerer Depression, Alpträumen und Angstzuständen leidet: „Ich finde das Gefühl nicht mehr. Ich muss meine Geschichte erzählen. Berichten, wie es damals war, am Rand von Tod und Leben.“   Liselotte Millauer


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren