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24.03.12 / Humanist in allen Lebenslagen / Enthusiast und Idealist: Beim Kampf um Ostpreußen fiel Lew Kopelew in Ungnade

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-12 vom 24. März 2012

Humanist in allen Lebenslagen
Enthusiast und Idealist: Beim Kampf um Ostpreußen fiel Lew Kopelew in Ungnade

In der Sowjetunion als Staatsfeind verfolgt und bestraft, im Westen als Verfechter der Menschenrechte geehrt — Lew Kopelew, der vor 100 Jahren das Licht der Welt erblickte, zog als überzeugter Kommunist freiwillig in den Krieg. Später setzte er sich für die Aufarbeitung kommunistischer Geschichtsverfälschungen ein.

Hamburg 1987: Lew Kopelew begleitet seine Frau Raissa Orlowa auf einer Lesereise anlässlich ihres gemeinsamen Buchs „Wir lebten in Moskau“. Raissa liest stockend und mit Akzent eine Passage aus ihrem Werk. Das Publikum hört gespannt zu. Die anschließenden Fragen beantwortet Lew, der Germanist. Er erhebt sich, ein stattlicher Mann, seine schwarzen Augen glühen beim Sprechen, sein tiefer Bass erfüllt den Raum. Temperamentvoll und feurig erzählt er, wie es dem Ehepaar in Moskau erging. Wer ihn so erlebt, kann sich lebhaft vorstellen, dass der impulsive Mann Schwierigkeiten bekam, wenn er mit Enthusiasmus seine Überzeugungen vertrat. Parteiausschlüsse begleiteten sein Leben. Als Schüler hatte er sich mit Trotzkisten eingelassen, im Krieg wurde er wieder ausgeschlossen, nach Verbüßung seiner Haft rehabilitiert, bis er schließlich Anfang der 80er Jahre ausgebürgert wurde. Keine Erziehungsmaßnahme hielt ihn davon ab, Anstand und Menschlichkeit zu bewahren. Kopelew war überzeugter Kommunist, naiv glaubte er an ein besseres Leben im Weltsozialismus. Weil der am 27. März 1912 in Kiew als Sohn eines jüdischen Agronoms Geborene schon im Kindesalter mit der deutschen Sprache vertraut war, studierte Lew Germanistik. 1941 meldete er sich freiwillig zur Armee, wo er zunächst seine Deutschkenntnisse als „Instrukteur für Aufklärungsarbeit im Feindesheer“ nutzen konnte. Später arbeitete er in der Propagandaabteilung, unter anderem mit Angehörigen des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ (NKFD) mit dem Ziel, Soldaten der deutschen Wehrmacht zum Überlaufen zu bewe-gen. Kopelew nahm an mehreren Schlachten im Krieg teil. Sein Einsatz während des Einmarschs der Roten Armee im Januar 1945 in Ostpreußen wurde ihm zum Verhängnis: Als  Major Kopelew mit einer Gruppe Soldaten nach Neidenburg kommt, treffen sie eine herumirrende Frau, die ihren im besetzten Haus zurückgebliebenen Sohn sucht. Kopelew verspricht nachzusehen, doch ein Kamerad erschießt die Frau vor seinen Augen und raubt ihren Mantel. Kopelew schäumt vor Wut, der gescholtene Soldat beruft sich auf Ehrenburgs Propaganda-Aufruf, alles zu zerstören und alle Deutschen zu töten. Derartige Szenen wiederholen sich. Immer wieder stellt der „schwarze Major“ Kopelew sich schützend vor Angehörige der deutschen Zivilbevölkerung. Den Vorgesetzten ist er bald ein Dorn im Auge. Kopelew wird vor Gericht gestellt. Für „Mitleid mit dem Feind“ werden ihm zehn Jahre Gulag aufgebrummt. In seinem Buch „Aufbewahren für alle Zeit“ zieht Kopelew schonungslos Bilanz. „... alle, die Königsberg erobern werden, die sterben, verbluten, und alle, die in den Etappen saufen und Frauen quälen. Wir alle gehören zusammen. Die Anständigen und die Schufte, die Tapferen und die Feiglinge, die Gutherzigen und die Grausamen ... Ruhm und Schande lassen sich nicht voneinander trennen.“

Aus der Gefangenschaft entlassen, erlebte Kopelew in Moskau die Tauwetterperiode. Er fand ein breites Betätigungsfeld: Er schrieb, übersetzte, hielt Vorlesungen, traf sich mit Verehrerinnen. Kopelew wurde neben Solschenizyn einer der bekanntesten sowjetischen Dissidenten. Schon Mitte der 60er Jahre setzte Kopelew sich für Andersdenkende wie Andrej Sacharow und Alexander Solschenizyn ein. Als Dissident schrieb er kritische Artikel, Proteste gegen die Verfolgung Andersdenkender, veröffentlichte in westlichen Medien. Seine Wohnung wurde zur Anlaufstelle von Dissidenten und Auslandskorrespondenten wie Fritz Pleitgen und Klaus Bednarz. Über diese Kontakte erreichten seine Manuskripte und Briefe den Westen. In dieser Zeit lernte Kopelew auch den deutschen Schriftsteller Heinrich Böll kennen, mit dem ihn eine enge Freundschaft bis zu dessen Tod 1985 verband.

Als das Ehepaar Kopelew sich 1980 auf das Wagnis einer Bildungsreise nach Deutschland einließ, glaubte es nicht daran, ausgebürgert zu werden, doch schon Anfang 1981 wurde die Auslandsreise zum Exil. Das Ehepaar fand Aufnahme bei Heinrich Böll. Lew Kopelew war als Interview- und Ge-sprächspartner sehr gefragt. Er machte auch in seiner Kölner Zeit immer wieder auf Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion aufmerksam. Er warb ähnlich wie die Moskauer Memorial-Gesellschaft für die Aufarbeitung der verschwiegenen und von der Zensur tabuisierten kommunistischen Verbrechen.

Kopelew reiste 1989 und 1990 noch einmal nach Moskau, doch das Land war ihm fremd geworden. In Köln setzte er seine Arbeit für die Völkerversöhnung fort. Am 18. Juni 1997 starb Lew Kopelew in Köln. Die Stadt ehrte den Schriftsteller mit der Errichtung eines Kopelew-Forums und der Benennung eines Wegs, in dem er wohnte, nach ihm. M. Rosenthal-Kappi


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