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17.03.12 / Glauben, singen, lernen / Leipzig feiert 800 Jahre Thomanerchor – 1212 unter Kaiser Otto IV. gegründet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-12 vom 17. März 2012

Glauben, singen, lernen
Leipzig feiert 800 Jahre Thomanerchor – 1212 unter Kaiser Otto IV. gegründet

Keine andere deutsche Stadt kann auf eine so große Musiktradition verweisen wie Leipzig. Der weltbekannte Thomanerchor begeht in diesem März sein 800-jähriges Bestehen. Dessen berühmtester Kantor war ab 1723 bis zu seinem Tod niemand geringerer als Johann Sebastian Bach.

Was bewältigen die Thomaner in ihren jungen Jahren! Was für Kompromisse müssen sie und ihre Familien eingehen! Welch sagenhafte Leistung, jede Woche eine der Bachkantaten einzustudieren!“, so der Kommentar einer Zuschauerin zu dem Film über „Die Thomaner“. Pünktlich zum Jahrhundert-Jubiläum ist es dem mehrfach preisgekrönten Regisseuren-Duo Paul Smaczny und Günter Atteln gelungen, mit viel Einfühlungsvermögen Deutschlands berühmtesten Knabenchor in einem 90-minütigen Porträt auf die Leinwand zu bringen und dabei dem staunenden Publikum einen Chor zu präsentieren, der auch nach 800 Jahren noch lebt, ja vielleicht sogar lebendiger ist als je zuvor.

Die Anfänge von Leipzigs Musikleben reichen bis in das Jahr 1212 zurück. Zu diesem Zeitpunkt eignete sich Markgraf Dietrich ein Gotteshaus an und stiftete es den Augustiner-Chorherren. Die dazugehörige Stiftschule hatte zunächst die Aufgabe, Knaben im liturgischen Singen auszubilden. Daraus ging der Thomanerchor hervor. Bis heute ist die Thomana, die Trias aus Thomaskirche, Thomanerchor und Thomasschule, aufs Engste mit Leipzig verbunden. Der Trias entspricht der Dreiklang: glauben, singen, lernen. Ihre Strukturen sind über die Jahrhunderte die gleichen geblieben.

„Das Einmalige daran ist“, so Christian Wolff, Pfarrer an der Thomaskirche, „dass ein Ort, an dem sich über 800 Jahre die musica sacra entwickelt und alle historischen Brüche überlebt hat, lebendig gestaltet, in den europäischen multikulturellen und religiösen Kontext gestellt und für Menschen aus aller Welt zugänglich erhalten wird.“

Schweden, Spanien, Großbritannien, Griechenland, Polen – die jungen Sänger haben inzwischen die Welt erobert. Bereits 1920, kurz nach dem Ersten Welkrieg, führte ihre erste Auslandstournee nach Dänemark und Norwegen. Seitdem werden die Thomaner außer zu Konzerten in Deutschland fast jährlich zu ausgedehnten Gastspielen ins Ausland eingeladen. Auch in Asien, Australien und Amerika eroberten sie bereits die Herzen der Zuhörer. Wie frenetisch sie dort gefeiert werden, bezeugt der bereits genannte Film, der seine Protagonisten unter anderem auf einer großen Konzertreise durch Südamerika begleitet.

„Ein Thomaner – ein Knabe, der mit dem Thomanerchor erwachsen wird – erlernt nicht nur das Singen und erhält nicht nur den Ansporn, in einer Chorgemeinschaft von Jungen im Alter von neun bis 18 Jahren zu leben, zu lernen und zu musizieren, sondern wird durch die Übernahme von Verantwortung in der Gemeinschaft, durch das Wohnen in dem „Alumnat“ genannten Internat und durch die musikalische Ausbildung auf seinen weiteren Lebensweg in besonderer Weise vorbereitet. Die gegenseitige Erziehung und Unterstützung fördert die Persönlichkeitsentwicklung. .... Der Thomaschor ist über alle Krisen hinweg stark geblieben, hat allen Versuchen, seine Arbeit von außen zu beeinflussen und zu beherrschen, standgehalten. Die Thomaner haben ein eigenes Leben, das durch Traditionen geprägt und unzerstörbar ist“, schreibt Kurt Masur im Jubiläumsbuch „800 Jahre Thomana“.

In der Thomasschule lernen Chorknaben und Externe gemeinsam. Das Schuljahr 2011/12 registriert 713 Thomasschüler, 94 von ihnen sind zugleich Thomaner. „Gerade diese Mischung, die auch die Lehrer stark fordert, treibt unsere Schule schon seit Jahrhunderten voran“, so Schulleiterin Kathleen-Christina Kormann. Als humanistisches und sprachliches Gymnasium mit besonderen Schwerpunkten in Musik und Kunst, aber auch in den Naturwissenschaften, ist die Thomasschule eine der erfolgreichsten Bildungseinrichtungen Deutschlands und ein starkes Glied in der Reihe der Traditionsschulen wie dem Kreuzgymnasium Dresden, der Landesschule Pforta in Sachsen-Anhalt, dem Gymnasium am Kaiserdom Speyer oder der Gelehrtenschule des Johanneums in Hamburg.

Die Gegenwart stets im Auge, stellt eine Bildungskonferenz am 18. September 2012 die Frage, wie sich klassische Bildung in der heutigen Spaßgesellschaft ein- und umsetzen lässt. Über die Rahmenbedingungen wurde bereits tatkräftig entschieden. Seit dem Jahr 2000 entsteht im Bachstraßen-Viertel um Thomasschule und Alumnat das Campus forum thomanum, ein international ausgerichtetes Bildungszentrum mit diversen ganzheitlich angelegten Einrichtungen für Kinder und Jugendliche. Dabei wird zurzeit auch das Internat in der Hillerstraße erweitert und erneuert.

Davon unberührt bleiben Thomaskirche und Thomanerchor eine Garantie dafür, dass die Musik Johann Sebastian Bachs unvergessen bleibt. Dreimal wöchentlich hat der Thoma­nerchor Dienst in St. Thomas: Freitags um 18 Uhr und sonnabends um 15 Uhr erklingen die Bachschen Motetten und Kantaten, sonntags um 9.30 Uhr singt er zum Gottesdienst.

27 Jahre, von 1723 bis 1750, war Johann Sebastian Bach städtischer Musikdirektor und Thomaskantor in Leipzig. Zweifelsohne zählt diese Zeit zu den kreativsten seiner musischen Schaffensphasen – und zu den glücklichsten für die Nachwelt. Denn bis heute verkörpert der Thomanerchor Bachs Musik in einer Weise, wie sie in der ganzen Welt verstanden wird.

Kommenden Dienstag wird mit einem offiziellen Festakt in der Thomaskirche der Gründung des Thomanerchores gedacht und anschließend mit einem Festumzug der Campus forum thomanum eingeweiht. Einen Tag zuvor eröffnet im Stadtgeschichtlichen Museum die Ausstellung „Cantate!“ zur Geschichte des Chores (bis 17. Juni). Im Rahmen der Thomana 2012 gibt es drei Festwochen. Der Thomanerchor organisiert Festtage vom 19. bis 25. März, die Thomaschule vom 17. bis 23. September und die Thomas­kirche vom 31. Oktober bis 4. November. Insgesamt umfasst das Jubiläumsprogramm bis Januar 2013 rund 250 Veranstaltungen. Helga Schnehagen

Informationen: Tourist-Information, Katharinenstraße 8, 04109 Leipzig, Telefon (0341) 7104-260.


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