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19.05.12 / Wahrheit wird vertuscht / Frank Schäffler (FDP) schildert, warum Klarheit bei der Euro-Rettung gezielt vermieden wird

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-12 vom 19. Mai 2012

Wahrheit wird vertuscht
Frank Schäffler (FDP) schildert, warum Klarheit bei der Euro-Rettung gezielt vermieden wird

Innerhalb der FDP-Bundestagsfraktion gilt der Finanzpolitiker Frank Schäffler als scharfer Kritiker der bisherigen „Euro-Rettungspolitik“ der Bundesregierung. Die PAZ hat sich mit dem Mitglied des Bundestags-Finanzausschusses über drohende Risiken durch die Installierung eines permanenten „Euro-Rettungsschirms“ in der Form des ESM unterhalten. Die Fragen stellte Norman Hanert.

PAZ: Herr Schäffler, im Deutschen Bundestag wird bald die Ratifizierung des ESM-Vertrages auf der Tagesordnung stehen. Von Kritikern wird der Vertrag als folgenschwerstes Finanzgesetz der Nachkriegszeit bezeichnet. Wie sehen Sie das?

Schäffler: Die Einführung des Euro war sicher die bedeutendere Entscheidung. Nun sollen ja durch den ESM die vermeintlichen Konstruktionsfehler der Einheitswährung behoben werden. Das wird nicht gelingen, denn der Fehler liegt in der einheitlichen Behandlung von Verschiedenem.

PAZ: Gleichzeitig soll der Bundestag seine Zustimmung zum EU-Fiskalpakt geben. Wird diese Vereinbarung erfolgreicher sein als die Kriterien des Maastricht-Vertrages?

Schäffler: Der Fiskalpakt wird dasselbe Schicksal erleiden wie der Stabilitäts- und Wachstums-pakt. Es gibt keine Institutionen, mit denen europäisches Recht gegenüber den EU-Staaten durchgesetzt werden kann. Deshalb war die Währungsunion so ausgelegt, dass die Staaten eigenverantwortlich wirtschaften und es keine Bail-outs geben sollte. Die Regeleinhaltung sollte im Eigeninteresse liegen. Davon wird seit Griechenland abgewichen, so dass ich für die Zukunft Schlimmes erwarte.

PAZ: Welche Gefahren sehen sie konkret?

Schäffler: Es fehlt nun der Anreiz zur selbstverantwortlichen Regelbeachtung. Zahl und Qualität der Regelverletzungen werden zunehmen. Trotz Fiskalpakt wird es weiter Haushaltsdefizite geben. Das Schuldenproblem wird so nicht gelöst. Ich halte ein ungewolltes Auseinanderbrechen der Währungsunion daher für wahrscheinlich. Besser wäre es, wenn man Austrittsmöglichkeiten jetzt und ganz bewusst schaffen würde.

PAZ: Der Fiskalpakt wird als Antwort auf bisherige Versäumnisse in der Haushaltspolitik der EU-Mitgliedsländer angepriesen. Wundert es Sie nicht, dass die magere Erfolgsbilanz der Institution „EU-Kommission“ bisher kaum diskutiert wird? Zum Beispiel ist das Ziel der Lissabon-Strategie, die EU bis 2010 zur wettbewerbsfähigsten Region der Welt zu machen, doch grandios verfehlt worden.

Schäffler: Wir haben diesen falschen Weg vor vielen Jahren eingeschlagen. Das ist der Weg zum Zentralismus. Eine Umkehr erfordert ein komplettes Umdenken und Erkennen, dass es sich um einen Irrweg handelt. Das ist schwierig, denn die Krisenanalyse beschränkt sich darauf, dass wir „zu wenig“ haben und deswegen „mehr Europa“ brauchen, ohne die Richtigkeit des Weges selbst in Frage zu stellen.

PAZ: Kritiker halten den ESM de facto für einen unkündbaren Vertrag mit einer unbegrenzten Nachschusspflicht. Glauben Sie, dass eine derartige Vereinbarung auch außerhalb des Bundestages Chancen hätte, unterzeichnet zu werden, etwa wenn die Abgeordneten als Privatpersonen auf eigene Rechnung handeln würden?

Schäffler: Es ist eine Frage der Sichtweise. Ich sehe beim ESM nur Risiken und keine Vorteile, weil ich ihn als Mittel zur Stabilisierung der Euro-Zone für untauglich halte. Andere sehen zwar, dass wir mit dem ESM etwas aufgeben, dafür aber auch etwas bekommen. Und das sind ganz verschiedene Dinge: Die einen sehen einen größeren Einfluss für Deutschland, die anderen eine stärkere EU, wieder andere glauben, die sogenannte politische Union sei Bedingung für einen starken Euro.

