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02.06.12 / Von Villen, Fledermäusen und Tretboot-Kapitänen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-12 vom 02. Juni 2012

Gastbeitrag
Von Villen, Fledermäusen und Tretboot-Kapitänen
von Norbert J. Breuer

Wenn der Sozialist François Hollande dieser Tage – pflichtgemäß in einer Vermögensschau im „Journal officiel“ – dartut, dass er drei Immobilien im Raum Nizza und Cannes im Gesamtwert von 1,17 Millionen Euro besitzt, dann kann den Neider damit allenfalls versöhnen, dass Hollande andererseits weder ein Auto noch Kunst oder Schmuck sein Eigen nennt und bloß 10000 Euro in einer Lebensversicherung angelegt hat. Da trifft es sich gut, dass der frischgebackene Präsident knapp unter die von seinem Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy festgezurrten 1,3 Millionen Euro als Bemessungsgrenze für die Vermögenssteuer fällt. Zumal er einmal offenbarte: „Ich mag keine Reichen.“

Im meistbesuchten Land der Erde, das mit dem goldenen Löffel zur Welt gekommen zu sein scheint, herrscht trübe Stimmung. Jeder zweite Franzose beklagt, dass es seine Eltern besser gehabt hätten als er und für die nächste Dekade ihm nichts Gutes schwane. Etwa 2800 Euro beträgt der Bruttomonatslohn im Landesmittel. Im krisengeschüttelten Lothringen blättern vergilbende Wahlplakate von Schaufensterscheiben leerer Ladenlokale ab; sie werden durch neue für die Parlamentswahlen ersetzt, auf denen sich Bewerber stolz mit dem den deutschen Nachbarn Angst einflößenden Atomkraftwerk Cattenom ablichten lassen.

Die Schlacht um den Elysée-Palast ist geschlagen. Am 15. Mai fand sodann die Machtübergabe in aller „Nüchternheit“ statt. Sarkozy soll sich dem Vernehmen nach fürderhin wieder als Anwalt und womöglich Geldvermehrer à la Gerhard Schröder betätigen wollen. Seine konservative Partei UMP hingegen steht verloren vor einer gegenwärtig wenig verheißungsvollen Zukunft. Mit Sarkozy geht sie ihrer Galionsfigur verlustig. Ob der Generalsekretär der UMP, Jean-François Copé, diese Rolle auszufüllen vermag, wie es einer aktuellen Umfrage zufolge 35 Prozent der Franzosen annehmen, ist ungewiss. Zumal er nur mit einem Prozentpunkt vor Marine Le Pen auf die Frage hin liegt, wer als Oppositionsführer gelten könne.

Letztere wollte partout nicht zur Steigbügelhalterin Sarkozys geraten; sie hatte keine Wahlempfehlung kundgetan, allerdings Wert darauf gelegt, sie selbst werde einen leeren Stimmzettel in die Urne werfen. Der auffallend hohe Anteil ungültiger Stimmzettel (5,8 Prozent) wird auf dieses Manöver zurückgeführt. Es ist indes nicht von der Hand zu weisen, dass Madame Le Pen somit zumindest den rechten Steigbügel des neuen sozialistischen Präsidenten gehalten haben dürfte – dem sie vor der Wahl noch in ihrer nicht selten keifenden Weise vorgehalten hatte, weder er noch Sarkozy hätten „Vertrauen“ oder „Mandat“ verdient. Inwieweit ein Teil der Wählerschaft dem „Front National“ diese Selbstsucht bei den Parlamentswahlen in Frankreich noch nachtragen wird, muss sich erst erweisen. Zumal Le-Pen-Wähler aus dem vormaligen Sarkozy-Lager für sich zu gewinnen trachtet.

Die Wahlen zur Nationalversammlung beherrschen derzeit noch wenig die Schlagzeilen. Nur eine Meldung weckt Wahl-Spannung: Im nordfranzösischen Hénin-Beaumont wird bei den jetzt anstehenden Wahlen zur Nationalversammlung vom 10. und 17. Juni Marine Le Pen überraschend Jean-Luc Mélenchon, Chef des linksextremen „Front de Gauche“ gegenüberstehen – und dieser im zweiten Wahlgang gar gegen sie obsiegen, wie das Umfrageinstitut Ifop prognostiziert. Mélenchon will die »Fledermaus«, wie er seine Intimfeindin Le Pen schon titulierte, unerwartet in ihren eigenen Jagdgründen bekämpfen. Ein verbales Duell, dem ganz Frankreich mit amüsierter Vorfreude entgegensieht. Immerhin hatte Mélenchon mit seiner Sentenz, „warum die Linke in stürmischer Zeit einen Tretboot-Kapitän wie Hollande wählen soll“, schon zuvor für Furore gesorgt.

