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07.04.12 / Identität durch Tradition / 100 Jahre Domowina – Osterritte bei den katholischen Sorben in der Oberlausitz bestehen seit 1540

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-12 vom 07. April 2012

Identität durch Tradition
100 Jahre Domowina – Osterritte bei den katholischen Sorben in der Oberlausitz bestehen seit 1540

Das kleine westslawische Volk der Sorben begeht in diesem Jahr das hundertjährige Bestehen ihres Nationalverbandes, der „Domowina“. An Ostern zieht der katholische Brauch des Osterreitens Tausende Besucher in die Gegend zwischen Hoyerswerda, Kamenz und Bautzen.

Zu Ostern ist die sächsische Region Lausitz wahrhaft „panslawisch“, und die Lausitzer Sorben führen Regie. Von Häusern und Türmen wehen blau-rot-weiße Sorbenfahnen, über die Wege reiten 1500 „Krizerjo“ (Osterreiter) auf neun vorbestimmten Strecken, am Straßenrand begeistert bewundert von Polen, Russen, Serben, Tschechen und wer sonst noch Ostern, das schönste Slawenfest, in Gemeinschaft des kleinsten Slawenvolks, der (wohlwollend gerechnet) 80000 Sorben, erleben möchte.

Sorben sind sehr gastfreundlich, aber während des Osterritts herrscht strenge Exklusivität: Nur katholische Obersorben dürfen mitreiten, Gehrock und Zylinder sind Pflicht, Gebete und Gesänge werden in Sorbisch intoniert. Jede „Prozession“ wird von einer Gegenprozession erwidert, was exakte Zeitplanung verlangt, denn die Reiterzüge dürfen sich nicht kreuzen, weil das Unglück brächte.

Seit 1540 finden die Osterritte in ungebrochener Kontinuität statt, nicht einmal das verheerende Kriegsfrühjahr 1945 hat sie aus dem Rhythmus gebracht. Der für Slawen typische Trotz ist bei Sorben besonders gut entwickelt, was sie als einzige befähigte, sich westlich der Oder-Neiße-Linie festzusetzen: Woran Obodriten, Polaben und andere scheiterten, das schafften Lusizer und Milzener, die später Sorben oder Wenden (von lateinisch „Veneti“) genannt wurden. Viele waren sie nie, schon Luther prophezeite, dass sie wohl demnächst ausstürben, aber bekanntlich leben Totgesagte besonders lange.

Zu Ostern demonstrieren sie ihre Lebenskraft, wobei 2012 neben 472 Jahren Osterritten noch ein Jubiläum ganzjährig zu würdigen ist: Vor 100 Jahren, 1912, schlossen sich in Hoyerswerda 31 sorbische Vereine zum Nationalverband „Domowina“ (Heimat) zusammen, um ihre ethnokulturelle Eigenständigkeit besser zu repräsentieren und zu fördern.

Im März 2006 starb Jurij Brezan (geboren 1916), der große sorbisch-deutsche Autor. Anfang März 2012 verschied Rudolf Kilank (Jahrgang 1937), sorbischer Priester aus Bautzen (Budysin). Beide Männer waren Zeugen der schlimmen Zeiten, die ihr kleines Volk im 20. Jahrhundert durchlebte. Brezan hat in seiner Autobiografie „Mein Stück Zeit“ beschrieben, wie die Nationalsozialisten aus Sorben „Wendisch sprechende Deutsche“ machen wollten, und am 18. März 1937 schließlich alles Sorbische verboten, als sie auf sorbischen Granit bissen. Am 10. Mai 1945, zwei Tage nach Kriegsende, wurde im sorbischen Crostwitz (Chroscicy) als erste politische Vereinigung in Deutschland die „Domowina“ wiedergegründet.

