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07.04.12 / Goldener Käfig der Komintern / Zeitzeugin erinnert sich an ihren Aufenthalt im legendären Hotel Lux

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-12 vom 07. April 2012

Goldener Käfig der Komintern
Zeitzeugin erinnert sich an ihren Aufenthalt im legendären Hotel Lux

Im letzten Jahr lief Leanders Haußmanns Tragikomödie „Hotel Lux“ im Kino. Einen Einblick in die bewegte Geschichte des legendären Moskauer Hotels gewährt Ruth von Mayenburgs Augenzeugenbericht „Hotel Lux. Die Menschenfalle“. Die erstmals 1978 veröffentlichten Erinnerungen der österreichischen Publizistin sind anlässlich der Filmpremiere in einer Neuauflage erschienen. Darin schildert die Autorin, wie sie als Architekturstudentin 1930 im Wiener Kreis junger Sozialisten verkehrte. Hier traf sie auf Intellektuelle wie den Schriftsteller Elias Canetti oder den Feuilletonredakteur der „Arbeiter-Zeitung“ und ihren späteren Ehemann Ernst Fischer, die ihr politisches Denken beeinflussten.

1934 nahm von Mayenburg aktiv am Februaraufstand teil und floh anschließend ins Ausland – erst nach Prag, dann in die Sowjetunion. Im Exil schloss sie sich der illegalen Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) an. Sie unterstützte die Rote Armee als Kurier sowie als Mitarbeiterin der Propaganda-Abteilung während des Zweiten Weltkrieges und war im Pressebüro der Kommunistischen Internationalen (Komintern) tätig. Von 1938 bis 1945 fand sie mit ihrem Mann Zuflucht im „Lux“, dem „Hauptquartier der Weltrevolution“. Sieben Jahre lang bewohnten sie das Zimmer Nr. 271 im sechsten Stock des Hotels. Vor den Nationalsozialisten geflohene Emigranten aus aller Welt gaben sich in dem seit 1933 von der Komintern genutzten Gästehaus die Klinke in die Hand. Einige von ihnen wie Heinz Neumann, Chefredakteur der „Roten Fahne“ und KPD-Reichstagsabgeordneter, und Heinz Kurella, Bruder des späteren Zentralkomitee-Sekretärs in der DDR Alfred Kurella, verschwanden während der stalinistischen Säuberungen im Gefängnis, im Gulag oder in Massengräbern. „Was die Gestapo von der KPD übriggelassen hat, das hat die NKWD [= sowjetischer Geheimdienst] aufgelesen!“, zitiert die Autorin einen makaber. Andere machten nach dem Krieg politische Karriere, darunter Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck, Herbert Wehner, Ho Chi Minh oder Marschall Tito.

Eindrucksvoll beschreibt von Mayenburg die Atmosphäre der Furcht, des Misstrauens und des Verdachts, die auf den Fluren des „Lux“ herrschte. „Aus der Kampfgemeinschaft wurde eine Angstgemeinschaft“, in der jeder stetig damit rechnen musste, vom sowjetischen Geheimdienst abgeholt zu werden. Die Bewohner lenkten sich mit Schach oder Domino ab, um nicht die Angst zu spüren. Manche liefen in ihren Kammern nervös auf und ab, rauchten eine Zigarette nach der anderen neben gepackten Koffern, die griffbereit für den Zwangstransport ins Gefängnis standen. Vom einstigen Luxus des Gebäudes zeugte nur noch die Fassade. Der „Goldene Käfig der Komintern“ hatte aufgrund der Überfüllung durch unfreiwillige politische Gäste bald allenfalls den Charme einer Jugendherberge. Männer und Frauen drängelten sich in den engen Mehrbettzimmern und Gruppenduschen. Warmwasser gab es lediglich zweimal pro Woche. Durch die nahe gelegene Bäckerei angelockte Ratten huschten durch das Haus. Sarkastisch kommentiert die Autorin: „Die einzigen Insassen, die sich kontinuierlich durch die Geschichte des Hauses verfolgen lassen, sind die Ratten.“

Neben den tragischen Schicksalen berichtet die Autorin auch von skurrilen Hotelgeschichten wie der Organisation des III. Weltkongresses der Komintern. Die Veranstalter hatten nämlich nicht bedacht, dass sich entlang der Twerskaja-Straße verarmte Frauen der „entmachteten Klassen“ prostituierten. Ernst Thälmann soll eines Morgens beim Frühstück ausgerufen haben: „Wat sagt ihr – heut hab ich für ‘ne Dose Kondensmilch mit ‘ner Großfürstin gepennt!“ Von Mayenburg folgert daraus, dass der „Mensch nicht nur von der Politik lebt und der revolutionäre Klassenkämpfer nicht auf Anhieb ein makelloser reiner Held ist“.

Die Publizistin hat das Hotel Lux überlebt und reiste 1945 wieder nach Wien. Dort trat sie in den 1960er Jahren aus der Kommunistischen Partei aus. 1991, zwei Jahre vor ihrem Tod, kehrte sie noch einmal mit dem Filmemacher Heinrich Breloer für eine Dokumentation an den historischen Ort zurück. Die Neuausgabe des Zeitzeugenberichts von Mayenburgs enthält bislang unveröffentlichte Drehbuchnotizen Breloers. Entstanden ist ein erschütterndes Dokument über größtenteils vergessene oder verschwiegene Schick-sale der Gäste des Hotel Lux. Sophia E. Gerber

Ruth von Mayenburg: „Hotel Lux. Die Menschenfalle. Eine Reise – ein Film von Heinrich Breloer“, Sandmann Verlag, München 2011, geb., 384 Seiten, 24,80 Euro


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