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21.04.12 / Als die Kirche uneins wurde / Memelland: Politische Interessen überwogen in der Zwischenkriegszeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-12 vom 21. April 2012

Als die Kirche uneins wurde
Memelland: Politische Interessen überwogen in der Zwischenkriegszeit

Über das ehemals ostpreußische Memelland wird kaum noch unter dem historischen Aspekt berichtet. Die Tatsache, dass das Deutsche Reich an seiner Ostgrenze bis 1919 über die Memel hinausreichte, zählt mutmaßlich nicht mehr zum allgemeinen Wissensschatz.

Im nordöstlichen Teil Ostpreußens bestand die Bevölkerung zu fast gleichen Teilen aus überwiegend protestantischen Deutschen und Litauern. Hier waren deutsches Nationalgefühl und Luthertum jenseits sprachlicher Grenzen eine symbiotische Verbindung miteinander eingegangen, während das übrige Litauen katholisch war und lange Zeit unter polnischer beziehungsweise russischer Herrschaft gestanden hatte.

Bei der Erforschung der Geschichte der lutherischen Kirche Altpreußens fehlte bisher ein erhellender Blick auf das Memelland, das mit dem Versailler Vertrag 1919 vom Deutschen Reich abgetrennt wurde, was die Abtrennung der memelländischen Kirchengemeinden von der altpreußischen Kirche (bis 1922: Evangelische Landeskirche der älteren Provinzen Preußens) zur Folge hatte. Seitdem betreute erstmals nach der Reformation eine deutsche Landeskirche Gemeinden in zwei verschiedenen Ländern. Der Evangelische Theologe und Germanist Jens Hinrich Riechmann hat sich im Rahmen seines Promotionsprojekts mit diesem bisher vernachlässigten Thema befasst. „Evangelische Kirche Altpreußens in den Abtretungsgebieten des Versailler Vertrags. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Memellandes zwischen 1919 und 1938“ lautet der Titel seiner Dissertation, die im Verlag Traugott Bautz veröffentlicht wurde. Riechmann stellt fest, dass innerhalb der altpreußischen Kirche während der Zwischenkriegszeit die politischen gegenüber den theologischen Interessen überwogen. Nach dem Fortfall der Monarchie entwickelte die evangelische Landeskirche Deutschlands ein neues Selbstverständnis im konservativen Sinne; man sprach von einem „Vernunftsrepublikanismus“. Mit dem offiziellen Leitbild des „nationalen Luthertums“ erstrebte die Kirche eine Bewahrung ihrer althergebrachten Stellung im Staat mit ihrer Aufgabe als Vermittlerin von Sittlichkeit und Kultur.

Außerhalb des deutschen Staates betrachtete die Kirche Altpreußens es als ihre Aufgabe, die deutsche Identität zu wahren. 1922 gab sie sich eine neue Kirchenordnung und den Namen „Evangelische Kirche der altpreußischen Union“ (ApU).

Hauptanliegen der vorliegenden Untersuchung war die Erkundung des memelländischen Sonderwegs zwischen 1919 und 1939 vor dem Hintergrund der ostpreußischen Identität und der Ereignisse in Litauen.

Riechmann beschreibt anhand einzelner Beispiele das Vorgehen der Kirche Altpreußens. Trotz ihrer deutsch-nationalen Haltung habe die Kirchenleitung aufgrund der politischen Entwicklung in Litauen überaus vorsichtig agiert. Zur Belastung für die Kirche wurde die Memelfrage, nachdem das Memelgebiet 1923 von Litauen annektiert worden war. Seitdem war die Stimmung nationalpolitisch stark aufgeladen, zumal nicht nur Litauen und Deutschland im Memelgebiet um Einfluss bemüht waren, sondern auch Polen.

Für Kirchenvertreter war es  unmöglich, nicht in den Strudel nationalpolitischer Auseinan-dersetzungen hinein gezogen zu werden. Detailliert schildert Riechmann den Kirchenstreit, der 1924 infolge des Vorgehens des memelländischen Landesdirektoriums erwuchs, das die Kirche des Memelgebiets von der altpreußischen Kirche zu lösen beabsichtigte. Am 31. Juli 1931 schlossen das memelländische Landesdirektorium und die ApU unter Präses Johann Fried-rich Winckler das „Abkommen betreffend die evangelische Kirche des Memelgebietes“.

Demnach schieden die evangelischen Kirchengemeinden des Memellandes aus der Kirchenprovinz Ostpreußen aus und bildeten einen eigenen Landessynodalverband mit eigenem Konsistorium innerhalb der ApU. Weiterhin engagierte sich die Kirche Altpreußens im ehemaligen Abtretungsgebiet sehr stark, und auch über deutsche staatliche Stellen und Organisationen wie den „Verein für das Deutschtum im Ausland“ erhielten die Kirchengemeinden des Memellands finanzielle Zuwendungen.

Nach dem Wiederanschluss des Memelgebiets an das Deutsche Reich am 22. März 1933 kam es zu einer erneuten Zuspitzung der Situation. Den zwölf Jahren im Nationalsozialismus bis zum Ende der ApU im Memelland ist das letzte kurze Kapitel des Buches gewidmet.                 Dagmar Jestrzemski

Jens Hinrich Riechmann: „Evangelische Kirche Altpreußens in den Abtretungsgebieten des Versailler Vertrags. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Memellandes zwischen 1919 und 1938“, Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2011, kartoniert, 530 Seiten, 60 Euro


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