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12.05.12 / Zwietracht in der Koalition / Gerüchte um Zerfall des Regierungsbündnisses: »Phantomdiskussion« oder bald Realität?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-12 vom 12. Mai 2012

Zwietracht in der Koalition
Gerüchte um Zerfall des Regierungsbündnisses: »Phantomdiskussion« oder bald Realität?

Streit ums Betreuungsgeld und um die Zusatzrente für Geringverdiener, Diskussionen um die Pendlerpauschale: Minister des Regierungskabinetts bekämpfen sich gegenseitig, anstatt an einem Strang zu ziehen. Allen voran verfolgt Norbert Röttgen, Umweltminister und Kandidat der CDU fürs Ministerpräsidentenamt in Nord-rhein-Westfalen, einen Destruktionskurs.

Innenminister Hans-Peter Fried-rich (CSU) und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) befinden sich im Dauerkrieg, Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) ist gegen flächendeckende Mindestlöhne, während Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) sie vehement fordert. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) ist eigentlich gegen das Betreuungsgeld, beugt sich aber der Koalitionsdisziplin. „Solange die Koalition an ihrer Einigung zum Betreuungsgeld festhält, halte ich am Auftrag fest, hier einen Entwurf vorzulegen.“ Norbert Röttgen bringt im Wahlkampf das Thema Kilometergeld wieder aufs Tapet, sehr zum Ärger von Finanzminister Wolfgang Schäube. Horst Seehofer (CSU), der mit der Drohung, die Koalition platzen zu lassen, das Betreuungsgeld durchsetzen wollte, ist vorerst ruhiggestellt. Die Sozialleistung wird kommen. Merkels Kabinett gleicht eher einer Truppe von Einzelkämpfern als einer Regierung. Jeder gegen jeden. Wie soll das Koalitionsbündnis angesichts verlorener Landtagswahlen bis 2013 weitergehen?

Vieles deutete in den letzten Wochen darauf hin, dass die CDU sich ihres schwächelnden Koalitionspartners bald entledigen würde: Norbert Röttgen ist als Minister im schwarz-gelben Kabinett nicht bereit, eine Kooperationsvereinbarung zwischen Entwicklungsminister Dirk Niebel und Außenminister Guido Westerwelle, beide FDP, zu unterzeichnen. Er machte einen sogenannten Ministervorbehalt geltend. Solange er diesen nicht zurücknimmt, kann die Vereinbarung nicht beschlossen werden. Bei dieser handelte es sich um einen Vorstoß des Auswärtigen Amtes, sämtliche Auslandsaktivitäten der Bundesregierung in Westerwelles Ministerium zu koordinieren, um für ein einheitliches Auftreten im Ausland zu sorgen. Für Westerwelle hätte die Kooperationsvereinbarung eine Aufwertung seines Amtsbereichs bedeutet, denn in der Vergangenheit hatte es immer wieder Machtgerangel zwischen dem Kanzleramt und dem Auswärtigen Amt um die Außenpolitik gegeben. Weil im Bereich der Entwicklungshilfe viele Ressorts auf Bundes- und Länderebene eigene Aktivitäten durchführen, sollte die Vereinbarung zu einer besseren Zusammenarbeit beider Ämter in einigen Bereichen führen. Es fragt sich, inwieweit die Bereiche des Umweltministers von der Vereinbarung überhaupt betroffen wären. Oder war das Veto nur eine Retourkutsche des CDU-Politikers für einen Ministervorbehalt, den Ende April Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) gegen die Zusatzrentenpläne von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) geltend gemacht hatte? Haben Politiker den Ministervorbehalt als politisches Druckmittel entdeckt?

Volker Kauder (CDU) ließ seinen FDP-Kollegen Rainer Brüderle neulich im Frühstücksfernsehen vor laufenden Fernsehkameras ins offene Messer laufen: Brüderle sprach davon, dass man statt des Betreuungsgeldes eine höhere Rente für Mütter einführen sollte, nicht wissend, dass Kauder beides bereits gefordert hatte. Kauder hatte Brüderle offenbar nicht unterrichtet.

Ein Machtwort der Kanzlerin in schwierigen Zeiten könnte das Ansehen der Regierung in der Bevölkerung verbessern, doch Merkel ist keine Frau der Machtworte. Sie wartet lieber ab. Unionsfraktionschef Volker Kauder richtete stattdessen einen Schweige­appell ans Kabinett nach der Devise: Je schwieriger die Lage, desto eisiger das Schweigen.

Nach dem Wahlerfolg der FDP in Schleswig-Holstein wollen die Liberalen sich aber nicht in Schweigen hüllen, im Gegenteil. Sie wissen nun, dass sie mit charismatischen Kandidaten wie Wolfgang Kubicki und Patrick Lindner verlorenes Terrain zurückgewinnen können. Lindner spricht von einer Richtungswahl in Nord-rhein-Westfalen: Entweder eine Politik auf Pump oder den Haushalt entschulden. In dem „Wunder von Kiel“ sieht die FDP den Einstieg in eine Trendwende. FDP-Politiker treten wieder selbstbewusster auf. Dirk Niebel sieht in Röttgen den besten Wahlhelfer der FDP. Er mache enttäuschten CDU-Wählern deutlich, dass sie eine Alternative hätten, nämlich die FDP zu wählen. Die Liberalen würden ihre Eigenständigkeit nicht an der Koalitionsgarderobe abgeben. Dies müsse die Partei deutlich machen. Trotz vieler Debatten und Dis-kussionen werde es gelingen, eine ausreichende Basis zu finden, um die Koalition fortzusetzen. Lindner spricht sich gegen „die spalterische Debatte innerhalb der Union“ aus, Brüderle bezeichnet Gerüchte um einen drohenden Zerfall der Koalition als „Phantomdiskussion“.

Die Antwort auf die Frage, ob nach verlorenen Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen die Koalition zerbricht, wird maßgeblich davon abhängen, ob die CDU auf eine Große Koalition abzielt, denn ohne die FDP fehlt ihr eine Alternative. Manuela Rosenthal-Kappi


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