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24.03.12 / »Geiz ist geil?« Nein danke!

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-12 vom 24. März 2012

Gastbeitrag
»Geiz ist geil?« Nein danke!
von Günter Scholdt

Bei meinen seltenen optischen Ausflügen ins Fernsehen blieben mir zwei Reklamespots als besonders widerlich im Gedächtnis. Im ersten reflektiert eine heutige Schauspielerschönheit angesichts eindrucksvoller Naturbilder, ob es im Leben nicht Wichtigeres gebe als Geld, um dann mit einem plötzlichen „Nö“ irgendeine Finanzanlage anzupreisen. Im zweiten handelt es sich um den mittlerweile zum sprachlichen Volksgut verkommenen Werbespruch „Geiz ist geil“. Dazu eine Feststellung jenseits des Marktschreierischen: Geiz ist gewiss nicht „geil“. Jahrhunderte mit einem Mindestgefühl für Semantik und Sitten haben Geiz als das klassifiziert, was er vermutlich vor allem sein dürfte: ein sozialschädlicher Charak-terdefekt, der mit Sparsamkeit so viel zu tun hat wie Liebe mit Vergewaltigung. Molière, Dickens oder Balzac verdeutlichten mit Figuren wie Harpagnon, Scrooge oder Gobseck nachdrücklich solche Persönlichkeitsdeformationen.

Während eines Nordseeurlaubs in den 80ern lernten meine Frau und ich einen Steuerberater kennen. Er wusste pikante Details über – wen wundert’s – steuerlich absetzbare Geldwäsche-Fortbildungskurse in der Schweiz. Er fuhr den damals wohl größten Mercedes, was ihn nicht daran hinderte, selbst Pfennigbeträge durch unbequemste Mitfahrten bei anderen einzusparen. Seine zwölfjährige Tochter trug teuersten Goldschmuck. Doch als sie in der Ebbe-Woche meine Frau ins Meerwasserschwimmbad begleiten wollte, wurde ihr dies der Kosten wegen untersagt. Die Tochter zumindest war „not amused“ und hielt damals Geiz mitnichten für „geil“.

Nun verkenne ich nicht, dass es heutigen Werbetextern gar nicht um Wertaussagen geht, sondern ausschließlich um Aufmerksamkeitsprovokationen. Tappen wir ihnen also nicht in die Wirksamkeitsfalle, indem wir uns über sie auch noch erregen. Fragen wir lieber, ob denn die Grundbehauptung wenigstens ökonomisch sinnvolll ist. Und dazu fallen mir nun allerdings Dutzende von Beispielen ein, in denen Geiz keineswegs die erhoffte Rendite abwirft. Wohlgemerkt: Geiz, nicht Sparsamkeit, der ich vieles abgewinnen kann und die ich jedem Treuhänder öffentlicher Gelder (häufig leider vergeblich) dringend empfehle.

Ein privates Beispiel: Millionen besorgen sich per Discounter jene digitalen Wunderinstrumente, ohne die wir heute nicht mehr auskommen. Auch von denen, die sich anderes leisten könnten, wird dabei häufig der Fachhandel ausgeschaltet und nahezu ruiniert, wobei man keineswegs bedenkt, dass so komplizierte Geräte auch gewartet werden müssen und man der Beratung bedarf. Dass diese aber von irgendwelchen größeren Firmen auch nur annähernd zufriedenstellend gewährleistet wird, gehört zu den frommen Illusionen naiver Gemüter.

Wer sich je durch die (teils kostenpflichtigen) telefonischen Warteschleifen hindurchgequält hat, weiß, welcher Seelenfolter man sich dabei aussetzt, von der Effizienz der dann vorgegaukelten Hilfen ganz zu schweigen. Vieles, was wir also beim Schnäppchenkauf gespart haben, zahlen wir später durch Zeitverlust wieder drauf oder dadurch, dass wir auf eigene Kosten Spezialisten kommen lassen müssen.

Besonders ärgerlich ist, dass auch der Staat respektive die Behörden glauben, sich auf diese mechanische Weise von ihrer Informationspflicht befreien zu dürfen. Die Telefonprozedur, die man uns dabei zumutet, um durch Eingabe von Nummern von A über B nach C zu gelangen, stets in der Hoffnung auf jenen einzig Kompetenten, der uns keine weitere anonyme Verrichtung abverlangt, hätte man noch vor drei Jahrzehnten schlicht für absurd erklärt. Denn diese Art Kosten mindernde Kalkulation, zu deren Ausarbeitung man offenbar längere betriebswirtschaftliche Studien braucht, lässt sich auch einfacher bezeichnen: als Dienstleistungsverweigerung oder Verrat gegenüber vielen (älteren) Bürgerinnen und Bürgern.

