29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
02.06.12 / Zu viel Geld schadet der Kunst / Das Buch »Kulturinfarkt« hat Besitzstandswahrer aufgescheucht und eine Debatte ausgelöst – Eine erste Bilanz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-12 vom 02. Juni 2012

Zu viel Geld schadet der Kunst
Das Buch »Kulturinfarkt« hat Besitzstandswahrer aufgescheucht und eine Debatte ausgelöst – Eine erste Bilanz

Die Reaktion der Medien auf die Veröffentlichung des Buches „Der Kulturinfarkt. Von allem zu viel und überall das Gleiche“ war groß, dabei verkürzten die meisten Kritiker die Aussagen des Buches auf den Vorschlag der vier Autoren, die Hälfte aller subventionierten Kultureinrichtungen in Deutschland zu schließen und das Geld anders zu verteilen. Dabei geht es den selbst aus dem Kulturbereich stammenden Verfassern um viel mehr.

Man fühlte sich an den medialen Aufschrei zur Veröffentlichung von Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ erinnert: Auch bei „Der Kulturinfarkt“ wurden die Autoren attackiert und ihre Urteilsfähigkeit in Frage gestellt. Zudem wurde der Inhalt ihres Buches auf wenige Aspekte verkürzt. Dabei bieten die Thesen von Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz im „Kulturinfarkt“ zahlreiche gute Ansätze für die Gestaltung der Kulturpolitik.

„Kunst, eigentlich ein Schlacht­ross der Aufklärung, wird plötzlich zu ihrem Widerpart“, lautet eine der Kernthesen des Autoren-Quartetts. Die vier erklären anschaulich, warum die staatliche Förderung von Kulturinstitutionen dazu geführt hat, dass diese jegliche Dynamik verloren haben. Wer einmal vom Staat gefördert werde, hänge fortan am Tropf des Steuerzahlers. Und so erhöhten sich Jahr für Jahr die Kosten der Kulturförderung, ohne dass hinterfragt würde, ob diese die gewünschten Ziele erreiche, was zum Teil auch daran liege, dass inzwischen kaum jemand mehr sagen könne, welche konkreten Ziele die Kulturförderung überhaupt verfolge.

Haselbach, Geschäftsführer der ICG Culturplan Unternehmensberatung, Knüsel, noch amtierender Direktor der Schweizer Kulturstiftung „Pro Helvetia“, Opitz, Referatsleiter für Kulturelle Grundsatzfragen im Ministerium für Bildung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, und Klein, Professor für Kulturwissenschaft in Ludwigsburg, waren oder sind selber für den Staat tätig. Vielleicht erklärt das auch die wütenden Reaktionen auf ihr Buch: Da klagt jemand aus den eigenen Reihen das System an. „Uns erstaunt die rabiate, oft beleidigende Zurückweisung der Thesen des Buchs“, so Autor Knüsel gegenüber der PAZ. „Wo gerade der Kulturbetrieb behauptet, die gegenwärtigen Verhältnisse besonders kritisch unter die Lupe zu nehmen, Erkenntnis zu produzieren, und das oft mit Verkürzung, Verdrehung, Überzeichnung. Offenbar fällt er selbst nicht darunter. Das ist, was wir den ,religiösen Aspekt‘ des Kulturbetriebs nennen: Kultur ist gut. Kritisieren darf man nur das andere. Wie in der Kirche des Mittelalters. Wer ihre lauteren Absichten und ihre Potenz, den Mensch zu verbessern, kritisierte, wurde exkommuniziert, im schlimmeren Falle auf den Scheiterhaufen gestellt. Der Scheiterhaufen heißt heute ,shitstorm‘.“ Und dieser „Shitstorm“ kam über die Autoren, die schätzen, dass 75 Prozent der Reaktionen auf ihr Buch aus absoluter Abwehr bestanden, 15 Prozent aus ausgewogenen Analysen und nur zehn Prozent aus Zustimmung.

