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19.05.12 / Einigung nicht in Sicht / Betreuungsgeld spaltet angeschlagene Regierung zusätzlich – Kompromisse führen zu Kostensteigerungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-12 vom 19. Mai 2012

Einigung nicht in Sicht
Betreuungsgeld spaltet angeschlagene Regierung zusätzlich – Kompromisse führen zu Kostensteigerungen

Nicht erst seit der verheerenden Wahlniederlage der CDU in Nordrhein-Westfalen vom letzten Wochenende liegen die Nerven bei den Regierungsparteien in Berlin blank. Der Koalitionsstreit über das von den Christsozialen eingeforderte Betreuungsgeld für Mütter, die ihre Kinder durchgehend selber betreuen, lässt den Stuhl der Kanzlerin wackeln.

Ein zorniger bayrischer Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) will laut einigen Medienberichten so lange nicht mehr mit der Kanzlerin Angela Merkel reden, bis ein Gesetzesentwurf für das im Koalitionsvertrag vereinbarte Betreuungsgeld vorliegt. Seehofer will sich von seinen Koalitionspartnern CDU und FDP in der für die Bayern so wichtigen Frage der Familienförderung nicht länger hinhalten lassen. Insbesondere das Taktieren und Lavieren der zuständigen Familienministerin Kristina Schröder (CDU), die mit ihren Vorbehalten die Erstellung eines Gesetzestextes verzögert, regen den CSU-Chef auf. Angeblich ließ er der Kanzlerin mitteilen, dass er für sie auch per Handy nicht mehr zu erreichen sei.

Am Donnerstag letzter Woche blieb Seehofer demonstrativ dem wichtigen „Kamingespräch“ der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin fern, das vor jeder Bundesratssitzung stattfindet. Einen nächsten Termin für den Koalitionsausschuss, wo unter anderem der Gesetzentwurf für den von der CDU gewünschten Mindestlohn verhandelt werden soll, wollen die Christsozialen solange blockieren, bis Klarheit beim Betreuungsgeld herrscht.

Wenige Tage vor der NRW-Wahl, wo eigentlich ein Burgfriede im Unionslager vereinbart war, hätte man damit dem nordrhein-westfälischen CDU-Spitzenkandidaten Norbert Röttgen nicht besser in die Suppe spucken können. Die Uneinigkeit im Unionslager war so allen sichtbar. Zudem sah Röttgen in der Frage des Betreuungsgeldes noch „offene Fragen“ und wollte sich nicht positionieren, obwohl gerade die Familienpolitik vielen konservativen Wählern besonders am Herzen liegt.

Offene Fragen sehen beim Betreuungsgeld derzeit auch eine Reihe von weiblichen Bundestagsabgeordneten aus der Frauen-Union. Sie fordern angesichts der vielen Milliarden, die in den Ausbau der Kindertagesstätten (Kitas) geflossen sind, eine Rentenanpassung für Mütter, die vor 1992 ihre Kinder zur Welt gebracht haben. Derzeit winkt diesen Müttern eine zusätzliche Mini-Rente von rund 27 Euro pro Kind und Monat. Dieser Betrag stehe in keinerlei Verhältnis zur erbrachten Erziehungsleistung und den Beträgen, die diese Kinder inzwischen im Berufsleben in die Rentenkasse einzahlen, wird kritisiert. Das folgende Beispiel verdeutlicht die Gerechtigkeitslücke: ein Angestellter, der 50000 Euro im Jahr brutto verdient, zahlt (inklusive Arbeitgeberbeitrag) jährlich rund 10000 Euro an die Rentenkasse, wovon aber die eigene Mutter nur 330 Euro pro Jahr erhält. Das stellt die Grundidee einer umlagenfinanzierten Rente seit ihrer Einführung durch Otto von Bismarck auf den Kopf.

Um diese Gerechtigkeitslücke zu schließen, fordern die Unionsfrauen eine Erhöhung der Rentenleistung auf 54 oder 81 Euro pro Kind und Monat. Das würde den betreffenden Müttern und zukünftigen Rentnerinnen zumindest eine Art Taschengeld und eine bessere Anerkennung ihrer Erziehungsleistung verbürgen. Doch die familienpolitischen Leistungen kosten Geld, argumentieren die Gegner von Betreuungsgeld und Rentenanpassung aus Unionsfraktion und Opposition. Gegenüber den Investitionskosten für die Krippenbetreuung von unter Dreijährigen in Höhe von über zehn Milliarden Euro und hohen laufenden Kosten in Milliardenhöhe erscheinen diese Beträge relativ gering. Zudem werden die veranschlagten Kosten für die Rentenanpassung erst ab dem später in voller Höhe von drei Milliarden zu Buche schlagen, wenn die meisten der betreffenden Mütter im Rentenalter sein werden.

Der Streit, ob eine Sozialleistung mit einer anderen erkauft werden soll, scheint die Unionsfraktion im Bundestag zunehmend innerlich zu zerreißen. Nach der Regel, dass Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik häufig durch parteiinterne Streitereien stürzten, scheint die Position der Kanzlerin weniger durch das NRW-Wahlergebnis als durch diese Auseinandersetzung um die Familienpolitik gefährdet.

Volker Kauder als Fraktionschef von CDU und CSU steht also vor einer schwierigen Aufgabe. Der Kanzlerin, die sowohl für das Betreuungsgeld wie für die Rentenanpassung votiert hat, wollen nicht alle Bundestagsabgeordneten der Regierungsparteien folgen. Um eine zusätzliche Belastung des Haushaltes zu vermeiden, wird gegenwärtig eine Gegenfinanzierung ausgelotet. Damit gerät ein Lieblingsprojekt der Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) ins Schussfeld einer Gruppe junger Unionsabgeordneter. Diese fordern den Wegfall der sogenannten Zuschussrente, mit der Altersbezüge von Geringverdienern aufgebessert werden sollten. Diese neue Leistung würde ab 2013 ansteigend bis zu 3,4 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Der Fraktionschef stellte sich nun in einem Brief an seine Abgeordneten gegen diese Zuschussrente und meinte, derartige Rentenerhöhungen dürften nicht aus Rentenbeiträgen finanziert werden. Zugleich will Merkel die Gegner des Betreuungsgeldes mit zusätzlichem Geld für einen schnelleren Ausbau der Kindergärten und Krippen ködern. Hinrich E. Bues


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