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12.05.12 / Das weibliche Gesicht des russischen Krieges / Weder strahlende Heldinnen noch sowjetische Ungeheuer: verheizt, missbraucht, verkrüppelt, totgeschwiegen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-12 vom 12. Mai 2012

Das weibliche Gesicht des russischen Krieges
Weder strahlende Heldinnen noch sowjetische Ungeheuer: verheizt, missbraucht, verkrüppelt, totgeschwiegen

Frauen im russischen Militär haben eine lange Tradition: Bereits Peter der Große ließ Frauen zum Armeedienst einziehen. Seit dem Kampf gegen die französische Invasion 1812 dienten sie in allen Kriegen und muss­ten sich in der Männergesellschaft des „Kommiss“ behaupten. Im Zweiten Weltkrieg waren 800000 bis eine Million Frauen in die Strukturen der Roten Armee eingebunden, ein beträchtlicher Teil unter Frontbedingungen. Erst nach der Auflösung der Sowjet­union konnte öffentlich über die verdrängten Erlebnisse gesprochen werden. Heute sind Frauen in den russischen Streitkräften gern gesehene Berufsoffiziere.

Russlands Armee zählt eine Million Mann, Tendenz fallend. In der Armee dienen derzeit 90000 Frauen, Tendenz steigend auf dem Weg zur Berufsarmee. Dass Verteidigungsminister Anatolij Serdjukow die wichtigsten Abteilungen seines Ministeriums, speziell die für Wirtschaftsfragen, Frauen anvertraute, schuf böses Blut: Die „Frauen stehlen, bei ihnen blüht die Korruption wie ein Blumenbeet“ hieß es, was das Ministerium zurückwies: „Korrupt sind in Russland alle, von Hausmeistern bis zu Ministern.“

Minister Serdjukow hält es wie Zar Peter der Große, der schon 1716 Frauen zum Dienst in Spitälern und Ämtern der Armee verpflichtete. Fürst Potemkin, „Favorit“ von Zarin Katharina der Großen, schuf 1787 ein „Amazonen-Regiment“ für Offizierstöchter. Später waren Frauen in allen Kriegen Russlands aktiv, vom Kampf gegen Napoleon 1812 über den Krimkrieg 1854/56, den Russisch-Türkischen Krieg 1877/78 und den Krieg gegen Japan 1904/05 bis zum Ersten Weltkrieg. Jedes Kind kennt Heldinnen wie Nadeschda Durowa von 1812, Marija Botschkarjowa von 1914 und andere, die sich sogar als Männer tarnten, um „richtig“ zu kämpfen.

Denn das Gros der Frauen war im Sanitätswesen tätig, die rohe Armee war nichts für sie: 25 Jahre Wehrpflicht bis 1874, Ausbildung per „Knuten-Drill“, primitive Bewaffnung, keine trainierte Reserve. Bis heute haben sich Brutalitäten in der Armee gehalten, etwa die berüchtigte „Dedowtschina“ (Großvatertum), der Terror älterer Rekruten an jüngeren. Ein höherer Frauenanteil, hofft man, wird die Armee „oblagoroditj“ (veredeln) und einen humanen Wehr­ersatzdienst vorformen.

Die 1917 siegreichen Bolschewiken wollten zunächst keine Frauen in ihrer „Roten Arbeiter- und Bauernarmee“, erst im April 1942, fast ein Jahr nach Kriegsausbruch, holten elf „Mobilisierungen“ eine Million Frauen zur Armee. Zwei Drittel von ihnen dienten als Krankenschwestern und Sanitäterinnen, viele bei den Partisanen, 222000 als Scharfschützinnen und Funkerinnen, weitere in drei „Frauen-Fliegerregimentern“.

Und der Dank des Vaterlands? Im Juli 1945 riet Staatspräsident Kalinin Soldatinnen, über ihre Kriegserlebnisse zu schweigen. Das taten die sowieso, nachdem sie bei der Heimkehr von Frauen angebrüllt wurden: „Ihr habt doch nur mit unseren Männern geschlafen, ihr Front-Huren!“

Nach dem Krieg ging der Krieg für die Frauen weiter, „die ihre Militärpapiere versteckten, weil sie sonst keinen Ehemann gekriegt hätten“, schrieb Swetlana Alexijewitsch 1985 in ihrer Dokumentation „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“, die auch erste Interviews über sexuellen Missbrauch von Frauen in der Armee enthält. Bislang war das Thema verschwiegen oder verlacht worden, etwa wenn der Orden „Sa bojewye saslugi“ (Für Kampfverdienste) zu „Sa polewye saslugi“ (Für sexuelle Verdienste) umgedeutet wurde.

Die Sowjetarmee brauchte nicht die Frontbordelle, die Stalins Terrorchef Lawrentija Berija plante. Soldatinnen waren Freiwild, gerade für höchste Offiziere – Georgij Schukow, Leonid Breschnew und andere –, und als man Stalin fragte, was man mit dem Schürzenjäger Marschall Sokolowskij machen werde, sagte der nur: „Wir werden ihn beneiden.“

Weitere Dokumente und Bilder zeigte eine Ausstellung, die das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst 2002/03 ausrichtete. Der hervorragende Katalog ist noch erhältlich – Erlebnisse von Frauen, die in der Armee kahlgeschoren, mit Männerwäsche und -kleidung ausstaffiert, ohne alle Hygieneartikel gelassen und in der „Männergesellschaft des Militärs“ verheizt wurden. „Feldzugsfrauen“ für Russen, „Flintenweiber“ in deutschen Kriegsberichten.

Seit Februar 1993 können Frauen Berufssoldaten werden, was sich nach den Solderhöhungen vom Januar 2012 lohnt. Soldatinnen sind, meinte ein Offizier, begehrenswerte Bräute. Wenn der Sohn einen Einberufungsbefehl bekommt, sinkt das Budget seiner Familie um 15 Prozent. Eine Frau Leutnantin kommt mit Sold und Vergünstigungen im Monat auf 90000 Rubel (etwa 2250 Euro). Dazu andere Privilegien, die das Verteidigungsministerium gern herzählt: Mutterschaftsurlaub, Freizeit zur Kinderbetreuung, Bevorzugung bei der Wohnungsvergabe, freie Fahrt auf allen Verkehrsmitteln, beste medizinische Betreuung und was es sonst noch gibt, „das die Frauen in die Armee zieht“.

Die russische Armee weiß aus langer Erfahrung, was sie an Frauen hat: Russinnen sind durchweg gesünder als Russen, keine Säufer wie diese, die sie im Durchschnitt um 18,2 Jahre überleben. Das „schwache Geschlecht“ erweist sich im Armeedienst als geschick­ter, ausdauernder, resistenter gegen Stress. Frauen sind gebildeter, militärische Schulen von den Suworow-Gymnasien bis zu Hochschulen stehen ihnen offen, in Sankt Petersburg wurde gerade die zweite weibliche Kadettenanstalt eröffnet. Wolf Oschlies


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