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14.04.12 / Zwist stärkt weltliche Kräfte / Islamisten trumpfen gegen ägyptischen Militärrat auf, der die Muslimbürder an ihre schlechten Zeiten erinnert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-12 vom 14. April 2012

Zwist stärkt weltliche Kräfte
Islamisten trumpfen gegen ägyptischen Militärrat auf, der die Muslimbürder an ihre schlechten Zeiten erinnert

Die Konstituierung einer verfassungsgebenden Versammlung hat zu einer ersten Machtprobe zwischen den Islamisten und Ägyptens herrschenden Militärs geführt. Die Muslimbruderschaft schickt entgegen anderslautender Ankündigungen nun doch einen eigenen Kandidaten in den Präsidentschaftswahlkampf.

Ägyptens Islamisten, die aus den ersten demokratischen Wahlen als große Sieger hervorgegangen sind, mussten im Gerangel um die Besetzung der verfassungsgebenden Versammlung eine erste Niederlage hinnehmen. Vertreter säkularer Parteien wollen die von den Islamisten beherrschte verfassungsgebende Versammlung verlassen und, alternativ zu den Islamisten, zusammen mit den Kräften, die vor einem Jahr den Sturz von Hosni Mubarak verursacht haben, einen eigenen säkularen Verfassungsentwurf ausarbeiten. Währenddessen droht der in Ägypten herrschende Oberste Militärrat unter Marschall Mohammed Tantawi erstmals den Islamisten mit einem Hinweis auf die 1950er Jahre, als die Muslimbruderschaft wegen ihrer radikalen Forderungen für Jahrzehnte aus dem politischen Leben Ägypten verbannt worden war. Als Antwort auf die Konfrontation mit den Militärs hat die Bruderschaft jetzt auch ihr bisheriges Versprechen, für die Präsidentschaftswahl im Mai keinen eigenen Kandidaten aufzustellen, gebrochen.

Dies war bislang die größte Konfrontation zwischen den beiden mächtigsten Gruppen im Ägypten der Nach-Mubarak-Ära.  Die letzten Monate hatten Islamisten und Militärrat eine eher abwartende Position eingenommen, ja man kooperierte sogar in gewissem Rahmen. In letzter Zeit mehrten sich jedoch die Anzeichen dafür, dass die Bruderschaft sich immer mehr ihrer Macht bewusst wird. Die Bruderschaft hält fast die Hälfte aller Abgeordnetensitze im Parlament, zusammen mit den radikaleren Salafisten stellen die Muslimbrüder sogar eine satte Zweidrittelmehrheit. Lokale Medien haben berichtet, dass verschiedene Mitglieder des Obersten Militärrates in einem Treffen mit der Muslimbruderschaft auch ihre Unzufriedenheit mit der Zusammensetzung der verfassungsgebenden Versammlung bekundet haben.

Die Muslimbruderschaft schickt nun ihre Nummer zwei, Khairat al-Shater, ins Rennen um die ägyptische Präsidentschaft. Al-Shater hatte zuvor in mehreren Fernsehinterviews jede Absicht bestritten, Präsident oder Ministerpräsident zu werden. Ihre Kehrtwende begründete die Bruderschaft mit ernsthaften Gefahren, die der Revolution in Ägypten drohten. Die Muslimbrüder schicken ihren Präsidentschaftskandidaten nicht aus einer Situation der Stärke, wie man bei einer so dominierenden Mehrheit im Parlament annehmen sollte, ins Rennen, sondern eher aus einem Gefühl der Schwäche gegenüber den Demonstranten auf der Straße, die nicht gewillt sind, sich die Errungenschaften der Revolution von den Islamisten wegnehmen zu lassen, die gar nicht an der Revolution beteiligt waren.

Die Islamisten sind zudem in zwei große Lager, die Muslimbrüder und die Salafisten, gespalten, die sich gegenseitig bekämpfen. Aber auch innerhalb der jeweiligen Lager gibt es bereits Abspaltungstendenzen. Zwei Monate nach der Konstituierung des Parlaments sind bereits mehrere Abgeordnete der beiden religiösen Parteien ausgeschlossen worden.

Die Konkurrenzsituation mit den Salafisten hatte die Muslimbrüder eigentlich für die säkularen Ägypter wie für den Westen sympathisch werden lassen, aber durch den Affront gegen die Säkularen bei der Zusammensetzung der verfassunggebenden Versammlung hat die Bruderschaft in den vergangenen Wochen ihr Vertrauen im säkularen Sektor wieder eingebüßt. Die im Wahlvolk so beliebte Bruderschaft kämpft nun an vier Fronten zugleich, daher der plötzliche Sinneswandel und die Entsendung eines eigenen Kandidaten. 

Die Salafisten hatten mit Hazem Abu Ismael als erste Partei einen eigenen Präsidentschaftskandidaten benannt, der auch die erforderlichen 30000 Unterschriften für seine Kandidatur zusammenbringen konnte. Mit ihm, al-Shater und Abul Futuh stehen also drei Kandidaten aus dem religiösen Lager dem ehemaligen Generalsekretär der Arabischen Liga Amr Moussab gegenüber. Der wahrscheinliche Kandidat der Militärs und des säkularen Lagers könnte von der Zersplitterung und der Zermürbung des religiösen Lagers, die sich jetzt andeutet, profitieren.

Der innerislamistische Machtkampf und der Kampf zwischen Islamisten und Militärs könnte den säkularen Kräften also wieder neuen Auftrieb geben, weil sie jetzt den Eindruck haben, dass noch nicht alles verloren sei. Vor allem, wenn die Arbeiten an einer neuen Verfassung das Land weiter destabilisieren, was bei dem schleppendem Beginn zu erwarten ist, könnte sich die Übergabe der Macht an zivile Gremien, die ursprünglich für den Juli dieses Jahres vorgesehen war, weiter verzögern.

Bis in die Vereinigten Staaten hat die Zusammensetzung des verfassungsgebenden Ausschusses Wellen geschlagen. Die USA haben Ägypten 30 Jahre lang als Hauptverbündeten im Kampf gegen islamistischen Terror in der Region angesehen und fürchten im Falle einer Machtübernahme durch die Islamisten um die Rolle Ägyptens in der Region. Eine Sprecherin des US-Außenministeriums sagte, dass die verfassungsgebende Versammlung eine Verpflichtung habe, die universalen Rechte aller Mitglieder der Gesellschaft, vor allem auch der Minderheiten und Frauen, zu garantieren. In Wa­shington wünscht man sich für Ägypten ein Szenario wie in der Türkei, wo sich die Militärs jahrzehntelang als Hüter der säkularen Verfassung hervorgetan haben und erst jetzt dabei sind, durch eine islamistische Zweidrittelmehrheit im Parlament ihren Einfluss an die von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gezähmten Islamisten zu verlieren.         Bodo Bost


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