1949 schrieb Brezan das Gedicht „Wie ich mein Vaterland fand“, eine Lobeshymne auf die DDR, die er 1964 demonstrativ mit einem „Antibasen“ (Gegengedicht) zurück­nahm: „Ich sah / die drei Buchstaben D und D und R sich drehen zum Strick / die Schlinge für uns.“ 1964 war das Jahr der berüchtigten „7. Durchführungsbestimmung zur Schulreform“, die den Sorbischunterricht faktisch abschaffte, was Brezan als „Liquidierung des Sorbentums“ anklagte. Brezan hasste die SED-Betonköpfe und noch mehr ihre sorbischen Erfüllungsgehilfen, die er mit bösem Wortwitz „sorbische Abgelohnte“ nannte.

Ähnliche schlechte Erfahrungen mit SED-Bonzen hatte der Priester Kilank, der aber Mittel und Wege fand, die SED für die sorbische Verlagsarbeit finanziell „auszunehmen“. In den späten 80er Jahren, als die Stasi in dem Ort Ottendorf-Okrilla bereits ein Gefangenenlager für sorbische Regimegegner bauen ließ, war er einer der sorbischen Aktivisten, die die völlig SED-unterwanderte „Domowina“ zur Kapitulation zwangen. Details verrät der Dokumentarfilm „Solange den Sorben die Linde blüht“, der im Februar 2012 Premiere hatte. Für Kilank hätte er 20 Jahre früher kommen sollen, denn als der sich kurz nach der Wende für ehemalige politische Gefangene einsetzte, machten die sorbischen „roten Socken“ derart gegen ihn mobil, dass er 1993 für einige Jahre in die Tschechische Republik flüchtete.

Jetzt lebt er nicht mehr, aber die „Domowina“ hat sich zu ihrem 100. Geburtstag erholt und zum Sammelverband von 18 Bünden reformiert, der wieder 7200 Mitglieder (statt 4000 im Jahre 1992) zählt.

In der DDR galten die Sorben als „Hätschelkinder der SED“, was eine tragische Verkennung ihrer Lage war. Die SED hat sie scheinbar umarmt, tatsächlich aber gewürgt. Die Wende kam für sie wahrhaft fünf vor zwölf, und die Sorben sind längst im wiedervereinigten Deutschland angekommen, das sie in koexistenzielle Obhut nahm. Am 19. Oktober 1991 wurde von der Bundesrepublik sowie den Ländern Sachsen und Brandenburg – dort siedeln Sorben – eine „Stiftung für das sorbische Volk“ gegründet, die seither die weitgespannten kulturellen Aktivitäten der Sorben finanziert. Wichtig ist jedoch, dass die Sorben als das genannt werden, was sie sind: ein eigenes Volk, keine Minderheit, denn es gibt nirgendwo eine sorbische Mehrheit.

Der sorbische Feiertagskalender umfasst nicht nur Osterritte und Osterriten wie die berühmten bunten Ostereier. Aber auch schönste Feiern verdrängen nicht alle Sorgen. Die Arbeitslosigkeit ist mit 18 Prozent zu hoch, die Abwanderung zu rapide, da sie vielfach aus dem eigenen Ethnikum hinausführt: Deutscher kann man überall sein, Sorbe nur in der Lausitz. Die Zeiten, da sorbische Familien bis zu zwölf Kinder hatten, sind längst vorbei, was sich im Rückgang sorbischer Schulen niederschlägt. Deutsche Behörden bemühen sich um sorbische Schulen, derzeit sechs Grund- und vier Mittelschulen sowie ein Gymnasium mit 2200 (Sachsen) beziehungsweise 1900 Schülern (Brandenburg), und wollen mit neuen Konzepten vertiefte Mehrsprachigkeit erreichen.

Das schwerste Problem sind die reichen Braunkohlevorkommen in der Lausitz, die man nur ausbeuten kann, wenn man zuvor sorbische Siedlungen wegbaggert. Zwar gibt es heute nicht mehr die wilde „Devastierung“ wie zu DDR-Zeiten, aber ein Konzept hat niemand, wie man sorbische Wohnorte und Lausitzer Arbeitsplätze unter einen Hut kriegt. Wolf Oschlies


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