25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
28.04.12 / Die Täter als »nette Menschen« / Potsdam: KGB-Museum eröffnet – Opfer protestieren gegen Beschönigung der Verbrechen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-12 vom 28. April 2012

Die Täter als »nette Menschen«
Potsdam: KGB-Museum eröffnet – Opfer protestieren gegen Beschönigung der Verbrechen

Am 18. April wurde in der Potsdamer Leistikowstraße im Beisein von Ministerpräsident Platzeck (SPD) und des Bundeskulturstaatssekretärs Bernd Neumann (CDU) die Gedenkstätte im ehemaligen Untersuchungsgefängnis des KGB eröffnet. Parallel zur offiziellen Feierstunden fand eine Gegenveranstaltung der Opferverbände statt. Als Sprecher der Zeitzeugen-Initiative gehört Bodo Platt (81) zu den schärfsten Kritikern der Ausstellung im KGB-Museum. Als 18-Jähriger war er selbst in der Leistikowstraße inhaftiert, bevor er 1948 zu 20 Jahren Zwangsarbeit im sowjetischen Gulag verurteilt wurde. Mit Bodo Platt sprach Norman Hanert:

PAZ: War die Gegenveranstaltung ein Erfolg? Die Veranstaltungsräume waren überfüllt – Zahlreiche Medienvertreter, selbst Kamerateams sind gekommen.

Bodo Platt: Wir hoffen, dass einiges angestoßen wurde. Warum? Wir sind in der Öffentlichkeit wahrgenommen worden. Durch die Menschenkette und durch die Pressekonferenz. Was uns hoffen lässt, ist die Rede von Ministerpräsident Platzeck, die wir in großen Teilen als richtig empfunden haben. Nämlich eine klare Position zu den Opfern kommunistischer Gewaltherrschaft. Herr Platzeck als auch Kulturstaatsminister Neumann haben auch deutlich gemacht, dass die Ausstellung die Schicksale der Häftlinge deutlicher herausstellen muss.

PAZ: Trotzdem bleiben Sie skeptisch in Bezug auf die Ausstellung?

Platt: Man will auf zwei Themen stärker eingehen – die Darstellung des Gulag und den Jugendwiderstand. Das ändert aber nichts an der bisherigen tendenziösen Ausstellung. Ich bin nach wie vor etwas skeptisch, weil ich mir rein praktisch kaum vorstellen kann, wie man die Ausstellung jetzt noch verändern kann. Man kann vielleicht zusätzliche Dinge einbringen, was die Ausstellung dann aber noch mehr überfrachtet.

PAZ: Nebensächliche Details, während die Schicksale der Opfer zu kurz kommen, ist einer der zahlreichen Kritikpunkte. Ihnen ist die subtile Art aufgefallen, mit der eine bestimmte Tendenz der Ausstellung erzeugt wird.

Platt: Von Anfang an gab es immer viele Beschreibungen über den Alltag des KGB, und zwar mit vielen Bildern, die KGB-Offiziere und Mannschaften als ganz normale, nette Menschen darstellen. Das wird ausgedrückt –und das ist das subtile – durch die Auswahl der Fotos, während die Texte der Zeitzeugen genau das Gegenteil beschreiben.

PAZ: Im Zweifelsfall schauen sich Besucher eher die Fotos an, statt sich die längeren Texte durchzulesen.

Platt: Genau. Man sieht einen Untersuchungsoffizier des KGB mit seinen Kindern, oder den Rotarmisten beim Domino spielen. Das gibt dann ein Bild vom KGB, das sehr positiv ist. Das korrespondiert aber nicht mit den Rahmentexten, die schildern häufig die wahren Zustände, die Leiden der Opfer, weil die Texte mit Hilfe der Beiräte korrigiert wurden.

PAZ: Die Museumsleiterin Ines Reich ist bereits wegen der Ausstellungsgestaltung zum sowjetischen Speziallager in Sachsenhausen in die Kritik geraten.

Platt: Soweit wie ich weiß, hat es jahrelang Auseinandersetzungen um Details gegeben. Es gibt dort einige Dokumente, da wird einem schier schlecht: Zum Beispiel wird geschildert, wie die „Tscheka“ – die Geheimpolizei der Frühphase der Sowjetunion – sich um die Bildung von Bauernsöhnen bemüht hat, um sie dann als Offiziere zu beschäftigen. Das wird als sehr positiv dargestellt.

PAZ: Nach der Untersuchungshaft in der Potsdamer Leistikowstraße waren Sie selbst in Sachsenhausen und später im Gulag gefangen. Die Aufbewahrung zweier Briefe reichte, um sie wegen angeblicher Spionage zu 20 Jahren Zwangsarbeit zu verurteilen?

Platt: Wir wurden oft gefragt, warum wir verhaftet worden sind. Das versteht man heute wahrscheinlich überhaupt nicht mehr – wir waren alle Liegnitzer (Niederschlesien, d. Red.). Wir hatten uns in Flüchtlingslisten wiedergefunden und dann Briefkon­takt aufgenommen. Freunde und Schulkameraden hatten wir ja durch die Flucht verloren. Diese Wurzeln fehlen uns bis heute. Es ist ein Stück Heimat, das verloren gegangen war, weil man die Menschen nicht mehr sprechen und nicht mehr sehen konnte.

PAZ: Nach dem damaligen Urteil sollten sie erst im Jahr 1968 entlassen werden. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, zwei Jahrzehnte Zwangsarbeit am Polarkreis zu überleben?

Platt: Die Todesrate war meiner Meinung bei uns nicht sehr hoch. Die Verpflegung war so, dass wir immer hungrig waren. Aber man ist nicht verhungert. Das war nicht im Sinne des damaligen NKWD, weil wir Petersburg mit Kohle versorgt haben. Die Crux war die: Wenn der Schacht einbrach, konnten wir keine Kohle fördern. Dann bekamen wir einen schlechteren „Katjol“ – Uns wurde am nächsten Tag noch weniger Essen gegeben.

PAZ: Bei Ihrer Rückkehr zusammen mit den letzten Kriegsgefangen im Jahr 1956 war der Empfang in Westdeutschland sehr herzlich. Wie lange hat das Interesse am Schicksal der Rückkehrer angedauert?

Platt: Das Interesse hat sehr schnell nachgelassen. Ich glaube, dass die furchtbaren Kriegserinnerungen viele Menschen noch stark belastet haben. Inzwischen war das Wirtschaftswunder angebrochen und man wollte von alldem nichts mehr wissen. Deshalb haben wir dann auch nichts mehr erzählt. Wir haben auf diese Weise geschwiegen, in Ostdeutschland musste man schweigen. Da sind gewisse Parallelen.

PAZ: Besteht die Gefahr, dass die Schicksale der Gulag-Gefangenen irgendwann völlig in Vergessenheit geraten, wenn die letzten Zeitzeugen gegangen sind?

Platt: Bei der Menschenkette hat jemand zu mir gesagt, „Wir brauchen noch zehn, 20 Jahre, dann werden die Dinge aufbrechen“ – Wir Zeitzeugen sind dann wahrscheinlich nicht mehr da. Aber ich hoffe, dass eine neue Generation von Historikern sich unserer Erinnerungen und Dokumente annimmt und die Wahrheit über diese Zeit schildert.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren