26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
26.05.12 / Symbiose aus Kunst und Handwerk / In der Spandauer Schlossbauhütte werden die Zierelemente für die Fassade des Berliner Schlosses gefertigt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-12 vom 26. Mai 2012

Symbiose aus Kunst und Handwerk
In der Spandauer Schlossbauhütte werden die Zierelemente für die Fassade des Berliner Schlosses gefertigt

Mehr als 3000 Zierelemente schmückten einst die barocke Fassade des Berliner Schlosses. Keine Massenware, sondern von Bildhauern geschaffene individuelle Kunstwerke. Mit der sinnlosen Sprengung der Hohenzollernresidenz durch die kommunistischen Machthaber im Jahre 1950 gingen sie fast ausnahmslos unwiederbringlich verloren. In der Schlossbauhütte in Berlin-Spandau sollen sie jetzt in aufwändiger Handarbeit wiederentstehen.

Das im Wesentlichen bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts fertiggestellte Berliner Stadtschloss gehörte zu den architektonisch und kunsthistorisch bedeutendsten europäischen Barockbauten. Bei seiner Zerstörung vor 62 Jahren wurde das Gebäude in kleinste Stücke zerschlagen. Sein Trümmerberg mit einem Volumen von rund 100000 Tonnen enthielt überwiegend Ziegelschutt, der für den Wohnungsbau verwertet wurde. Der heute so wertvolle bearbeitete Sandstein der Fassade wurde dagegen achtlos in zwei großen Trümmerdeponien entsorgt. Für den Schlossbau wiederverwendungsfähiges Material ist nicht erhalten geblieben. Somit bleiben nur Nachfertigungen, um dem Neubau die historische Fassade zu geben.

Natürlich könnten immer wiederkehrende Details der Fassade industriell in Zementguss oder aus anderen Materialien hergestellt werden. Dieser Gedanke wurde jedoch verworfen, da dann alle Teile völlig identisch wären. Gerade die Abweichungen in der Arbeit der verschiedenen Handwerker und Künstler machten jedoch einen nicht unbedeutenden Teil des Reizes und der Schönheit des Schlosses aus, die es bei dessen Neuschöpfung wiederherzustellen gilt.

Die Rekonstruktion des Schlosses ist in ihrer Größe und Qualität ohne Beispiel. Wie so oft liegt auch hier die Herausforderung im Detail. Originale Vorlagen, an denen sich Künstler und Handwerker bei der Rekonstruktion der Schlossfassade orientieren könnten, gibt es so gut wie nicht. Daher musste zunächst einmal das erarbeitet werden, was vor Jahrhunderten entwickelt wurde, um es wiederherstellen zu können. Hierzu waren Recherchen in 50 Archiven und Sammlungen sowie die Auswertung unzähliger Pläne, Zeichnungen und Fotos notwendig. Die Analyse der Quellen war eine weitere wichtige und äußerst zeitaufwändige Leistung. So wurden beispielsweise in Fotografien die Schattenwürfe an der Fassade berechnet, um Tiefen von Vor- oder Rücksprüngen zu bestimmen. Die so gewonnenen Erkenntnisse wurden mit erhaltenen Unterlagen und Fragmenten abgeglichen oder anhand der Architekturdaten vergleichbarer Bauten verifiziert.

Die genauen Maße, Formen und Schnitte können Bildhauer und Steinmetze jedoch nur von einem Modell in Originalgröße nehmen. Dazu wird von jedem der rund 300 Zierelementtypen, sei es nun ein Adler, eine Krone, ein Wappen, ein Löwenkopf, eine Symbolfigur oder eine Blättergirlande, auf der Grundlage des grafischen Materials und der Berechnungen ein Tonmodell angefertigt. Da Ton mit der Zeit schrumpft, wird davon ein Silikonabdruck genommen. Dieser Abdruck ist jedoch instabil, weshalb er in ein Holzgestell gespannt und mit Gips ausgefüllt wird. Diese Gipsmodelle wiederum dienen schließlich als Vorlagen für die später in Sandstein gemeißelten Figuren und Ornamente. Das alles geschieht in aufwändiger Handarbeit und in unzähligen Einzelschritten. Eine vieltausendfache Arbeit, bei der nicht in Tagen und Wochen, sondern in Monaten und Jahren gerechnet wird.

Herzstück dieser Symbiose aus Architektur, Denkmalschutz, Kunst und Handwerk ist die von der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum gegründete Schlossbauhütte. Sie steht in der Tradition der mittelalterlichen Dombauhütten. In diesen Werkstattverbunden arbeiteten Handwerker und Künstler unter Leitung des Dombaumeisters am Bau der Kathedrale. Doch während die historischen Vorbilder in unmittelbarer Nähe der Baustelle eingerichtet wurden, musste sich die Schlossbauhütte ein Domizil weit entfernt vom Schlossplatz in der Stadtmitte suchen, wo Lärm und Staub gestört hätten. Die von den britischen Streitkräften 1994 geräumten „Alexander Barracks“, einst eine preußische Kaserne aus der Kaiserzeit, die als Gesamtanlage als Kulturdenkmal gelten, bieten dafür ideale Voraussetzungen. Der Bund, seit dem Abzug der Briten Eigentümer der Liegenschaft am Spandauer Askanierring, stellte der Schlossbauhütte eine große, erst in den 1980er Jahren errichtete Lastkraftwagen-Wartungshalle und Nebenräume zur Verfügung. Die Halle kann auch mit schweren Fahrzeugen befahren werden und große Lagerlasten tragen.

Hier arbeiten Bildhauer, Formenbauer und Steinmetze an den Modellen und Prototypen. Außerdem haben sie einen Ausschnitt der Fassade gebaut, der seit kurzem am zukünftigen Standort des Schlosses zu besichtigen ist. Die Schlossbauhütte ist jedoch nicht nur Werkstatt, sondern auch Magazin. Kein noch so schönes Replikat kann die Betrachtung eines Originals ersetzen, fehlen ihm doch die künstlich nicht zu erzeugende Patina und die Spuren, die nur die Zeitläufte hinterlassen können. Deshalb werden in der Halle einige Originalelemente und Hunderte von Fragmenten der Schlossfassade verwahrt, die auf Deponien und an anderen Orten geborgen werden konnten. Sie sollen später im Lapidarium des Humboldt-Forums ausgestellt werden. Jan Heitmann


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren