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26.05.12 / Verena Becker oder Die Mörder sind noch unter uns

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-12 vom 26. Mai 2012

Moment mal!
Verena Becker oder Die Mörder sind noch unter uns
von Klaus Rainer Röhl

Die Öffentlichkeit hat längst andere Aufreger-Themen. Den Aufstieg Facebooks zum börsennotierten Mammutkonzern, die „Blockupy“-Bewegung gegen die Banken mit ihrer neuen Taktik der kleinen Schritte und die nicht fassbaren Gewaltakte der anonymen „Ultras“ in den Fußballstadien. Aber vorletzte Woche wurden noch einmal die Scheintoten zu gespenstischem Leben erweckt, die Terroristen der sogenannten „Rote Armee Fraktion“ (RAF), zur Tatzeit junge Männer und Frauen aus dem deutschen Bildungsbürgertum, die 34 Menschen kaltblütig und heimtückisch aus dem Hinterhalt ermordet hatten. Sie bestanden hartnäckig darauf, schuldfähig zu sein. Eine von ihnen war Verena Becker, inzwischen alt und grau, aber nicht menschenfreundlicher geworden. Sie wird beschuldigt, als führendes Mitglied der Terroristengruppe an der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback und zweier seiner Begleiter mit beteiligt gewesen zu sein, und ist nach dem eigens geschaffenen Gesetz verurteilt wegen gemeinschaftlichen Mordes. Frühzeitig entlassen aus der Haft – nach Vermutungen unterschiedlicher Autoren wegen Kontakten zum Bundesamt für Verfassungsschutz –, vor einem Jahr erneut inhaftiert unter dem Vorwurf, die Todesschützin beim Mord an Buback und seinen Begleitern gewesen zu sein, und seitdem beharrlich schweigend bei allen Vernehmungen, hatte durch ihre Anwälte bekanntgegeben, sie werde am 14. Mai dieses Jahres ihr Schweigen brechen und eine wichtige Erklärung abgeben. Große Erwartungen richteten sich auf diesen Auftritt.

Michael Buback, Chemieprofessor und Sohn des Ermordeten, hoffte allen Ernstes, sie werde ihre Tat eingestehen oder die Namen der Mörder nennen. Nils Minkmar, wohl einer der letzten Journalisten, durch den der abgenutzte und verkommene Titel „Edelfeder“ wieder zu Ehren gekommen ist, und der zur Freude aller Menschen, die Schreiben noch für eine Kunst halten, zum Chef des Feuilletons der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ aufgestiegen ist, schrieb sogar einen wohlabgewogenen, zwei Seiten langen „Offenen Brief an Verena Becker“. Vergeblich die Hoffnungen beider so unterschiedlicher Wahrheitssucher. Sie halten ihr Gegenüber für etwas Ähnliches wie sich selbst, denn sie sehen ein Menschengesicht und vermuten menschliches Verhalten. Aber die Mitglieder der geschlagenen, doch nicht besiegten und immer noch wie Pech und Schwefel zusammenhaltenden Terroristen-Gruppe „ticken“ anders. Sie ticken wie ein Zeitzünder. Sie haben ein Menschengesicht, aber sie sind von einer etwas anderen Art, leben in einer anderen Welt, die letzten Mitglieder der „Rote Armee Fraktion“.

Wer benennt seine Kampftruppe schon nach der Roten Armee, einst von Leo Trotzki gegründet, um die Anhänger des Zaren und der Demokraten, die „Weißen und ihrer Läuse Brut zu zertreten“. Die Rote Armee marschierte nach Polen ein, das man sich zuerst mit Hitler geteilt hatte, mit dem man sich später den blutigsten aller Kriege lieferte. Gegen Ende dieses Krieges ermordeten Soldaten der Roten Armee Millionen unschuldiger Menschen, meist Greise, Frauen und Kinder, aus dem einzigen Grund, weil sie Deutsche waren. Aus dem gleichen Grunde wurden von dieser namensgebenden Armee eine kaum fassbare Millionenzahl deutscher Frauen und Mädchen vergewaltigt, und zwar nicht im Rausch des Sieges und Eifer des Gefechts, sondern von einem der angesehensten sowjetrussischen Dichter, Ilja Ehrenburg, ausdrück-lich dazu aufgefordert. Die Opfer waren unschuldig. Wie alle Opfer von Morden, es gibt keine „schuldigen“ Mordopfer.

