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14.04.12 / Der Name war Programm / Die »Sturm«-Galerie wird in Wuppertal als Zentrum der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts gefeiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-12 vom 14. April 2012

Der Name war Programm
Die »Sturm«-Galerie wird in Wuppertal als Zentrum der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts gefeiert

Der Berliner Galerist Herwarth Walden (1878–1941) kündigte 1913 seine Werkschau des umstrittenen Malers Wassily Kandinsky so an: „Das Stärkste, was morgen heute bietet.“ Den Wahlspruch kann man getrost auf Waldens gesamtes Ausstellungsprogramm beziehen. Walden war einer der wichtigsten, wenn nicht der Förderer der deutschen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts.

Was nach Waldens Urteil das Stärkste von heute für morgen war, schmückt inzwischen das Madrider Museo Thyssen-Bornemisza, das Pariser Centre Pompidou, das New Yorker Museum of Modern Art und viele andere berühmte Kunstsammlungen in aller Welt. Die genannten Museen gehören zu den Leihgebern der grandiosen Schau, die im Wuppertaler „Von der Heydt“-Museum anhand von über 200 Gemälden, Grafiken und Skulpturen von 75 europäischen Künstlern den Kunst-Förderer und seine von 1912 bis 1929 existierende „Sturm“-Galerie feiert.

Der Geburtsname des Galeristen lautet Georg Lewin. Der Sohn eines jüdischen Arztes war von 1903 bis 1912 mit der Bankiers­tochter Else Lasker-Schüler verheiratet, die als Dichterin berühmt wurde. Auf ihren Vorschlag nahm Lewin den Namen Herwarth Walden an, der auf Henry David Thoreaus Buch „Walden oder Leben in den Wäldern“ (1854) anspielt. Dort heißt es: „Wenn jemand vertrauensvoll in der Richtung seiner Träume vorwärts schreitet und danach strebt, das Leben, das er sich einbildet, zu leben, so wird er Erfolge haben, von denen er sich in gewöhnlichen Stunden nichts träumen ließ.“ Auch der Markenname „Der Sturm“, unter dem die Galerie und die von Walden zwischen 1910 und 1932 herausgegebene Zeitschrift firmierten, geht auf Else Lasker-Schüler zurück. Der Name ist Programm: „Der Sturm“ will das Alte und Rück­ständige hinwegfegen, steht somit für gesellschaftliche und ästhetische Erneuerung.

Die Ausstellung veranschaulicht, dass die „Sturm“-Galerie Deutschlands führendes Forum der internationalen Avantgarde war. Schon der erste Saal der Schau ist überwältigend. In ihm sind Gemälde der von Franz Marc und Wassily Kandinsky angeführten Künstler des „Blauen Reiter“ versammelt. Kandinsky, der als einer der Väter der Abstraktion gilt, ist mit dem Gemälde „Herbst II“ (1912) vertreten. Es präsentiert Farbklänge in Gelb und Blau, Rosa und Grün, aufgetragen in Kreisen und Streifen, Keilen und Wellenlinien. Links ist in starker Formvereinfachung das Schloss von Murnau zu sehen. Franz Marcs Gemälde „Stallungen“ (1912) besticht durch prismatisch leuchtende Farbenpracht, die die Pferde in gleichsam überirdische Erscheinungen verwandelt.

Marc und Kandinsky gelten als Vertreter des Expressionismus. Über den urteilte Walden: „Der Expressionismus ist keine Mode. Er ist eine Weltanschauung. Und zwar eine Anschauung der Sinne, nicht der Begriffe.“ Die Kunst sah er in fortwährender Weiterentwicklung. Der Kunsthistoriker Georg Brühl berichtet über Walden: „Hatte sich eine Sache durchgesetzt, häufig mit seiner Hilfe, so suchte er, süchtig auf Entdeckung, sich für die nächste einzusetzen.“

Das lässt sich in der Schau durch Säle und Kabinette verfolgen. Walden war der erste, der in Deutschland die italienischen Futuristen vorstellte. Ihnen ging es um die Darstellung der Gleichzeitigkeit verschiedener Geschehnisse und Wahrnehmungen, wie etwa Umberto Boccionis Gemälde „Simultanvision“ (um 1912) zeigt. Zu dem heißt es im Katalog der „Sturm“-Ausstellung von 1912: „... den Eindruck, den man von der Außen- und Innenseite empfängt, wenn man sich einem Fenster nähert.“

Fensterscheiben nahm auch der Franzose Robert Delaunay in den Blick. Sein mit dem Bild „Die drei Fenster, der Turm, das Rad“ (1912) herausragend vertretener „Orphismus“ ist eine lichterfüllte Malerei in prismatisch gebrochenen Farben, die Franz Marc, August Macke und Lyonel Feininger wichtige künstlerische Anregungen vermittelte. Ein weiterer heute weltberühmter Künstler, der sein Deutschlanddebüt im „Sturm“ hatte, ist Marc Chagall. Ausgestellt ist sein Gemälde „Die fliegende Kutsche“ (1913), das einst zur Privatsammlung von Walden und seiner zweiten Gattin Nell gehörte.

Nach dem Ersten Weltkrieg konzentrierte sich Walden vor allem auf die Präsentation der vielfältigen Spielarten des Konstruktivismus. Der strebte mit seiner geometrisierten Formensprache „ein neues, von der Technik, ihren Gesetzen und ihrer Ordnung geprägtes Verhältnis zur Realität“ an, wie Ausstellungskuratorin Antje Birthälmer erklärt. Willi Baumeisters „Figur mit Streifen auf Rosa“ (1920) ist aus geometrischen Elementen zusammengesetzt. Einen völlig ungegenständlichen Bildaufbau aus geometrischen Formen bietet das unbetitelte Bild (1923) des rumänisch-jüdischen Künstlers Max Hermann Maxy, dessen Reiz in der Variation des breit verstrichenen, getupften oder wie durchgekämmten Farbauftrags besteht. Einen neutral glatten Farbauftrag weist hingegen das Gemälde „QXX“ (1923) des Ungarn László Moholy-Nagy auf, das uns mit einem roten Kreis und anderen geometrischen Formen auf schwarzem Grund in kosmische Gefilde entführt.

Die Schau endet mit Edmund Kestings Porträt von Herwarth Walden. Die Lippen zusammengekniffen, starrt er durch die Brillengläser. Das Gemälde entstand 1932. Im selben Jahr emigrierte der bekennende Kommunist Walden unter dem Druck des immer stärker werdenden Nationalsozialismus nach Moskau in Stalins Reich. Dort konnte er als Lehrer und Verleger arbeiten. Sein Eintreten für die künstlerische Avantgarde rief bald das paranoide Misstrauen der Sowjetherrscher hervor. 1941 wurde es unter dem fadenscheinigen Verdacht der Spionage verhaftet und kam im Oktober desselben Jahres in einem Gefängnis bei Saratow um. Veit-Mario Thiede

Bis 10. Juni im Von der Heydt-Museum, Turmhof 8, Wuppertal. Dienstags und mittwochs 11 bis 18 Uhr, donnerstags und freitags 11 bis 20 Uhr, sonnabends und sonntags 10 bis 18 Uhr. Informationen: Telefon (0202) 5636231, Internet: www.sturm-ausstellung.de. Eintritt: 12 Euro. Katalog und Aufsatzband kosten je 25 Euro, zusammen 40 Euro.


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