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28.04.12 / Mysteriöse Kreuze in türkischer Provinz / Aleviten fürchten um ihr Leben – Diskriminierung nimmt unter Erdogan wieder zu

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-12 vom 28. April 2012

Mysteriöse Kreuze in türkischer Provinz
Aleviten fürchten um ihr Leben – Diskriminierung nimmt unter Erdogan wieder zu

Infolge der Arabellion und des Erstarkens der Salafisten rückt der Gegensatz zwischen Schiiten und Sunniten auch in der Türkei wieder stärker ins Bewusstsein. Mysteriöse Kreuzschmierereien an Häusern von Aleviten in Ostanatolien sorgen für Schrecken unter der alevitischen Bevölkerung, die bereits mehrmals Opfer von Massakern wurde.

In der südöstlichen Provinz der Türkei Adıyaman mehren sich in den letzten Wochen mysteriöse Kreuze an Häuserwänden. In allen Häusern sollen Angehörige der alevitischen Minderheit der Türkei wohnen. Jetzt geht die Angst um in der Region, weil im Jahre 1978 vor dem Alevitenmassaker von Marac dieses eine Methode war, um die Häuser der Opfer zu markieren. Damals waren 105 Aleviten nächtlich in ihren mit Kreuzen gekennzeichneten Wohnungen ermordet worden. Da die Aleviten auch den Sicherheitsbehörden nicht trauen, haben sie eigene Wachdienste organisiert. Adıyaman war bislang als eher liberale Region innerhalb der Türkei bekannt. Es gab sogar viele Fälle von gemischten sunnitisch-alevitischen Ehepaaren, was anderswo in der Türkei kaum möglich ist.

Der Widerspruch zwischen den beiden großen Strömungen des Islams, dem Sunnitentum und dem Schiitentum, ist auch in der Türkei allgegenwärtig. Nur mit dem Unterschied, dass anders als die Schiiten in den anderen islamischen Ländern in der Türkei die den Schiiten nahe stehenden Aleviten verstreut auf dem gesamten Staatsterritorium leben und es keine Möglichkeiten gibt, sie anhand von Wohnvierteln, Dialekten oder Kleidergewohnheiten von der sunnitischen Bevölkerung zu unterscheiden. Es ist schwer, jemanden als Aleviten zu identifizieren. Bis zu einem Drittel der heutigen türkischen Bevölkerung sollen Aleviten sein. Das wären mehr als 20 Millionen Menschen. Traditionell gab es große Gruppierungen türkisch sprechender Aleviten in den zentral- und ostanatolischen Provinzen. Deshalb sind sie auch unter den türkischen Gastarbeitern in Deutschland, die mehrheitlich aus diesen Regionen stammen, überrepräsentiert.

Wegen der Unterdrückung und der bedrohten Lage der Aleviten unter anderen Muslimen kam es im Laufe der Zeit immer wieder zu blutigen Aufständen. Erst seit der Gründung der modernen Türkei genießen sie Glaubensfreiheit. Die alevitische Bevölkerungsgruppe war eine der tragenden Kräfte bei der Gründung der türkischen Republik, weil sie sich mit der Trennung von staatlichen und religiösen Angelegenheiten eine Gleichberechtigung mit der sunnitischen Glaubensrichtung erhoffte. Diese Hoffnung wurde jedoch enttäuscht. Vom türkischen Staat sind die Aleviten bis heute nicht als religiöse Minderheit anerkannt. Zwar dürfen die traditionellen alevitischen Feste inzwischen in der Türkei offen gefeiert werden, allerdings offiziell nicht als religiöse, sondern lediglich als Folkloreveranstaltungen. Unter radikalen Sunniten gelten Aleviten sogar als Häretiker. Im Jahr 1993 legten deshalb islamische Eiferer in der ostanatolischen Stadt Sivas Feuer in einem Hotel, 37 alevitische Intellektuelle und Künstler starben in den Flammen.

Die Hauptforderung der Aleviten in der Türkei ist die Abschaffung der Religionsbehörde Diyanet. Denn nur die sunnitische Form des Islam erkennt die Diyanet als muslimisch an. Staatsgründer Kemal Atatürk schuf die Religionsbehörde als Instrument nationalstaatlicher Kontrolle und Integration. Deshalb genießt die Diyanet sogar Verfassungsrang. Die Diyanet stellt die Imame ein und baut die Moscheen, mittlerweile über 70000. Der Religionsunterricht in den Schulen bis hin zum Inhalt der Freitagspredigten wird von Diyanet überwacht. Finanziert wird sie aus Steuergeldern, die alle türkischen Bürger, also auch die Aleviten und die Christen, entrichten müssen. Auch die Kinder der Aleviten werden wie die der anderen religiösen Minderheiten von der Diyanet zu einem Religionsunterricht verpflichtet, der nichts mit ihrem Glauben zu tun hat und ihnen bisweilen Ketzertum vorwirft.

Die Regierung erkennt auch die alevitischen Gotteshäuser, die „Cemevi“, nicht an und diese erhalten anders als Moscheen auch keine staatliche Unterstützung.

Die Aleviten hatten die Säkularisierung unter Atatürk unterstützt, wurden aber danach von der Entwicklung in der säkularen Türkei enttäuscht. Deshalb gehörten sie zu den gesellschaftlichen Gruppen, die die Wahl von Tayyip Erdogan von der AKP zum türkischen Regierungschef 2002 am meisten begrüßt hatten. Als die angekündigten Reformen jedoch ausblieben und Erdogan sich zu einem Islamisten wandelte, der immer mehr Zeichen einer religiösen sunnitischen Erneuerung setzt, wandten sich die Aleviten in ihrer großen Mehrheit wieder von der AKP ab. Bei den Wahlen 2011 bildeten die Aleviten das Rückgrat der kemalistischen Partei MHP, die das Erbe von Staatsgründer Atatürk verteidigt.

Seitdem Erdogan die Hoffnung hegt, aus der Türkei infolge der „Arabellion“ ein Modell für die arabischen Staaten machen zu können, häufen sich wieder die Zeichen religiöser Diskriminierung der Aleviten. Nach einem Jahr nimmt auch der Arabische Frühling immer mehr sunnitisch-islamistische Züge an. Vor allem in Syrien, dem Nachbarland der Türkei, drohen die dortigen Alawiten, die mit den Aleviten in der Türkei ihre Nähe zum Schiitentum teilen, durch die Unterdrückung des Volksaufstandes durch Baschar al-Assad, einem Alawiten, immer mehr zwischen die Fronten zu geraten. Vor allem den streng islamistischen Salafisten sind die liberalen Aleviten/Alawiten ein Dorn im Auge. Die Aleviten/Alawiten kennen keinen Schleierzwang für Frauen. Bei ihnen sind Frauen gleichberechtigt, auch im religiösen Raum. Vor allem auch die Nähe der Aleviten in ihrer Symbolik zum Christentum wird ihnen von den Salafisten immer wieder zum Vorwurf gemacht, der so weit geht, dass ihnen von diesen abgestritten wird, Muslime zu sein. Bodo Bost


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