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24.03.12 / Feuer fiel vom Himmel / »Moral Bombing«: In Lübeck führte die Royal Air Force die erste systematische Zerstörung von Wohngebieten durch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-12 vom 24. März 2012

Feuer fiel vom Himmel
»Moral Bombing«: In Lübeck führte die Royal Air Force die erste systematische Zerstörung von Wohngebieten durch

298 Menschen kamen ums Leben, als vor 70 Jahren in der Nacht vom 28. auf den 29. März 1942 Bomben auf Lübeck fielen. In das Bewusstsein der Stadt hat sich diese Nacht unter dem Namen Palmarum eingebrannt. Die Innenstadt Lübecks war das erste Ziel eines Bombenangriffs auf Wohngebiete in Deutschland.

10000 Lübecker fanden damals ihr Zuhause in Trümmern. Zur Bilanz der Schreckensnacht zählten 1900 völlig zerstörte und 5900 stark beschädigte Gebäude. Dennoch: 700000 Kubikmeter Trümmer stehen lediglich als statistische Größe für das Ausmaß der Zerstörung. Die menschliche Not, der Verlust unwiederbringlich verlorener Kunstschätze kann damit nicht erfasst werden.

Der britische Luftmarschall Arthur Harris („Bomber-Harris“) galt als Experte des Flächenbombardements. 378 Flugzeuge standen Harris insgesamt zur Verfügung, darunter 69 schwere Bomber. Von dieser Luftflotte schickte er in der Nacht zum Palmsonntag 234 Maschinen nach Lübeck.

In diesem Punkt hat sich das Polizeipräsidium Lübeck grob verschätzt, als es einen Monat nach dem Angriff am 30. April 1942 einen „Erfahrungsbericht über den Luftangriff auf den LS-Ort Lübeck am 28./29. März 1942“ herausgab, wobei „LS“ für „Luftschutz“ steht. Über das, was in jener Nacht geschah, ist später viel geforscht, veröffentlicht und gestritten worden. Je weiter die Unglücksnacht zurücklag, desto heftiger wurde gestritten. Aus Anlass des 70. Jahrestages dokumentiert die PAZ die Palmarumnacht mit Zeitzeugnissen. In dem bereits genannten Bericht der Polizei heißt es:

„1. Zeit des Angriffes:

Bei dem Angriff auf den LS-Ort Lübeck am 28. März 1942 wurde Fliegeralarm 23.16 Uhr gegeben. Gleichzeitig mit dem Alarm setzte Flakbeschuss ein. Der Angriff erfolgte unmittelbar darauf. Entwarnung wurde am 29. März 1942 um 3.35 Uhr gegeben.

2. Art des Angriffes:

Bei dem Angriff, an dem schätzungsweise 60 bis 70 Flugzeuge beteiligt waren, handelte es sich um einen konzentrischen Großangriff gegen den LS-Ort Lübeck mit dem Schwerpunkt auf der Innenstadt, den angrenzenden Vorstädten St. Jürgen, St. Lorenz-Süd und -Nord, sowie in geringem Ausmaß gegen die Vorstädte Marli und Moisling. Da in den betroffenen Stadtteilen außer dem Drägerwerk größere bedeutende Industrie- und Verkehrsanlagen nicht liegen, ist der gegen die Bevölkerung gerichtete Terrorangriff klar erkennbar. Die Wetterlage, helle Vollmondnacht und klare Sicht, begünstigte den Angriff des Gegners. Während der ersten Stunden des Angriffs wurden neben zahlreichen Stabbrandbomben auch mehrere Sprengbomben im Hochangriff abgeworfen. Später erfolgte Spreng- und Brandbombenabwurf als Gemischwurf sowie Abwurf von Flüssigkeitsbrandbomben (Benzin-Kautschukbomben). Es wurde festgestellt, dass der Gegner bei den späteren Wellen vielfach im Gleitflug angriff und hierbei in der Hauptsache die Flüssigkeitsbrandbomben abwarf sowie die mit dem Löschen der Brände beschäftigten Einsatzkräfte mit Bordwaffen beschoss. Beim Tiefangriff waren die Flugzeuge sowie das Mündungsfeuer aus den Bordwaffen klar erkennbar. Während der Dauer des Angriffs warf der Gegner zahlreiche Leuchtbomben ab.

