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19.05.12 / Der Erzieher der Nation / Seine sittlichen Forderungen sind so aktuell wie lange nicht: Zum 250. Geburtstag Johann Gottlieb Fichtes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-12 vom 19. Mai 2012

Der Erzieher der Nation
Seine sittlichen Forderungen sind so aktuell wie lange nicht: Zum 250. Geburtstag Johann Gottlieb Fichtes

Goethe sah in Fichte „einen der vorzüglichsten Köpfe“ der Deutschen. Erst in seiner Berliner Zeit wurde Fichte zu dem großen Nationalerzieher und Bildungsreformer, als der er in der kollektiven Erinnerung steht. Die Not des überrannten Vaterlandes machte ihn zum preußischen Patrioten. Von 1806 an stellte Fichte sich in den Dienst der Erhebung gegen Napoleon und prägte durch seine „Reden an die deutsche Nation“ den Geist der Befreiungskriege gegen die Fremdherrschaft.

Das Verhältnis der deutschen Philosophen zu ihrem Volk war insbesondere im letzten Jahrhundert ein gespaltenes. Einerseits war man sich sicher, einem philosophischen Volk zu entstammen, andererseits war man zunehmend weniger bereit, auf dieses Volk philosophisch und damit erzieherisch einzuwirken. Heute erschöpft sich die Philosophie in Fachdiskursen, die oftmals in einem unverständlichen Fachchinesisch abgehalten werden. Doch auch schon zuvor war Platons Auffassung, dass die Philosophen eine Verantwortung für das Gemeinwesen tragen, in Vergessenheit geraten.

Johann Gottlieb Fichte ist in diesem Sinne eine Ausnahme. Nicht nur weil er zeitweise unglaublich populär war (das waren andere auch), sondern weil er vermutlich der Denker ist, der am tiefsten und am nachhaltigsten auf die deutsche Nationalgeschichte eingewirkt hat. Er tat das nicht, wie beispielsweise Karl Marx, in einem destruktiven Sinne, mit dem Ziel, die Ordnung zu zerstören. Im Gegenteil: Fichte wollte aus den Deutschen eine Nation formen.

Fichtes große Stunde war die Zeit nach der preußischen Niederlage bei Jena und Auerstedt, als es darum gehen musste, die physischen Verluste an Menschen, Material und Land durch geistige Leistungen auszugleichen. Fichte stand damals nicht allein, die geistige Elite Preußens, von Gneisenau bis Humboldt und von Arndt bis Schleiermacher fühlte sich diesem Ziel verpflichtet. Fichte lieferte allerdings eine systematische Anleitung, die sich nicht nur auf die Nationalerziehung beschränkte, sondern auch den tieferen Ursachen des Niedergangs nachging. Was er den Deutschen vorwarf, war nicht so sehr die militärische Niederlage selbst, sondern ihre Neigung, sich dem Sieger auch geistig unterwerfen zu wollen: „Besiegt sind wir; ob wir nun zugleich auch verachtet, und mit Recht verachtet sein wollen, ob wir zu allem andern Verluste auch noch die Ehre verlieren wollen, das wird noch immer von uns abhängen.“ Den Schlüssel zu dieser Ehrenrettung sah er in der Überwindung der Selbstsucht, die er überhaupt, im persönlichen wie im staatlichen, für das größte Übel hielt.

Fichtes Selbstbewusstsein rührte nicht nur von seiner Gewissheit her, für seine Thesen eine systematische Begründung zu haben, sondern erklärt sich auch aus der eigenen Biografie. Die hatte den am 19. Mai 1762 im sächsischen Rammenau (Oberlausitz) als Sohn eines Leinewebers geborenen immerhin zu einem der berühmtesten Philosophen seiner Zeit gemacht. Ausschlaggebend war dafür zunächst die Förderung des offensichtlich Hochbegabten durch einen Gutsherrn. Dadurch wurde ihm eine ausgezeichnete Schulbildung zuteil und er konnte studieren. Als sein Förderer verstarb, musste er die Universität ohne Abschluss verlassen und sich als Hauslehrer durchschlagen.