Wenn in meiner Heimatgemeinde binnen kurzem fünf Briefkästen abgehängt wurden und jetzt das sprichwörtlich ältere Mütterchen zwei Kilometer hin und zwei zurücklaufen muss, um eine Postkarte zu versenden, nenne ich dies einen sozialpolitischen Skandal. Man registriere die grotesken Szenen an manchen Bahnhöfen, wo PC-Unerfahrene sich eine Fahrkarte lösen möchten, irritiert von zahllosen Eingaben und wartenden Dränglern, die ebenfalls unter Zeitdruck stehen. Als Richter würde ich jeden Computer-Unkundigen freisprechen, der beim längeren Versuch, sich eine Karte für bestimmte Bezirke zu verschaffen, irgendwann die Nerven verliert und bei nicht selten defekten Geräten auch mal ganz auf den Fahrschein verzichtet. Vernünftige persönliche Beratung ist kein locker einzusparender nostalgischer Luxus, sondern entspringt einfach mitmenschlicher Verantwortung.

Fatal ist, in welch umfassender und offenbar – hier bin ich illusionslos – unumkehrbarer Weise sich auch die öffentliche Hand als geizig erweist. Da haben Stadtkämmerer, um schnell an flüssiges Geld zu kommen, ganze Wasserwerke und Energieversorgungsnetze an (weit vom Schuss residierende) Investoren verhökert, die ihnen im Zuge abenteuerlicher Sparmodelle goldene Nasen versprachen. Jetzt merken sie, dass ihnen mittelfristig das Fell über die Ohren gezogen wurde, und sie gewärtigen langfristige Rückzahlungen, die wie immer die Zukunft belasten.

Weil kurzfristig etwas besonders günstig erscheint, vergessen wir häufig als Privatleute wie Volksvertreter, dass es noch ein Morgen gibt und eingegangene Verpflichtungen sich leider nicht so schnell verflüchtigen. Tausende von Städten und Kommunen, von Remscheid bis Pforzheim, haben durch Zins- und Währungswetten (Cross Currency Swaps) Gemeindegelder verzockt, nicht selten zweistellige Millionen-Beträge. Krankenhäuser im deutschen Südwesten entlassen ihre versierten (Diät-)Köche und importieren Tiefgefrorenes aus Polen. Städte engagieren Privatfirmen, die durch ausgeklügelte Aufstellung von Messgeräten sogenannten Temposündern an den Geldbeutel gehen. Wo das Strafgeld im kommunalen Haushalt bereits mit Steigerung eingeplant ist, können wir dabei sicher sein, dass dem vorgeblichen Ziel der Verkehrssicherheit die geringste Bedeutung zukommt.

Eine Großbuchhandlung in S. zahlt Rechnungen nach interner Anweisung erst bei der zweiten Mahnung, was Kleinverlage besonders schädigt. Oder man denke an jene ausgefuchsten Rationalisten des Teufels, die für Geflügelfarmen akribisch errechnen, wie man den ohnehin geplagten Tieren vielleicht noch ein paar Quadratzentimeter Lebensraum abknapsen könnte. Ganz zu schweigen von jenen Sadisten, die um Preis- oder Subventionsvorteile willen am Ende völlig erschöpftes Schlachtvieh von Sizilien bis Flensburg karren lassen. Und richtig „geil“ ist es auch nicht für Menschen in Neu-Delhi, die um Mitternacht aufstehen müssen, um für Chicago die Bahnhofsdurchsagen zu übernehmen. Denn das kommt die dortigen Bosse offenbar billiger als einheimische Sprecher.

Gibt es eigentlich für die Mehrheit keine innere Bremse, die einem einfach mal nahelegt: „Das tun wir nicht“? Nein, in der Breite dieser Gesellschaft nicht? Nun, dann haben wir auch wenig Anspruch auf Mitleid, falls wir selbst einmal Gegenstand geiziger wirtschaftlicher Nutzenrechnung werden.

 

Der Germanist Prof. Dr. Günter Scholdt war bis zu seiner vor kurzem erfolgten Emeritierung Leiter des Saarbrücker Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsass.


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