Warum suchen Michael Buback und die vielen anderen Angehörigen der RAF-Opfer die immer noch nicht gefassten Mörder ihrer Väter und Mütter? Warum wollen sie ihnen ins Auge sehen wie die Angehörigen der KZ-Opfer dem ukrainischen KZ-Wächter Demjanjuk?

Weil sie die verzweifelte Hoffnung umtreibt, dass es auf der Welt so etwas wie Gerechtigkeit geben sollte, vielleicht sogar Reue oder wenigstens ein Gefühl für das Leid der Opfer. Aber die Anwälte von Verena Becker scheuten sich nicht, den Sohn des ermordeten Buback mit den flapsigen Worten zu verhöhnen, er kenne wohl nicht den „Unterschied zwischen einem Strafprozess und einer Kommission zur historischen Wahrheitsfindung. Diese Probleme können hier nicht gelöst werden, auch nicht, wenn die Angeklagte uns sagen würde, es täte ihr leid.“

Klar. Die Angeklagte sagte es auch nicht. Sie verriet auch nicht die Namen der Mörder. Sie sagte aus, dass sie das schwere Motorrad gar nicht fahren und mit der Mordwaffe, einer MP Heckler und Koch 43, gar nicht umgehen könne. Als auf Siegfried Buback in Karlsruhe geschossen wurde, sei sie im Nahen Osten gewesen. Ja, es sei ihre Aufgabe gewesen, die Mordwaffen, die bei der Festnahme bei ihr gefunden wurden, ins „Depot“ zu schaffen. Zeugen für ihre Aussagen nannte sie nicht. Das war es auch schon. Chemieprofessor und Feuilletonchef sind gleichermaßen enttäuscht.

Die Verteidigung ist einen Schritt weitergekommen. Die Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord könnte abgewendet werden. Schwamm darüber? Die gewaltsame Befreiung von Andreas Baader, bei der ein Justizangestellter schwer verletzt wurde und nach der die erfolgreiche Journalistin Ulrike Meinhof ebenfalls in den Untergrund ging, war die Geburtsstunde der von Gudrun Ennslin so genannten „Rote Armee Fraktion“. Einer durch und durch hoffnungslosen Truppe, am Leben gehalten nur durch zwei bedeutende Kräfte, die danach die Geschehnisse beeinflussten: das linksliberale Meinungskartell in Hamburg sowie das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR.

Bei den Medien baute sich eine Schutzzone für die Terroristen auf, die durchaus verwechselt werden konnte mit dem „Volk“, in dem die chinesischen Kommunisten schwimmen sollten „wie der Fisch im Wasser“. Es war aber nicht das Volk, sondern es war die Crème der links-intellektuellen Elite, in der die Kolumnistin und die von ihr mitgebrachten Kumpane untertauchten wie in einer Nährflüssigkeit. Bis dann, sehr viel später, die Stimmung umschlug, die Toten zu viele wurden und Hilfe wie Unterschlupf für die flüchtigen Illegalen oft genug nur noch mit der Waffe in der Hand erzwungen werden konnten – bis alle verhaftet waren.

Es folgt noch eine besonders miese Geschichte. Es ist die Geschichte von einem die Demokratie seit langem hassenden DDR-Agentenchef, dem 1932 schon des Mordes an zwei Berliner Polizeibeamten überführten Genossen Erich Mielke. Er schützte die RAF, und auch Markus Wolf bewunderte die „todesmutigen Genossen“.

Ihre Erklärung wollte Verena Becker unbedingt an einem bestimmten Termin abgeben: dem 14. Mai. Eine vom Gericht angebotene Verschiebung um auch nur einen Tag lehnte sie ab. Es sollte dieser Tag sein. Der 14. Mai ist der 42. Jahrestag der Befreiung von Andreas Baader. Er gilt als die Geburtsstunde der RAF.

Und die Mörder leben noch unter uns.

 

Klaus Rainer Röhl war verheiratet mit Ulrike Meinhof. 1968 wurde die Ehe geschieden. Im Mai 1970 entstand die sogenannte „Rote Armee Fraktion“, die Röhl von der ersten Stunde an erbittert bekämpfte.


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