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12.05.12 / Gene sind nicht alles / Teenager sucht seinen Vater

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-12 vom 12. Mai 2012

Gene sind nicht alles
Teenager sucht seinen Vater

„Wie Marionetten hängen wir an den Fäden unserer Gene“, spitzte Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger, Mitglied der Enquête-Kommission für Gentechnik des Deutschen Bundestages, die biologische Determiniertheit des Menschen zu. An die Macht der Gene glaubte auch der US-Multimillionär Robert Graham und gründete in den 1980er Jahren eine Samenbank in San Diego, die nur Nobelpreisträger, hochkarätige Wissenschaftler und Olympiasieger als Spender akzeptierte. Damit wollte er verhindern, dass sich durch den Sozialstaat geförderte Träger vermeintlich minderwertigen Genmaterials stärker vermehren als die geistige Elite. Über 200 Retortenbabys sollen in der Klinik gezeugt worden sein, bevor diese Ende der 1990er Jahre geschlossen wurde. Bereits während des Betriebs erntete das Projekt heftige Kritik. Gegner zogen Vergleiche mit der NS-Rassenhygiene und lehnten die Zucht von Menschen ab.

Der US-Journalist David Plotz veröffentlichte 2005 die Lebensgeschichten von Kindern und jungen Erwachsenen, die mit Sperma aus Grahams Labor gezeugt worden waren. Acht von ihnen stammten vom selben Vater. Einer der Betroffenen, Tom, machte sich als 17-Jähriger auf die Suche nach seinem biologischen Vater. Er fand ihn schließlich in einer verwahrlosten Hütte in Florida bei mexikanischen Drogenhändlern.

Der junge Erfolgsautor Benedict Wells verarbeitet Toms Geschichte in seinem dritten Roman „Fast genial“. Tom heißt darin Francis und wohnt mit seiner Mutter in einem Trailerpark am Stadtrand von Claymont, einer Kleinstadt an der US-Ostküste. Seinen Vater kennt der Junge nicht. Tagsüber besucht er die Highschool und verdient sich abends als Küchenhilfe etwas dazu. Als seine Mutter erneut wegen Depressionen in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wird, hinterlässt sie ihrem Sohn nach einem Selbstmordversuch einen Abschiedsbrief. Darin erfährt Francis, dass seine Mutter damals am Programm einer Samenbank für Genies in Los Angeles teilnahm. Francis’ leiblicher Vater soll ein Harvard-Absolvent mit einem IQ von 170 sein. Gemeinsam mit seinem besten Freund Grover und Anne-May reist Francis nach Kalifornien, um seinen Erzeuger zu finden. Ob es für Francis anders als für sein reales Vorbild ein Happy End gibt, sei an dieser Stelle nicht verraten.

„Fast genial“ ist eine unterhaltsame Roadstory über drei Jugendliche, die auf der Suche nach ihrer Identität sind und sich mit ihren Zukunftsträumen auseinandersetzen. Den Konflikt des Protagonisten zwischen seiner biologischen und sozialen Determination einerseits und der Willensfreiheit und Selbstbestimmung andererseits macht der Autor an mehreren Stellen deutlich – etwa wenn sein Vater ihn ermahnt: „Du machst es dir zu einfach. Gene sind das eine, das andere ist, was man daraus macht. Du willst mich als Ausrede benutzen, für was auch immer.“ Gesellschaftskritische Themen wie die Präimplantationsdiagnostik, die Eugenik oder die Kluft zwischen Arm und Reich bleiben bei Wells an der Oberfläche. Handlungsstränge, Sprache und Satzbau sind trivial. Aus seiner Intention, einen Trivialroman zu schreiben, hat der Autor jedenfalls keinen Hehl gemacht: „Ich wollte etwas schreiben, wovon sich Leute mit 18, 19, 20 Jahren berührt und verstanden fühlen.“ Das ist Wells gelungen.

S. E. Gerber

Benedict Wells: „Fast genial“, Diogenes Verlag, Zürich 2011, geb., 322 Seiten, 19,90 Euro


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