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26.05.12 / Verspätete Hochzeitstorte / Ihr heimlicher Wunsch erfüllte sich erst an ihrem 80. Geburtstag

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-12 vom 26. Mai 2012

Verspätete Hochzeitstorte
Ihr heimlicher Wunsch erfüllte sich erst an ihrem 80. Geburtstag

Und nun – auf dein Wohl, Mama!“ Manfred hob sein Glas, die anderen Gäste folgten seinem Beispiel, und gemeinsam prosteten sie nun dem Geburtstagskind zu.

Lächelnd blickte Elisabeth in die fröhlich gestimmte Runde. Es war ihr Tag, und sie genoss ihn in vollen Zügen. Schon zur Frühstückszeit hatte ihre Nachbarin auf der Matte gestanden, um zu gratulieren, und auch danach war keine Ruhe eingekehrt. Mitglieder der Kirchengemeinde, der Pastor selbst sowie gute Freunde vom Seniorentreff hatten im Laufe des Vormittages vorbeigeschaut, um Blumen und das eine oder andere Präsent zu überreichen.

Die eigentliche Feier fand jedoch nicht in Elisabeths schlichter Zweizimmerwohnung, sondern im Hotelrestaurant statt.

„An deinem Achtzigsten sollst du keinen Finger rühren, nur genießen!“ hatte Manfred, ihr Ältester, verkündet. „Lass es kosten, was es wolle – du hast soviel für uns getan, jetzt können wir uns endlich mal revanchieren.“

Und so saß Elisabeth denn nun glücklich im Kreise ihrer Lieben und ließ es sich gutgehen. Das Essen schmeckte hervorragend, und Sekt und Wein sorgten für heitere Beschwingtheit, lösten die Zunge und bewirkten, dass Elisabeth und ihre jüngeren Geschwister zumindest verbal immer tiefer ins Reich ihrer Kindheit tauchten.

Auf dem Lande aufgewachsen, schwelgten sie in Erinnerungen, die die jüngere Generation so nicht mehr teilen konnte. Barfuß zur Schule laufen, im Dorfweiher planschen und Pflaumen aus dem Pfarrgarten stibitzen – ihren Kindern und Enkeln mochte dies alles ziemlich hinterwäldlerisch erscheinen. Für Elisabeth und ihre Geschwister waren es Herrlichkeiten gewesen.

„Wisst ihr noch“, schmunzelt Alfred und zwirbelt sich vor Vergnügen den weißen Schnurrbart, „Nachbars Sultan, diese Bestie von einem Hofhund? Wenn er vor der Hütte lag, dann war keine Gefahr in Verzug, dann war er an der Kette. Wenn nicht – dann: rennet, rettet, flüchtet.“

„Oh ja, das war was!“, lächelt Elisabeth. „Die Briefträger in unserer Gegend tun mir heute noch Leid. Was die ausstehen mussten!“ Die anderen nickten, und ein jeder von ihnen hielt in diesen Minuten seine ganz private Rückschau.

Die Kindheit, das heimatliche Dorf, existierten nur noch in der Erinnerung. Und doch weiß Elisabeth, dass sie nur ein wenig den Kopf in den Nacken zu legen braucht, um das vermeintlich Verlorene wieder zurückzuholen. Nachdenklich nippt sie an ihrem Rotwein. Oft, sehr oft, ist ihr Blick in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen. Gerade in schweren Zeiten, wenn Ängste und Sorgen sie schier erdrücken wollten, hatten die Bilder der Vergangenheit ihr Herz gewärmt und sie um vieles ruhiger und zuversichtlicher gestimmt.

„Großmama“, der Enkelsohn reißt Elisabeth aus ihren Träumen, „möchtest du nicht die Torte anschneiden?“ Die Torte? Elisabeth staunt nicht schlecht, als Markus sie an einen Tisch führt, auf dem eine mehrstöckige Geburtstagstorte prangt.

Wehmut und Dankbarkeit erfüllen ihr Herz. Hier steht sie ja – die Hochzeitstorte, von der sie damals vergeblich geträumt hatte. Das Geld war knapp gewesen, zu mehr als einer schlichten Feier im engsten Familienkreis hatte es nicht gereicht. Doch nun, zu ihrem Achtzigsten, hat sie sie doch noch bekommen: die mit Marzipanrosen und Cremetürmchen verzierte Hochzeitstorte!

Von freundlichem Applaus begleitet, taucht Elisabeth das Messer in den rosa-weißen Traum …

Spät am Abend, als sie müde, aber hochbeglückt in ihrer kleinen Wohnung noch einmal auf den Balkon tritt, geht ihr Blick hoch zum nächtlichen Himmel. „Danke“, hört sie sich flüstern. „Danke für alles …“ Renate Dopatka


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