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26.05.12 / Akademische Weihen für ein »Provinzblatt« / Alfred Kerrs Plauderbriefe, die »Königsberger Allgemeine« und die verschollene Presse des deutschen Ostens

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-12 vom 26. Mai 2012

Akademische Weihen für ein »Provinzblatt«
Alfred Kerrs Plauderbriefe, die »Königsberger Allgemeine« und die verschollene Presse des deutschen Ostens

Dies academicus 2012 in München – ein großer Tag für Königsberg. Denn das Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilian-Universität (LMU), die Arbeitsgemeinschaft für ost- und westpreußische Landeskunde sowie das Ost- und Westpreußeninstitut stellten den Festtag unter das Thema „Alfred Kerrs Berliner Plauderbriefe, die ,Königsberger Allgemeine Zeitung‘ und die verschollene Presse des deutschen Ostens“.

Alfred Kerr gilt als bedeutendster deutschsprachiger Theaterkritiker des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Was er mit der „Königsberger Allgemeinen Zeitung“ zu tun haben soll, erhellt sich dem breiteren Publikum zunächst nicht. Kerr lebte und arbeitete natürlich da, wo zu jener Zeit das kulturelle und publizistische Herz Deutschlands schlug – in Berlin. Sein Forum war die Hauptstadtpresse.

Aber Kerr war eben nicht nur Theaterkritiker und Schriftsteller. Er war auch aufmerksamer, kritischer und bisweilen unbequemer Beobachter und Kommentator von Politik und Gesellschaft. Dafür wählte er, seinem Naturell entsprechend, ein Stilmittel, das in jenen noch SMS- und facebookfreien Zeiten probat war – er schrieb Briefe. Offene Briefe, würde man heute sagen, Plauderbriefe nannte er selber sie.

Im lockeren Plauderton, meist witzig und manchmal auch beißend ironisch, immer aber auf höchstem sprachlichem Niveau, erzählte er Woche für Woche den Adressaten fern an der Peripherie, was sich im Zentrum des Reichs so alles zutrug. Dass er dafür ausgerechnet die „Königsberger Allgemeine Zeitung“ erkor, mag aus heutiger Sicht verwundern. In Wahrheit aber war diese Regionalzeitung auch in der Hauptstadt hochangesehen, wurde aufmerksam gelesen und genoss eine Wertschätzung, die leider längst in Vergessenheit geraten ist. So darf man vermuten, dass Kerr eben doch nicht nur für ostpreußische, sondern vor allem für Berliner Leser schrieb.

Insgesamt 22 Jahre lang, von 1900 bis 1922, erschienen seine Berliner Plauderbriefe in der Pregel-Metropole. Leider sind infolge des Zweiten Weltkriegs keine vollständigen Archive mehr vorhanden. Über die Mühsal, wenigstens einzelne dieser Texte aufzutreiben, berichtete auf dem Münchner dies academicus die Londoner Literaturwissenschaftlerin Deborah Vietor-Engländer, die zurzeit an einer wissenschaftlichen Edition der Werke Kerrs arbeitet. In Königsberg selbst, so berichtete sie, ist nichts mehr vorhanden. Auf russischer Seite scheint auch kein Interesse am Thema deutsche Presse zu bestehen.

Anders in Polen: Vor allem die Universität Thorn [Torun] zeigt sich durchaus kooperativ, allerdings auch sehr geschäftstüchtig: Kopien historischer Zeitungsausgaben lässt man sich gut bezahlen.

Die Forscherin aus London präsentierte den in München versammelten Akademikern einige geradezu köstliche Fundstücke, zum Beispiel einen Plauderbrief, in dem Alfred Kerr Seine Majestät den Kaiser als einen der bedeutendsten Jäger der Neuzeit vorstellt – eine perfekte Satire, in der reihenweise Majestätsbeleidigungen so genial verpackt sind, dass die nicht zimperliche preußische Zensur sich außer Stande sieht, den Autor zu belangen.

Höchst bemerkenswert auch Kerrs Plauderbrief zum Kriegsausbruch 1914. Emotionslos beschreibt er die Stimmung auf Berlins Straßen nach der Generalmobilmachung, ohne selbst Stimmung machen zu wollen. Auch wegen dieses Textes wird Kerr später von Karl Kraus als Nationalist und Kriegstreiber verunglimpft.

Dass der große Essayist und Journalist Alfred Kerr über zwei Jahrzehnte lang regelmäßig für die „Königsberger Allgemeine Zeitung“ schrieb, ist nicht das einzige Indiz für die weit überregionale Bedeutung des Blattes. Die von 1875 bis 1945 andauernde Geschichte dieser Regionalzeitung zeigte der Zeitungswissenschaftler Heinz Starkula, seit kurzem Vorsitzender der AG für ost- und westpreußische Landeskunde der LMU München, auf dem dies academicus auf. Ergänzt wurde dieser Beitrag von Gerd Hagelweide, der über „Ostpreußische Zeitungsbestände heute – vernichtet, verschollen, gerettet“ sprach.

Nicht unerwähnt blieb auf der Veranstaltung, dass eine gewisse Kontinuität von der „Königsberger“ zur „Preußischen Allgemeinen Zeitung“ auch personell gewahrt wird: Ruth Geede, die immer noch Woche für Woche ihre Kolumne in der PAZ schreibt, hat ihren ersten Text 1934 – vor sensationellen 78 Jahren! – in der „Königsberger Allgemeinen Zeitung“ veröffentlicht.

Hans-Jürgen Mahlitz


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