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07.04.12 / Schmackostert wurde auch / Erinnerungen aus dem Sammelsurium eines ostpreußischen Geschwisterpaares

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-12 vom 07. April 2012

Schmackostert wurde auch
Erinnerungen aus dem Sammelsurium eines ostpreußischen Geschwisterpaares

Sie sollen wissen, dass es im Vogtland eine alte Ostpreußin und einen noch älteren Ostpreußen gibt, die ein wenig über das Dasein einer ostpreußischen Familie aufgeschrieben haben“, so beginnt ein an mich gerichteter Brief, der einem Buch beilag, das schon allein durch sein Volumen aus dem Rahmen fällt, denn es umfasst 360 Seiten. Ist das bereits für eine Familienchronik ungewöhnlich, so ist es der Inhalt erst recht, er passt einfach in keine literarischen Gliederung, und in solche sollte man ihn auch nicht einfügen, sondern das gebundene Werk so bezeichnen, wie das schreibende Geschwisterpaar es in einem Innentitel genannt hat: ein Sammelsurium!

Es ist ein Mix aus Erinnerungen, Geschichten, Gedichten, Lebensbildern, Fotos, Zeichnungen, Zeitungsausschnitten und anderem Bewahrten und wird somit zu einem Spiegelbild einer Landarbeiterfamilie aus dem nördlichen Ostpreußen, die nach der Flucht in einem Behelfsheim im vogtländischen Tannenbergsthal landet. Genauer: im Behelfsheim Nr. 3, und so lautet auch der Untertitel des Buches „Raum ist in der kleinsten Hütte“. Ein bisschen viel Titelei auf den ersten Blick, aber man bekommt schon eine Ahnung von der Vielseitigkeit des von dem Geschwisterpaar im hohen Alter Aufgeschriebenen. Otto Höchst (82) und Liesbeth Roeder geborene Höchst (fast 80) heißen sie, sie stammen aus Alt-Kattenau, Kreis Stallupönen/Ebenrode, und sie widmen den zweiten Teil ihres gemeinsamen Werkes dem viel zu früh verstorbenen Bruder, dem Schauspieler Siegfried Höchst, der mit seinen Mitteln in der damaligen DDR um ein neues humanistisches Menschenbild kämpfte und daran zerbrach. Über den sensiblen Künstler werden wir noch gesondert berichten, hier und heute will ich nur einen Auszug aus den Erinnerungen an eine bescheidene, aber glückliche Kindheit in der Geborgenheit der Heimat bringen. „Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke: Das kleine Dorf mit seinen roten Backsteinhäusern wird mir bis an mein Lebensende in traumhafter Erinnerung bleiben“, so beginnt Otto Höchst. „Mein Alt-Kattenau, das später Neu-Trakehnen hieß und heute Furmanowka – es gehörte uns Kindern!“ Und eine kleine Episode aus dieser behüteten Kindheit wollen wir herausgreifen, weil sie so gut zu Ostern passt. Otto Höchst schildert seinen Besuch in der Sonntagsschule, er war noch nicht einmal fünf Jahre alt, aber die christlich geprägten Eltern bestanden darauf. Und diese nur ein paar Schritte von ihrem Elternhaus entfernten Schule mit den hohen Bogenfenstern hatte für den kleinen Horst auch etwas Faszinierendes. Da gab es Herrn Ernst und Fräulein Maukel, die die Christenlehre vermittelten. Er – ein großer Mann mit gütigem Gesicht. Sie – eine kleine zierliche Person, die kaum sprach, aber wunderbar auf dem Harmonium spielte. Der schlichte Raum wurde im Vorfeld christlicher Feiertage festlich geschmückt, so auch zu Ostern. Das versetzte die Kleinen in einen Glückszustand voller Freude und Erwartung. Und nun lasse ich Otto Höchst erzählen:

„,Wir wollen über Ostern reden‘, sagte Herr Ernst und schaute in die Runde. ,Was ist Ostern für Euch, und wie feiert Ihr zu Hause, wer kann dazu etwas sagen?‘ Die Antworten blieben nicht aus. Sie reichten von ,Wir beten‘ und ,Wir suchen Ostereier‘ bis ,Wir backen Kuchen.‘ Ich meldete mich und sagte: ,Vor dem Ostertag backt meine Mutter Kuchen, und wir lecken die Schüsseln aus. Dann färben wir alle zusammen Oster­eier, und manchmal malen wir auch welche an. Die Mutter hat schon längst Süßigkeiten gekauft, und die kramt sie dann hervor. Davon werden für uns Kinder heimlich Nester gemacht, und die werden in unserem Garten unter den Johannisbeersträuchern versteckt. Wir tun dann so, als würden wir sie suchen. Wir wissen aber schon längst, wo sie sind. Wenn wir unsere Nester gefunden haben, bringen wir sie in die Stube und stellen sie auf den Tisch. Dann nehmen wir grüne Zweige, die auf der Bank vor dem Haus liegen, und gehen zuerst zu Oma und Opa. Mit den Zweigen rascheln wir ganz laut und verstellen uns und tun so, als ob wir sie verhauen wollen. Dann sagen wir unser Sprüchlein: ,Oster, Schmack­oster, drei Eier, Stück Speck, vom Kuchen die Eck, eher gehen wir nicht weg.‘ Opa und Oma tun dann so, als fürchteten sie sich, und wir bekommen Süßigkeiten und Kuchen. Und dann gehen wir auch noch zu Tante Lotte und Oma Ernigkeit und manchmal auch zu Dischereits. Dann gehen wir nach Hause.‘“

Wer durch diese kleine Probe aus dem „Sammelsurium“ der Geschwister Höchst auf den Geschmack gekommen ist, kann sich an den Verfasser wenden, der mit Genugtuung feststellen kann, dass man sich gegenwärtig im Vogtland um Aufwertung des Themas Flucht und Vertreibung bemüht. (Otto Höchst, Straße des Aufbaus 5, 08209 Auerbach/Vogtland, Telefon 03744/365456.) R.G.


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