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26.05.12 / Zwei Pfingstbräuche / Birken zum Festtag hatten in Ostpreußen eine andere Bedeutung als in Westdeutschland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-12 vom 26. Mai 2012

Zwei Pfingstbräuche
Birken zum Festtag hatten in Ostpreußen eine andere Bedeutung als in Westdeutschland

Sie waren in ihrer neuen Heimat in Westdeutschland angekommen. Die Mutter und Hanna, vier Jahre nach Kriegsende aus Ostpreußen. Der Vater kam ein halbes Jahr früher aus französischer Gefangenschaft. Zu Pfingsten waren sie nach Jahren der Trennung endlich wieder vereint.

Was ihnen zum neuen Heim werden sollte, war ein barackenähnliches Häuschen, ein Behelfsheim. Es stand frei zwischen Feldern und Wiesen ein Stück vom Dorf entfernt, zu dem es gehörte. Und das Leben, das jetzt hier zusammen mit dem Vater begann, erfüllte Hanna Tag und Nacht mit nahezu euphorischer Freude. Bald nachdem sich die Familie in ihrer „Villa“, wie sie das Behelfsheim nannten, eingerichtet hatte, nahte das Pfingstfest. Und darauf freute sich Hanna so, als ob an diesen Feiertragen etwas ganz besonderes zu erwarten sei. Schon Tage vorher fragte sie, ob die Eingangstür auch mit Birken geschmückt werden würde, wie es in der Heimat zu Pfingsten üblich gewesen war. Die Mutter meinte jedoch, dass es vielleicht richtiger sei, darauf zu verzichten. Man sollte sich nicht „abzeichnen“, wie sie es nannte.

Wenn ein Strauß Birkengrün auf den Stubentisch gestellt würde, wäre das genug, sagte sie. Der Vater aber entgegnete: „Wir haben es zu Hause so gehalten, also werden wir es auch hier so halten. An unserer Eingangstür wird es zu Pfingsten frisches Birkengrün geben!“ Über die Entscheidung freute sich Hanna nahezu kindlich. Uns als sie sich am Abend vor dem Fest nach dem gemeinsam mit der Mutter vollbrachten Wischen und Scheuern in den Räumen und dem Fegen und Harken um die kleine Behausung herum müde zu Bett legte, gingen ihre Gedanken zurück zu dem alten Hof in der Heimat, wo es in den guten Zeiten am Tag vor einem Fest ganz ähnlich zugegangen war. Und zu Pfingsten hatte dort nicht nur Birkengrün an Haus- und Stalltüren geprangt, es hatte auch in den Stuben üppig aus allen Aussparungen der Deckenbalken geragt.

Am Pfingstmorgen dann, als Hanna erwachte, beschäftigte sie allerdings die Frage, ob an der jetzigen Haustür Birkengrün war. Eilig erhob sie sich, um nachzusehen. Fröhlich betrat sie die Küche, wo der Vater dabei war, sich zu rasieren, und die Mutter gerade den Kaffee aufgoss. Der Morgengruß und das gegenseitige Frohe-Pfingsten-Wünschen klangen von allen stimmungsfroh. Dann aber kam es Hanna so vor, als ob Vater und Mutter etwas merkwürdig dreinblickten. So, als gäbe es da Unausgesprochenes, das sie beschäftigte. Und ehe Hanna sich in den kleinen waschküchenähnlichen Nebenraum begab, um sich zu waschen und zu kämmen, fragte sie: „Ist etwas mit euch?“ „Mit uns nicht, aber vor unserer „Villa“ hat sich etwas ereignet, was wir uns nicht erklären können!“ antwortete der Vater. „Geht es um Birken an unserer Tür?“ fragte Hanna gespannt. Die Eltern sahen sich stumm an. „Nun sagt schon, was los ist! Ich kann doch so, im Nachthemd, nicht nach draußen!“ „Na denn guck mal durchs Fenster!“, schlug die Mutter vor.