Der so Gescholtene ist für seinen Teil aus den Grabenkämpfen heraus. Erfolgreich dabei, einen Präsidenten alter Schule einzu-üben, wird er mit Gestik und Pathos à la Mitterand über den Wässern seines Ministerpräsidenten Jean-Marc Ayrault schweben wollen und nicht wie Sarkozy selbst auch in den politischen Niederungen kolibrigleich umherschwirren: Macht an der Spitze des Staates werde künftig mit Macht und Bescheidenheit ausgeübt; er werde nicht für alle und überall entscheiden, verkündete Hollande bei seiner Inauguration. Doch leicht wird ihm die würdevolle Rolle als Staatspräsident dennoch nicht fallen: Wie will er unter Anhebung der Mindestlöhne die Rekordarbeitslosigkeit abbauen? Und das in einem Land, dessen Staatsschulden sich in nur 22 Jahren um das 2½-fache hochkatapultiert haben? Symptomatisch: Hollandes neuer Citroën soll vorgeblich „100 Prozent Made in France“ sein, was in Zeiten der globalisierten Zulieferung dem Fachmann bloß ein Lächeln abringt. Gemeint kann nur sein, dass das Gefährt ausschließlich im französischen Sochaux montiert wurde. Und eben das will mittlerweile schon etwas heißen: in einem Land, das als Automobilhersteller binnen weniger Jahre auf den achten Rang durchgereicht wurde, auch weil seine Vorzeigeunternehmen PSA (Peugeot-Citroën) und Renault inzwischen mehr im Ausland produzieren als im Stammland.

Helfen würde es Hollande, und daraus macht er keinen Hehl, wenn es in der Nationalversammlung im Palais Bourbon eine Mehrheit für die Linke Frankreichs gäbe. Sarkozys gaullistisch-konservative UMP dürfte Verluste einfahren, wollen die Auguren wissen. Sollten die Franzosen indes dem neuen Präsidenten aus Gründen der politischen Ausgewogenheit, und das taten sie schon häufiger, eine parlamentarische Schlappe bereiten, drohte eine Variante der ungeliebten „cohabitation“: Hollande müss­te mit einem Ministerpräsidenten des gegnerischen Lagers zusammenarbeiten.

Der 1954 in Rouen geborene Elitehochschulabsolvent, vormalige Universitätsprofessor und Anwalt ist deutschlandunerfahren, zeigte aber schon auf dem SPD-Bundesparteitag, dass er wohl um das eminent Belangvolle der deutsch-französischen Achse weiß: „Wenn die Franzosen mir die Verantwortung übertragen, dann möchte ich diese Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland verstärken im Dienste Europas.“ Die Wahlkampfunterstützung der deutschen Bundeskanzlerin für Sarkozy wurde in Frankreich als unglückliche Geste gesehen. Wer die sensible französische Seele kennt, gleich welcher Partei-Couleur, würde auf eine solche deutsche Darbietung lieber verzichtet haben, da diese – ungewollt – einen Hauch von Demütigung erspüren lassen könnte. Vorbehalte und Aversionen, die nicht zuletzt aus der als schmachvoll empfundenen Blitzkrieg-Besetzung im Zweiten Weltkrieg herrühren, kommen auch heute noch daher. Bei Hollandes Antrittsbesuch in Berlin wurden zwischen Merkel und Hollande, die sich bis dahin nicht kannten, bloß die ohnehin bekannten Standpunkte zu Schuldenbremsen und deren Aufweichung höflich wattiert ausgetauscht. „Ich möchte, dass unsere Partnerschaft respektvoll vonstatten geht“, hatte Hollande auf dem SPD-Parteitag gewünscht. Man wird erst à la longue sehen, ob das neue mächtigste Staatsoberhaupt Europas der Bundeskanzlerin deren harsche, diplomatisch törichte Ausladung nachträgt, die sie dem allerdings nicht eben germanophil aufgetretenen Wahlkämpfer Hollande mit ihrem ostentativen Nicht-Empfang in Berlin bereitet hat.

Den Euro-Idealisten nebst der deutschen Geldschatulle könnte Merkels Hoffart noch teuer zu stehen kommen, denn: einmal zugefügte Kränkungen können ehrsinnige Franzosen dekadenlang nachtragen. „Merkande“ statt „Merkozy“ dürfte es wohl kaum geben.

 

Norbert J. Breuer, geb. 1954 in Saarlouis, arbeitet als selbstständiger internationaler Managementberater mit Schwerpunkt Deutschland/Frankreich. Daneben ist er als Seminardozent zahlreicher Kammern und Akademien sowie als Hochschuldozent, Publizist und Fachbuchautor tätig. Außerdem schreibt Breuer belletristisch.


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