3. Anzahl und Art der Bomben:

Nach den bisherigen Feststellungen wurden an Bomben abgeworfen:

a) Stabbrandbomben 8000 (geschätzt),

b) Flüssigkeitsbrandbomben 400 (250 lbs [Pfund, d. Red.]),

c) Sprengbomben 300 (500 und 1000 lbs-15 LZZ [Langzeitzünder, d. Red.]).

Ferner wurden sechs Luftminen festgestellt.

7. Führungsfragen:

Der sofort mit großer Heftigkeit einsetzende Angriff hatte zur Folge, dass unmittelbar nach der ersten Angriffswelle an verschiedenen Stellen der Stadt große Brände ausbrachen, die den sofortigen Einsatz starker Feuerlöschkräfte erforderlich machten … Für die Führung fiel besonders erschwerend ins Gewicht, dass durch Sprengbombentreffer in kurzem Zeitraum die Stromversorgung aussetzte und damit auch die Fernsprechverbindungen …“

Soweit die allgemeinen Feststellungen. Im Detail wurde berichtet:

„Die erste Schadensmeldung erfolgte durch den Turmbeobachter, der einen Brand in der Aegidienstraße meldete. Die Züge wurden daraufhin dort eingesetzt. Es stellte sich aber heraus, dass nicht die Aegidienkirche brannte, sondern die etwa 300 Meter dahinterliegenden Häuser der Musterbahn.

In der Musterbahn selbst brannten mehrere Dachstühle auf beiden Seiten der Straße. Die Gegend lag unter dauerndem Beschuss durch Spreng- und Brandbomben. In einem Hause befand sich noch eine Bewohnerin im obersten Geschoß. Ein Versuch, diese zu retten, misslang, da bereits das darunterliegende Geschoss und das Treppenhaus zu brennen begannen.

Sämtliche Feuer an dieser Stelle, wie auch die an allen anderen Schadensstellen, entwickelten sich sofort zu Großfeuern.“

Es folgt die Aufzählung weiterer Großfeuer. Deren Bekämpfung war nicht möglich, weil zur gleichen Zeit auch bisher nicht beschädigte Gebäude von Brandbomben getroffen wurden.

„Für die zahlreichen Schadensstellen … standen keine Kräfte zur Verfügung. Bereits nach etwa einer Stunde waren zahlreiche Straßen durch Trümmer unpassierbar geworden …

In der oberen Johannisstraße brannte die ganze Häuserfront. Zur Bekämpfung war nur eine Gruppe vorhanden. Aus dem Dachstuhl des Warenhauses Karstadt in der Johannisstraße stieg bereits Rauch hervor. Das Warenhaus selbst war dann in kurzer Zeit vom Feuer erfasst. Es besteht die Vermutung, dass es durch die strahlende Hitze der gegenüberliegenden brennenden Häuser entzündet wurde. Die Johannisstraße ist an dieser Stelle etwa zehn Meter breit …

An verschiedenen weit auseinanderliegenden Stellen der Stadt war ein intensiver Leuchtgasgeruch bemerkbar. Es wurde vermutet, dass es sich um Ausströmungen aus dem Gasrohrnetz handelt. Später wurde festgestellt, dass es sich hierbei um den Geruch der Kautschuk-Benzin-Füllungen der Brandbomben handelte. An einigen Stellen führte der Ruf ,Gas!‘ zu der Auffassung, dass es Kampfstoffe wären …“ Klaus J. Groth


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