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14.04.12 / Ein Überzeugungstäter / Junger Historiker legt die ultimative Heydrich-Biografie vor

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-12 vom 14. April 2012

Ein Überzeugungstäter
Junger Historiker legt die ultimative Heydrich-Biografie vor

Wie nähert man sich als Historiker einer Figur wie Reinhard Heydrich? Mit der Methode der „kalten Empathie“, dem Versuch, mit kritischer Distanz das Lebensbild zu rekonstruieren, ohne zu urteilen oder zu verurteilen. Davon ist zumindest der in Deutschland geborene und in Dublin lehrende Geschichtsprofessor Robert Gerwarth überzeugt. Dementsprechend ideologiefrei, wissenschaftlich-sachlich und informativ ist seine Biografie des „Architekten der Endlösung“ ausgefallen. Auf breiter und umsichtig zusammengestellter Quellenbasis ist es ihm gelungen, das Leben und die vielschichtige Persönlichkeit Heydrichs jenseits aller überlieferten Klischees nachzuzeichnen. Dabei zieht sich die Karrieresucht eines Einzelnen gepaart mit der Radikalisierung eines politischen Systems wie der sprichwörtliche rote Faden durch die Darstellung. Private Lebensgeschichte, politische Biografie und Strukturgeschichte werden so zu einem einheitlichen Ganzen zusammengefügt.

Obwohl Heydrich nicht zu den ranghöchsten Vertretern des Re­gimes gehörte, gilt er allgemein als der Prototyp des Nationalsozialisten. Das liegt wohl weniger an seinem Lebenslauf als vielmehr daran, dass er sich schon äußerlich vom durchschnittlichen „Tätertyp“ abhob, für den Hannah Arendt so treffend den Begriff von der „Banalität des Bösen“ geprägt hat. Und doch war er, wie der Autor darlegt, nur einer von vielen „normalen“ Aufsteigern aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft, gebildet, kultiviert und aufstiegsorientiert. Gerwarth widerlegt am Beispiel Heydrichs die alte These, dass die Protagonisten des Massenmordes stets abnorme, gefühlskalte oder kriminelle Außenseiter aus der Unterschicht gewesen seien.

1904 in Halle an der Saale als Sohn eines Komponisten und Opernsängers geboren, zeigte Heydrich schon in frühen Jahren eine vielversprechende musische Begabung. Doch statt Musiker zu werden, trat er 1922 in die Reichsmarine ein. Freisinnig und vollkommen unpolitisch, galt er hier als Einzelgänger.

Seine Karriere endete abrupt, als er 1931 wegen eines gebrochenen Eheversprechens als „unwürdig“ entlassen wurde, was für ihn einer persönlichen Katastrophe gleichkam. Seiner beruflichen und bürgerlichen Existenz beraubt und ohne Perspektive, bewarb er sich auf Druck der nationalsozialistisch geprägten Familie seiner Verlobten um eine Stelle bei der SS. Erst im Laufe der folgenden Jahre nahm er die NS-Ideologie an und wandelte sich zu einem ihrer radikalsten Verfechter und weltanschaulich gefestigten Überzeugungstäter. Sein ausgeprägter Radikalismus speiste sich ebenso wie sein unermüdliches Streben, sich durch Bestleistungen auf allen Gebieten zu beweisen, aus dem Bedürfnis, sein früheres Scheitern und seine späte Konversion zum Nationalsozialismus zu kompensieren.

Doch auch nach seinem Aufstieg im NS-Machtapparat sah er sich weniger als ideologischer Visionär, sondern vielmehr als effizienter Tatmensch von antrainierter Härte. Ähnlich wie Himmler fühlte er sich sogar selbstmitleidig als Opfer einer schlechten Welt, die es ihm aufzwinge, hart und unerbittlich zu sein, um sie im Sinne der NS-Ideologie zu verbessern. Moralische Zweifel kamen ihm demzufolge nicht. Dass Heydrich 1942 auf der Höhe seiner eigenen und der nationalsozialistischen Machtentfaltung einem Attentat des tschechischen Untergrunds zum Opfer fiel, gab dem Regime die Möglichkeit zu seiner Stilisierung als Märtyrer.

Keine leichte Aufgabe, dieses komplexe Thema einerseits nach wissenschaftlichen Grundsätzen und andererseits gut lesbar darzustellen. Gerwarth ist es jedoch gelungen, ein facettenreiches Porträt Heydrichs zu liefern und dieses durchgehend und allgemein verständlich in den historischen Kontext einzubinden. Während sich die ersten Kapitel, in denen es um den frühen Lebensweg des Protagonisten geht, vergleichsweise entspannt lesen lassen, wird es dann, wenn der Autor sich im weiteren Verlauf der Darstellung zunehmend auch der Strukturgeschichte des Nationalsozialismus widmen muss und damit der rein biografische Anteil zurückgedrängt wird, notgedrungen abstrakter und damit weniger anschaulich. Doch das tut der Lektüre keinen Abbruch. Erfreulicherweise verzichtet Gerwarth darauf, die zahlreichen Spekulationen, Gerüchte und Geschichten wiederzugeben, die seit Jahrzehnten über Heydrich kursieren. Vielmehr widerlegt er Behauptungen wie die von Heydrichs angeblich jüdischem Großvater oder seiner Neigung, beim ausschweifenden Besuch einschlägiger Etablissements zu entspannen, als von dessen Widersachern erfunden, um ihm zu schaden.

Der erst 35 Jahre alte Robert Gerwarth hat nicht nur die erste, sondern wohl auch die ultimative Heydrich-Biografie vorgelegt. Es ist kaum anzunehmen, dass die Historiografie noch Erkenntnisse über Heydrich gewinnen wird, die über die Gerwarths hinausgehen.                     Jan Heitmann

Robert Gerwarth: „Reinhard Heydrich“, Siedler, München 2011, geb., 478 Seiten, 29,99 Euro


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