PAZ: Dem ESM als Institution, als auch dessen Vertreter soll eine umfassende gesetzliche Immunität verliehen werden. Die Regelungen dazu gehen weit über die Rechte hinaus, die demokratisch gewählten Abgeordneten eingeräumt werden. Woher stammen diese Vorgaben zur Immunität?

Schäffler: Diese Passagen sollen angeblich üblich sein bei internationalen Institutionen. Ich halte sie für völlig überzogen. Sie sind verantwortungslos und undemokratisch.

PAZ: Häufig bemängelt wird auch die mangelnde Transparenz beim ESM. Wem wird die Institution ESM in der Praxis gegenüber rechenschaftspflichtig sein – dem Europäischen Rechnungshof oder den nationalen Rechnungshöfen?

Schäffler: Der Bundesrechnungshof und der niederländische Rechnungsprüfungshof haben gerade bei einer Anhörung des EU-Parlaments angeprangert, dass der ESM nicht kontrollierbar und undemokratisch ist. Ich fürchte, dass wir hier keine praktische Hilfe bei der Kontrolle des ESM erwarten können.

PAZ: Konstruktionsfehler der Europäischen Währungsunion haben sich zum Teil erst nach Jahren unter Krisenbedingungen gezeigt. Sind beim ESM-Vertrag bereits vorab Schwachpunkte erkennbar?

Schäffler: Ich sehe zwei Punkte als besonders kritisch. In der Kombination sind sie fatal. Erstens ist der ESM so gestaltet, dass das ihm zur Verfügung gestellte Kapital sein Ausleihvolumen nicht wirksam begrenzt. Die Höhe des Ausleihvolumens selbst ist eine rein willkürliche, politische Veranstaltung. Zweitens braucht es nur einen Federstrich, um dem ESM Zugang zu den Tendergeschäften der EZB, also eine Banklizenz, zu gewähren. Dann haben wir die unendliche Gelddruck-maschine mit angeschlossenem Verteilgebläse.

PAZ: Der ESM als Quasi-Bank: Wo sehen Sie diese Möglichkeit im Vertragsentwurf angelegt?

Schäffler: Von nationaler bankrechtlicher Aufsicht wie etwa aufgrund des Kreditwesengesetzes ist der ESM befreit. Allerdings ist er so angelegt, dass er wie eine Bank agieren kann. Vertragsgemäß darf er Kredite bei Banken und sonstigen Personen und Institutionen aufnehmen. Auch die Möglichkeit einer Fristentransformation ist eingeräumt. Über den Zugang des ESM zu den Tendergeschäften der EZB muss die EZB selbst entscheiden. Sie entscheidet darüber autonom nach eigenem Ermessen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der EZB kann das aber von einem Tag zum anderen geschehen.

PAZ: Sehen Sie eine reelle Chance für die künftigen deutschen Vertreter beim ESM, eine Veto-Möglichkeit wahrzunehmen?

Schäffler: Das Veto besteht. Ob es ausgeübt wird, ist wiederum eine rein politische Frage, die nicht in den Gremiensitzungen des ESM entschieden wird, sondern im Büro der Kanzlerin und auf den Euro-Gipfeln.

PAZ: Wie steht es um die Haushaltswirksamkeit von Bürgschaften und Zahlungen für die Rettungsfonds EFSF und ESM oder von Risiken, die in den Bilanzen der EZB und der Bundesbank zur Euro-Rettung angesammelt wurden? Besteht die Gefahr, dass Schattenhaushalte aufgebaut werden, die künftig sogar Auswirkungen bis in den regulären Bundeshaushalt haben werden?

Schäffler: Schattenhaushalte sind nicht nur Gefahr, sondern Realität. Das letzte, was die Rettungspolitiker zulassen können, ist die Sichtbarkeit der Krise durch Belastungen für den deutschen Haushalt. Deswegen werden die Verpflichtungen nicht in den Schuldenstand eingerechnet. Dahinter steckt die Illusion, dass Bürgschaften kein Risiko darstellen und nicht gezogen werden. Die Bilanz jedes Unternehmers ist anders aufgebaut, da werden Rückstellungen gebildet. Wahrheit und Klarheit sind in der Rettungspolitik Fremdwörter.

PAZ: Sehen Sie einen Ausweg aus dem Rettungsautomatismus, der nach dem Bruch der sogenannten Nichtbeistandsklausel eingetreten ist?

Schäffler: Dieser Rettungsautomatismus ist eine Interventionsspirale. Jede Rettungsaktion wird weitere Rettungsaktionen nach sich ziehen. Aussteigen können wir jederzeit. Man muss dazu nicht mehr tun, als die Nichtbeistandsklausel wieder gelten und Staaten und Banken pleite gehen zu lassen. Je länger man das hinauszögert, desto höher steigt man und desto tiefer wird der Fall sein. Den politischen Willen dafür sehe ich jedoch nicht. Denn niemand will die Verantwortung tragen.


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