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28.04.12 / Geliebter Feind / Autor recherchierte über seine Großmutter und stieß auf Leichenberge

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-12 vom 28. April 2012

Geliebter Feind
Autor recherchierte über seine Großmutter und stieß auf Leichenberge

Es war in dem Winter, als 5300 hungrige Pferde in den Kirchen der zur Festung gewordenen Stadt untergestellt waren und die Soldaten der fremden Armee den Bewohner selbst ihr letztes Stück Brot raubten. Ruhr und Fleckentyphus machten hingegen keinen Unterschied zwischen ihren Opfern, die fremden Soldaten wie die Einheimischen erkrankten und starben auch häufig, da sie wegen der Mangelernährung kaum Abwehrkräfte hatten. Es herrschte Versammlungsverbot und jedem, der versuchte, Briefe oder Nachrichten aus der Stadt zu schmuggeln, drohte die Todesstrafe. Als um Weihnachten herum die Versorgungslage immer schlechter wurde, musste jeder, der von den Einwohnern keine Nahrungsmittel für die nächsten sechs Monate vorweisen konnte, die Stadt verlassen. Und so wurden rund 15000 Städter –es waren die Ärmsten der Armen – mitten im eisigen Winter aus ihren Wohnungen vertrieben. Die meisten von ihnen erfroren oder verhungerten. Aber auch, wer in der Stadt blieb, drohte in einem Massengrab zu enden. Einige Gebäude wurden zudem bis auf die Grundmauern abgebrannt, damit die in der Stadt eingeschlossenen Soldaten ein besseres Schussfeld hatten. Dafür wurden selbst Kranke aus dem Hospital vertrieben. Die „Narren“ des Pesthofes, 82 Männer und Frauen, wurden in eine Scheune getrieben, die von den Infanteristen des 3. Linien-Regiments angezündet wurde.

Diese furchtbare Episode in der Geschichte der Stadt Hamburg jährt sich im kommenden Winter zum 200. Mal. Interessanterweise plant jedoch das Museum für Hamburgische Geschichte keine Sonderausstellung zum Jahrestag der Besetzung der Stadt durch die Truppen der napoleonischen Armee 1812/1813. Umso mehr ist dem Autor Jörn Schröder zu danken, der sich in seinem neuesten Roman „Margarethe, mon amour. Eine Liebe zur Franzosenzeit“ dieses Themas angenommen hat. Schröder, der Publizistik, Geschichte und Kunstgeschichte studiert hat, war lange als Produzent und Autor für Film, Fernsehen und Theater tätig. Inzwischen arbeitet er als freier Autor.

Bei der Themenfindung half ihm seine Familiengeschichte. So behauptete seine Mutter immer, sie habe ihre braunen Augen von einem französischen Vorfahren. Und tatsächlich, ein Blick in Kirchenbücher zeigte, dass seine in der Lüneburger Heide geborene Ururur-Großmutter Margarethe Detjens 1814 eine Tochter namens Marie-Josephine bekam und wenig später den Franzosen Jean Carpentier heiratete. Schröders Neugier war geweckt und er begann, über die Zeit zu recherchieren, in der seine Ahnin gelebt hat. Da er außer Geburts-, Heirats- und Sterbedaten wenig Fakten hatte, überließ er die Liebesgeschichte seiner Phantasie und verwob sie mit den historischen Ereignissen in der Zeit. Herausgekommen ist ein spannender und bewegender Roman, dessen Lektüre sich natürlich vor allem für Hamburger lohnt, da der Autor Margarethe durch das historische Hamburg schickt.

Und so erzählt „Margarethe, mon amour“ ein Stück Stadtgeschichte, aber auch die Befreiungsbewegung der Deutschen gegen die mit viel Willkür und Elend einhergehende Fremdherrschaft der Truppen Napoleons ist ein großes Thema. So schildert Schröder beispielsweise, wie Margarethe bei mehreren Predigten Zeuge wird, wie die Pastoren von der Kanzel herunter intelligent zum Widerstand aufrufen, oder wie ein junger Hamburger Buchhändler für den Russlandfeldzug Napoleons zwangsrekrutiert wird und sich später der Befreiungsbewegung anschließt. Überhaupt gelingt es dem Autor hervorragend, den Alltag in der besetzten Stadt samt Folgen der Kontinentalsperre für die Handelsstadt Hamburg eindringlich und authentisch darzustellen. Rebecca Bellano

Jörn Schröder: „Margarethe, mon amour. Eine Liebe zur Franzosenzeit“, Ellert & Richter, Hamburg 2011, geb., 352 Seiten, 19,95 Euro


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