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12.05.12 / Deutsche, Russen und Polen feiern »Dichter der Stille« / Ernst Wiechert gilt als »ein Licht, eine Hoffnung und vielleicht so etwas wie das Gewissen eines verstörten Volkes«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-12 vom 12. Mai 2012

Deutsche, Russen und Polen feiern »Dichter der Stille«
Ernst Wiechert gilt als »ein Licht, eine Hoffnung und vielleicht so etwas wie das Gewissen eines verstörten Volkes«

Wenn an Ernst Wiecherts 125. Geburtstag kommenden Freitag im „Museum Königsberg“ in Duisburg eine Ausstellung über den ostpreußischen Dichter eröffnet wird, findet zeitgleich in Sensburg ein dreitägiges Symposion mit Vorträgen von polnischen Professoren und deutschen Mitgliedern der Internationalen Ernst-Wiechert-Gesellschaft (IEWG) mit Feierstunden und Darbietungen mehrerer Schulen statt. In Königsberg veranstaltet das ehemalige Hufengymnasium, an dem Wiechert zehn Jahre Lehrer war und das heute ein Baukolleg ist, einen Festakt. Die polnischen Wiechert-Freunde feiern ihn in der Landschaft, in der er geboren wurde und aufwuchs, in der Försterei Kleinort. Diese Landschaft prägte sein Wesen und sein Werk.

Die Wälder der Johannisburger Heide, die Seen und Moore werden zu Wiecherts Heimat- und Seelenlandschaft und zum Schauplatz seiner Novellen, Romane und Märchen. Die Romane „Die Magd des Jürgen Doskocil“ (1932), „Die Majorin“ (1934), „Das einfache Leben“ (1939) und „Die Jeromin-Kinder“ (1945–47) spielen dort, und von seinen vielen Novellen sollen hier nur „Der Vater“ und die „Hirtennovelle“ genannt werden. Die Helden sind die einfachen Menschen dieser Landschaft, Fischer, Waldarbeiter, Köhler und Bauern, aber auch Vertreter des Adels und Gutsherren, Repräsentanten der sozialen Strukturen im damaligen Ostpreußen.

Der letzte große Roman „Missa sine nomine“ (1950) spielt zwar in der Rhön, hat aber Ostpreußen zum Thema. Er schildert das Schicksal der drei Brüder Liljecrona, Freiherren aus Ostpreußen, und ihrer Leute nach der Flucht und in der ersten Nachkriegszeit. Die Landschaft, in der sie Zuflucht finden, erinnert an ihre Heimat. „Es riecht hier wie zu Hause“, sagt einer der früheren Gutsarbeiter.

In Königsberg hat Ernst Wiechert 32 Jahre lang gelebt, und so feiern die russischen Wiechert-Freunde ihn in der Pregelmetropole, in der er von 1898 bis zur Reifeprüfung 1905 die Königliche Oberrealschule auf der Burg Königsberg besuchte, von 1905 bis 1911 an der Albertina Englisch, Deutsch und Erdkunde studierte, am „Collegium Fridericianum“ sein Referendariat absolvierte und nach dem Ersten Weltkrieg, aus dem er als Leutnant der Reserve heimkehrte, am Staatlichen Hufengymnasium lehrte.

Dennoch gebraucht er nie den Namen „Königsberg“, sondern spricht in seinen Lebenserinnerungen „Wälder und Menschen“ sowie „Jahre und Zeiten“ nur von „der Stadt“. Für Wiechert blieben „Natur“ und „Stadt“ (Zivilisation) stets Gegensätze. Ein Leben im Einklang mit der Natur führt zur Selbstfindung, zur Erfahrung des Wesentlichen – „Das einfache Leben“ ist das „Lehrbuch“ –, während das Leben in der Großstadt von Oberflächlichkeit und Lärm bestimmt ist und den moralischen Verfall begünstigt.

Der „Dichter der Stille“, wie Ernst Wiechert auch genannt wird, der seine Figuren Zuflucht in der Abgeschiedenheit finden ließ, hat selbst wenig Ruhe in seinem Leben erfahren. Der Selbstmord seiner Mutter 1912, der Selbstmord seiner ersten Frau Meta 1930 waren schwere Schick­salsschläge. 1930 verließ Wiechert Königsberg und zog nach Berlin, wo er bis 1933 unterrichtete. Dann schied er, lange schon ein bekannter und gut honorierter Autor, aus dem Schuldienst aus und lebte mit seiner zweiten Frau Paula, genannt Lilje, erst in Ambach am Starnberger See und ab 1936 in Wolfratshausen auf dem „Hof Gagert“.

Stille war ihm nicht beschieden. Die neuen Machthaber hofierten ihn zunächst, mussten aber spätestens bei seinen Münchner Reden 1933 und 1935 einsehen, dass dieser sie durchschaute und die Studenten warnte, „sich nicht verführen zu lassen zu schweigen, wenn das Gewissen Ihnen zu reden befiehlt“. 1938 wurde Wiechert verhaftet und erlebte als Häftling Nr. 7188 acht Wochen lang die Hölle des Lagers Buchenwald.

Die „Zerstörung des menschlichen Antlitzes“ hatte er schon im „großen Kriege“ erfahren, den er über Jahre hin verarbeiten musste; die reifste Frucht ist der Roman „Jedermann“ (1931). Die Geschehnisse im KZ hielt er fest in dem Bericht „Der Totenwald“. Das Manuskript vergrub er im Garten. 1945 wurde das aufwühlende Werk gedruckt.

Nach Jahren unter Gestapo-Aufsicht und in ständiger Angst bleibt Wiechert seinem Aufruf an die Jugend von 1935 treu, „niemals zu dem Heer der Tausenden und Abertausenden zu gehören, von denen gesagt ist, dass sie ,Angst in der Welt‘ haben“. Er ergreift auch nach dem Krieg das Wort und hält den Siegern ebenso den Spiegel vor wie den eigenen Landsleuten, ja sogar seinen verfolgten Leidensgenossen, die er vor Hass und Selbstgerechtigkeit warnt. 1948 verlässt er Deutschland und emigriert in die Schweiz, wo er am 24. August 1950 stirbt. Er ruht in Stäfa am Zürichsee.

Ihm fehle das „Zeitgemäße“, steht in einer lesenswerten Besprechung des neu aufgelegten Romans „Das einfache Leben“ vom 17. Februar dieses Jahres, und das sei heute nicht anders als zu seiner Zeit. Wie wahr! Dem „Zeitgeist“ verweigert sich einer, der wie Eichendorff das „stille, ernste Wort“ „vom rechten Tun und Lieben“ im Wald „treu gelesen“ hat, dessen edle Sprache von der Bibel geprägt ist und der dazu noch „in das Entschleierte hineingesehen“ hatte wie Johannes, der Protagonist aus dem „Totenwald“. Seine Entscheidung fällt für die Liebe, mit der der Hass überwunden werden soll; dazu ruft er die Münchner Studenten 1945 auf. Und es muss eine vergebende Liebe sein. „Keine Liebe ist wärmer und fruchtbarer als die, die sich zu dem Schuldigen neigt.“

Der „Unzeitgemäße“ wird gefeiert, bei Deutschen, Russen, Polen, an vielen Orten und nicht nur am 18. Mai. Warum? Vermutlich ist er, wie er selbst sagt, „ein Licht, eine Hoffnung, und vielleicht so etwas wie das Gewissen eines verstörten Volkes“ – heute wohl einer verstörten Welt. Bärbel Beutner


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