Neugierig steckte Hanna den Kopf hinter die knapp fensterrahmengroße kaum geraffte Gardine, und was sie draußen sah, verstand sie nicht. Ein Stückchen von dem Gebäude entfernt, in dem sie wohnten, war ein hoher, mastartiger Stamm in die Erde eingebracht worden, an dessen oberem Ende ein Busch frischer junger Birkenzweige prangte. „Was ist das für ein Baum? Wer hat den bei uns aufgestellt? Du Vater?“ fragte Hanna verwundert. „Ich habe mir die Mühe nicht gemacht. Mutter und ich sind so ahnungslos und überrascht wie du. Wir würden ebenfalls gern wissen, wer uns damit beehrt hat!“ antwortete der Vater. Hanna schaute sich den Mastbaum lange an, ehe sie sich zu ihrer Morgentoilette begab.

Beim Frühstück lieferte der Überraschungsbaum, wie der Vater das, was da draußen stand, nannte, den hauptsächlichsten Gesprächsstoff. Von den um die zwei Meter hohen Birkenästen, die er aus dem Wald geholt und rechts und links des Eingangs aufgestellt hatte, war kaum die Rede. Die Mutter und Hanna brachen auch bald auf. Sie hatten beschlossen, in die Kirche zu gehen, und beeilten sich, auf den Weg zu kommen.

Das nächste Gotteshaus befand sich in dem Dorf hinter dem kleinen Wald, in dessen Nähe sie wohnten. Und als sie in jenen Ort gelangten, stellten sie verwundert fest, dass auch hier vor manchen Häusern solche Baumgebilde errichtet waren, wie bei ihnen. „Wir werden nicht lang rätseln und uns gleich erkundigen, was diese kahlstämmigen Gewächse zu bedeuten haben!“, schlug die Mutter vor. Und so hielten sie es auch. Noch ehe sie den Kirchplatz erreicht hatten, wussten sie es. Man hatte ihnen erklärt, dass es ein alter Brauch der Gegend sei, dass die Burschen des Dorfes den Mädchen, die sie verehrten, in der Nacht vom Pfingstsonnabend zum Pfingstsonntag Maibäume vor ihren Fenstern errichteten. Also standen sie überall dort, wo ein verehrtes junges Mädchen wohnte.

Als Hanna das vernahm, blieb ihr fast der Atem weg. Und als die Mutter im Weitergehen mit einem seltsam auf sie gerichteten Blick sagte: „Nun, sein mal einer an!“ da war sie ganz verworren. Ihr fünfzehnjähriges Gemüt war so aufgewühlt, dass sie in der Kirche kaum der Predigt folgen konnte. Immer von neuem beschäftigte sie, was in der vorausgegangenen Nacht vor der Tür geschehen war, hinter der sie wohnte. Ihr blieb ziemlich unverständlich, wie es dazu kam, dass sie mit einem solchen Maibaum bedacht worden war. Sie kannte doch noch kaum jemand im Dorf, von den jungen Burschen eigentlich niemand. Das machte alles so unerklärlich. Außerdem war sie gespannt, wie der Vater das bewerten würde. Aber der sagte, als man ihm nach der Rückkehr aus der Kirche erklärte, was es mit dem Baum auf sich habe, nur: „Da sind vor unserer Tür also zwei Pfingstbräuche verschiedener Gegenden zusammengeraten!“ Doch die Mutter widersprach. „Das ist nicht richtig!“, sagte sie. „Wir haben im Nachbardorf auch Birkengrün an Haustüren und Stalltoren gesehen!“ „Na, dann sind die Birken vor unserer Eingangstür ja keineswegs etwas, das befremdlich wirken könnte!“, äußerte der Vater darauf zufrieden. „Irgendwie erleichtert mich das!“, bekannte die Mutter. „Und dass bei uns ein Maibaum hingestellt wurde, beweist sogar, dass man uns als dazugehörig angesehen hat!“, sagte Hanna erfreut. „Jedenfalls hat es die männliche Dorfjugend so gehalten!“ bemerkte der Vater. „Und die Jugend ist die Zukunft!“, sagte die Mutter, voll und ganz von ihren Worten überzeugt. Hanna ging jetzt zu der hölzernen Bank, die neben der birkengeschmückten Haustür stand, ließ sich darauf nieder, blickte zu dem Maibaum hinauf und gab sich lange eigenen Gedanken hin. Hannelore Patzelt-Hennig


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