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14.04.12 / Mit Folklore in Herzen und Hitparade / Ein Gesangsensemble aus alten Weiblein ist der Favorit beim diesjährigen Liederwettbewerb der Eurovision

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-12 vom 14. April 2012

Mit Folklore in Herzen und Hitparade
Ein Gesangsensemble aus alten Weiblein ist der Favorit beim diesjährigen Liederwettbewerb der Eurovision

Im zentralrussischen Udmurtien gibt es nicht wenige Gesangsgruppen alter Frauen. Aber die neun „Buranowskie Babuschki“ (Omas aus Buranowo) sind eine Seltenheit, weil sie neben Volksliedern im Disco-Stil auch westliche Schlager singen und damit europaweite Berühmtheit erlangten. Die Gruppe wird Russland beim diesjährigen 57. „Eurovision Song Contest“ in Baku vertreten.

615 addierte Jahre bringen die neun „Buranowskie Babuschki“, die singenden „Omas aus Buranowo“, auf die Bühne. Wenn sie am 26. Mai in Baku (Aserbaidschan) die russischen Farben im „Eurovision Song Contest“ vertreten, werden sie krankheitsbedingt nur sechs sein, aber das mindert ihre Favoritenrolle nicht.

Im heimatlichen Udmurtien, der 42000 Quadratkilometer großen autonomen Republik im westlichen Ural-Vorland, ist Singen gute alte Tradition, wie es für finno-ugrische Volksgruppen wie die Udmurten charakteristisch ist. Der Ethnograf Grigorij Wereschagin hat sie schon vor 100 Jahren dokumentiert. Neu bei den Babuschkas aus dem Dorf Buranowo ist jedoch, dass sie udmurtische Volkslieder, russische Punk-Stücke des legändären Wiktor Zoy und Songs der Beatles („Yesterday“) oder von Deep Purple („Smoke on the Water“) vortragen.

Seit 30 Jahren besteht die Gruppe. Gegründet hat sie die damalige Kindergärtnerin Galina Konewa. Sie ist heute 73 Jahre alt und immer noch dabei. Mit ihrem Pop-Zusatz zum traditionellen Liedgut traten die Babuschkas vor wenigen Jahren erstmals auf – ausgerechnet zum russischen „Feiertag der Miliz“.

Seither ist der Erfolg ihr ständiger Begleiter, von Paris über das Baltikum bis nach Sibirien, mit langen Unterbrechungen in Moskauer TV- und Tonstudios. Olga Tuktarewa, mit 43 Jahren Nesthäkchen der Babuschkas und deren künstlerische Leiterin, achtet streng auf „akkurates Singen, damit wir keine Lachnummer werden“ – etwa wie die „neuen russischen Babuschkas“ aus dem kultigen TV-Kabarett „Kriwoe Serkalo“ (Zerrspiegel). Die Babuschkas sind seriöse Künstlerinnen, was sie zur Kooperation auf Augenhöhe mit Weltstars wie dem Spanier José Carreras oder der Russin Alla Pugatschowa berechtigte. Ihr Dorf Buranowo, das an sich nur auf Spezialkarten zu finden ist, wurde zum Wallfahrtsort für Medien aus aller Welt: Die BBC, das brasilianische Fernsehen, russisches NtV, französisches TF1, die Agentur Reuters, dazu Presse aus Russland und der ganzen GUS gaben sich dort schon die Klinke in die Hand.

Und jetzt noch der Liederwettbewerb der Eurovision, bei dem die zierliche und fröhliche Babuschka Natalja Pugatschowa die älteste Teilnehmerin sein wird. Am Ende werden sie und ihre Mit-Babuschkas Sieger sein, wenn ihr Lied „Party for everybody“, das der Petersburger Komponist Wiktor Drobysch für sie schrieb, einschlägt (worauf in Russland noch Wetten angenommen werden).

Ihr Lied werden sie natürlich größtenteils in udmurtischer Version singen, denn in ihrer Muttersprache beraten sie sogar, was sie Journalisten sagen werden. Ihr Russisch ist hörbar angelernt und Englisch können die Babuschkas gar nicht, haben aber „Release me“ ihres britischen Konkurrenten Engelbert Humperdink im Repertoire. Geprobt wurde eifrig, die Proben nur unterbrochen, als sie in der Hauptstadt Ishewsk „Novruz“ verschönten, das islamische Neujahrsfest ihrer tatarischen Nachbarn. Selber sind sie natürlich gute orthodoxe Christen. Ihre Honorare fließen in den Wiederaufbau der 1939 zerstörten Kirche von Buranowo. Ihr großes Osterkonzert in Ishewsk ist in jedem April beste Tradition.

Ohne Übertreibung: Die Babuschki sind ein Ohrenschmaus für Jung und Alt, wie auch ihre Konzerte mit Kindern beweisen. Und sie sind eine Augenweide, wenn sie in klassischer udmurtischer Tracht auflaufen, die entweder 100 Jahre alt ist oder Handarbeit der Babuschki nach ältesten Mustern: Auf dem Kopf die „powjaska“, die goldbestickte Haube, um den Hals das „monisto“, die Kette mit Dutzenden schweren Silbermünzen, dann folgen „rubacha“ (Bluse), „nagrudnik“ (Weste), „fufajka“, das warme Wams, und „plascht“ (Rock). An den Füßen die „tschulki“ (bunte Wollstrümpfe), die von Babuschka Granja Bajsarowa gestrickt sind, und als Hit die kunstvoll geflochtenen Bastschuhe, auf deren Fertigung sich Ilja Begischew, Ehemann von Babuschka Alewtina, bestens versteht – acht Jahre hat er benötigt, um diese altertümliche Technik zu lernen.

Ende Mai wird Europa am Fernsehgerät live miterleben, dass die Babuschki beste „bodrost’“ verbreiten – wie Russen muntere Lebensfreude nennen –, und in Wams und Bastschuhen sogar einen schmissigen Rundtanz auf die Bühne von Baku hinlegen. „Udatschi wam“ – gutes Gelingen!          Wolf Oschlies


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