Erst 1790 erfolgt der entscheidende Anstoß für die eigene Philosophie durch die Lektüre der Werke Kants. Um ihn zu beeindrucken, verfasste er den „Versuch einer Kritik aller Offenbarung“, die bei ihrem anonymen Erscheinen allgemein für eine Schrift Kants gehalten wurde. Nach der Aufklärung des Irrtums wurde Fichte mit einem Schlag bekannt. Und so konnte auch seine zeitweilige Begeisterung für die Französische Revolution nicht verhindern, dass er 1794 in Jena Professor für Philosophie wurde. In dieser Zeit veröffentliche Fichte zahlreiche Schriften, seine Wissenschaftslehre, eine Abhandlung über Naturrecht und eine Sittenlehre, die seinen Ruf als führender Philosoph begründeten.

Wenn man seine Biografie betrachtet, ist es konsequent, dass er seine Philosophie auf die Absolutsetzung des Ichs aufbaut. Das „Ich“ ist es, was der Welt ihren Sinn verleiht und von dem aus alle schöpferische Handlung erfolgt. In diesem Sinne begriff Fichte Philosophie als eine Lehre, die sich praktisch zu bewähren hatte und sich nicht in logischen Spitzfindigkeiten ergehen sollte. Diese Auffassung machte ihn zu einem erfolg­reichen akademischen Lehrer, mit seinem schroffen Selbstbewusstsein und undiplomatischen Verhalten stieß er aber auch viele vor den Kopf und machte sich Feinde unter den Kollegen. Der sogenannte Atheismusstreit kostete ihn 1800 seine Professur in Jena, ohne dass er eine Alternative in Aussicht gehabt hätte.

Der Weggang aus Jena barg jedoch die Chance zu Neuem, das Fichte in Berlin vermutete. In der preußischen Metropole wurde Fichte erst zu dem, als der er der gebildeten Öffentlichkeit lange präsent blieb: als Zeitkritiker, Nationalerzieher und Bildungsreformer. In Berlin hielt er, unter der Drohung, durch die Franzosen verhaftet und gar hingerichtet zu werden, seine berühmten „Reden an die deutsche Nation“. Er hielt sie nicht vor Studenten, sondern vor einer gebildeten Öffentlichkeit, die sich aus hohen Beamten und Militärs ebenso zusammensetze, wie aus Persönlichkeiten des Berliner Bürgertums.

Fichte sah seine Gegenwart im Stand der „vollendeten Sündhaftigkeit“, die durch die totale Emanzipation von Autorität gekennzeichnet sei. Ziel aller Erziehung musste daher der Aufbau neuer Bindungen sein, die nicht durch Zwang oder Glauben, sondern durch Vernunft und Einsicht gewährleistet sein sollten. Fichte konzipierte seine „Reden“ als Aufriss dieser Erziehung und verschwieg auch nicht, dass er die Deutschen für besonders geeignet hielt, auf diesem Weg voranzugehen. Er selbst stand nicht abseits, als der Kampf gegen Napoleon wieder aufgenommen wurde, meldete sich zum Landsturm und erlag am 29. Januar 1814 einem Fieber, mit dem ihn seine Frau, die im Lazarett Verwundete pflegte, angesteckt hatte.

Fichte gab dem deutschen Idealismus mit seinen „Reden“ das Programm, an dem sich die folgenden Reformen in Preußen orientieren konnten. Dieses Programm hat den Deutschen eine Sittlichkeit verliehen, die nahezu 200 Jahre Bestand hatte und stellenweise noch heute zu finden ist. Ewig aktuell bleibt Fichtes Forderung, dass wir dafür zu sorgen haben, dass die Kette der Generationen, die eine Nation ausmachen, bei uns nicht abreißt, sodass sich auch die Nachkommen unserer „rühmen können“. Erik Lehnert


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