Allerdings üben die Autoren auch Kritik an der Kulturauffassung der 68er, die das heutige System prägen. Deren Ziel der „Kultur für alle“ habe dazu geführt, dass der Staat sich massiv engagiere, doch in der Realität würden nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung die Angebote regelmäßig nutzen, die zudem keineswegs den finanziell zu unterstützenden Schichten der Gesellschaft angehörten. Niedrige Preise für Kultureinrichtungen dank staatlicher Subventionen sollten die Zutrittsschwelle nied­rig halten und jedem dem Zugang zur Kultur ermöglichen, doch das habe dazu geführt, dass die nied­rigen Preise den gefühlten Wert von Kultur gesenkt hätten und zudem alle Bürger, auch die armen, die wenigen Kulturangebotsnutzer subventionieren. Die Menschen seien durchaus bereit, viel Geld für Kultur zu bezahlen, dies sei anhand von Festivals, Rockkonzerten und Musicals leicht zu erkennen, denn hier würden die Menschen tief in die Tasche greifen, um sich dieses „besondere Erlebnis“ zu leisten.

Vor allem kritisieren Haselbach,  Klein, Knüsel und Opitz das Menschenbild der 68er. So sei nach deren Auffassung der Mensch über Kultur zu erziehen und offenbar nicht in der Lage, selbst zu entscheiden, was für ihn richtig sei. Zudem sei Kultur, die nicht nur bilde, sondern zugleich unterhalte, kritisch beäugt worden. Als Ergebnis der These, dass Kultur in banaler Zerstreuung ende, sofern die Menschen selbst entschieden, was sie in ihrer Freizeit tun wollten. Dass bis heute geschätzte Autoren wie Goethe und Schiller, Maler wie Albrecht Dürer und Caspar David Fried­rich, Bildhauer wie Tilman Riemenschneider und Ernst Barlach große Werke ganz ohne staatliche Subventionen erschufen, passte nicht in die Theorie der 68er und wurde daher ausgeblendet. Inzwischen soll Kultur zudem „die Demokratisierung befördern, die Fremden integrieren, die Wirtlichkeit von Städten steigern, die geistige Einheit der Nation herstellen, die Neonazis vertreiben, den Frieden sichern, wirtschaftliches Wachstum generieren sowie den sozialen Ausgleich schaffen“. Alles, was irgendwie in dieses Muster passt, wird also gefördert, wie die Autoren anmerken, und so erhielten rund 5000 öffentliche Museen, 140 Staats- und Stadttheater und Landesbühnen, 8500 öffentliche Bibliotheken sowie fast 1000 Musik- und Volkshochschulen neun Milliarden Euro pro Jahr. Kleine private Initiativen hätten es so schwer, ihre Ideen zu verwirklichen, da sie, so sie am Markt zu Marktpreisen anbieten würden, nur deutlich teurer agieren könnten. Zugleich: „Je mehr öffentliches Geld drinsteckt, umso unverrück­barer ist die Institution dem Druck des Publikums enthoben … Eine Kulturindustrie, welche den Namen verdient, würde sich nach außen öffnen und in Produkten denken …“

Auch zweifeln die Autoren an, dass staatlich geförderte Kultur wirklich frei ist, da auch sie den Ansprüchen ihres Geldgebers, in diesem Fall eben des Staates, der in zahlreichen Gremien mitentscheidet, gerecht werden will. Die in der Kulturpolitik übliche Verachtung marktorientierter Ansätze im Bereich der Kultur hält das Autoren-Quartett für überheblich und grundfalsch, wenn auch aufgrund der antikapitalistischen Grundeinstellung der Vordenker der deutschen Kulturpolitik konsequent. Doch: „Die öffentlichen Kulturbetriebe von der Nachfrage abzuschirmen hat fatale Konsequenzen für ihre Innovationsfähigkeit … Kultureinrichtungen, die kein Bild von ihrer eigenen Zukunft haben, werden neuen Situationen immer mit Mitteln der Vergangenheit zu begegnen suchen.“

All diese Thesen der Autoren, für die nur der Erhalt des nationalen Gedächtnisses mit Staatsgeld heilig ist, schmecken freilich den Tonangebenden in der deutschen Kulturszene nicht, hängen sie doch genau an diesem Tropf, der jetzt kritisiert wird. Doch Pius Knüsel nennt im Gespräch mit der PAZ auch Lichtblicke. Zwar hätten er und seine Kollegen bisher noch keinen Auftrag von der Politik erhalten, ein konkretes Reformprojekt zu erarbeiten, so der im Schweizer Kulturmanagement Engagierte, doch immerhin sei man von verschiedenen Parteien eingeladen worden, die Thesen zu präsentieren. Außerdem habe der Kulturrat vorgeschlagen, den Begriff „Kulturinfarkt“ zum Unwort des Jahres zu küren, was zeigt, dass man zumindest prägend auf die kulturpolitische Diskussion gewirkt habe.         Rebecca Bellano


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren