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02.06.12 / In Ostpreußen wurde er zum Tierfilmer / Wie 1937 zum Schlüsseljahr der gesamten späteren Entwicklung Heinz Sielmanns wurde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-12 vom 02. Juni 2012

In Ostpreußen wurde er zum Tierfilmer
Wie 1937 zum Schlüsseljahr der gesamten späteren Entwicklung Heinz Sielmanns wurde

Im Jahre 1937 hielt Heinz Sielmann seine ersten öffentlichen Vorträge, in Rossitten und Königsberg, und veröffentlichte seinen ersten Beitrag „Belauschte Brutvögel“ in der „Ostpreußischen Sonntagspost“ (12. Dezember). In den Sommermonaten 1937 unterstützte er die Wissenschaftler der Vogelwarte bei ihrer Arbeit und lernte den Mann kennen, der ihm die Richtung für sein gesamtes späteres Leben wies: den Tierfilmer Horst Siewert.

Horst Siewert, Leiter der „Forschungsstätte Deutsches Wild“ in Joachimsthal in der Schorfheide bei Berlin, kam allein 1937 siebenmal nach Ostpreußen, um das Leben der Elche im Jahresverlauf im Film festzuhalten. Die größte Hirschart der Welt kam im Deutschen Reich ausschließlich in Ostpreußen – im Bereich des Memeldeltas auf der Ostseite des Kurischen Haffs und auf der Kurischen Nehrung – vor. Als Siewert auf der Nehrung filmte und, wie auch Sielmann, in der Beobachtungsstation „Ulmenhorst“ der Vogelwarte übernachtete, hatten die beiden einige Nächte lang Zeit und Gelegenheit, sich kennenzulernen und auszutauschen.

Nach dieser einzigen Begegnung mit Siewert stand es für den zwei Jahrzehnte zuvor, am 2. Juni 1917, im heute zu Mönchengladbach gehörenden Rheydt geborenen Preußen fest: „Ich werde Tierfilmer!“ Nun musste nur noch das Abitur bestanden werden, dann würde seinem weiteren Weg nichts mehr im Wege stehen, meinte er. Die Reifeprüfung bestand er im folgenden Frühjahr. Seine Eltern schenkten ihm eine erste 16-Millimeter-Filmkamera, eine Ciné Kodak Spezial, und unverzüglich begann er, das Verhalten der Wiesenvögel in der Pregelniederung mit bewegten Bildern zu dokumentieren. Hier entstand sein erster Film, „Vögel über Haff und Wiesen“, den er im Februar 1939 in der Königsberger Albertus-Universität vorführte. Leider wurde dieses Erstlingswerk nicht kopiert und ging im Zweiten Weltkrieg verloren.

Der Zweite Weltkrieg ließ Sielmanns Vorstellungen von seiner Zukunft vorerst Makulatur werden. Statt ein Studium zu beginnen, wurde er zunächst einmal zur Wehrmacht eingezogen. Dort bildete man ihn zum Funker und später zum Funklehrer aus. In dieser Funktion konnte er allerdings 1941/42, gewissermaßen nebenher, an der neu geschaffenen „Reichsuniversität Warthegau“ vier Semester Biologie studieren.

1943 wurde zu einem weiteren Schicksalsjahr für Sielmann. Seine Erlebnisse mit den Vögeln in den Pregelwiesen hatte er zu einem gut illustrierten, seinem ersten Buch zusammengestellt, das nach Jahren des Wartens endlich bei Gräfe und Unzer in Königsberg erschien. Es erhielt denselben Titel wie sein Film: „Vögel über Haff und Wiesen“. Doch brauchte die Wehrmacht immer mehr kämpfende Soldaten und ersetzte die Funklehrer durch weibliches Personal. Sein Marschbefehl an die Ostfront war bereits formuliert, als er von Horst Siewerts Tod erfuhr. Siewert war mit dem Auftrag ins besetzte Kreta geschickt worden, dort einen Film über Landschaft, Volksleben und Tierwelt der großen Insel zu drehen. Doch erlitt er am 20. Juni 1943 beim Aufstieg in den Bergen einen Herzinfarkt und stürzte mit tödlicher Folge ab. Nun wurde Sielmann gefragt, ob er dessen gerade begonnenes Filmwerk fortsetzen wolle. Natürlich sagte er sofort zu und hielt sich bereit. Doch erst nach einer ganzen Reihe anderer militärischer Verwendungen konnte er im April 1944 nach Kreta reisen und das Filmprojekt fortsetzen. Hier erlebte er das Kriegs­ende am 8. Mai 1945. Bis zum letzten Tag hatte er filmen können. Auch dieses Filmmaterial gilt heute als verschollen.

Nach britischer Kriegsgefangenschaft fasste Sielmann beruflich Fuß in Hamburg, drehte seinen ersten Kinofilm und heiratete am 22. Dezember 1952 Inge Witt. Das Ehepaar ging nach München, wo Sielmanns einzigartige Karriere im Wirtschaftswunderland begann. Sielmann hat sein Studium nie abgeschlossen, hatte aber stets ein gutes Gespür für neue Ent- wicklungen und lohnenswerte Herausforderungen. Die deutsch-deutsche Grenze hatte für ihn nur geringe Bedeutung. Er konnte auch in der DDR drehen und wurde hier wie im Westen von den Zuschauern gern gesehen. 1960 wurde er sogar mit dem Filmpreis der Deutschen Demokratischen Republik ausgezeichnet. Doch seine Heimat Ostpreußen sah er erst nach der politischen „Wende“ wieder. Dort drehte er auch auf der Kurischen Nehrung für RTL den Beitrag „Europas Küsten – Brücken des Vogelzugs“, der am 9. März 1992 ausgestrahlt wurde.

Das Wiedersehen mit Rossitten, wo die Vogelzugforschung bereits 1956 in einem Außeninstitut der Universität Leningrad wieder aufgenommen worden war, war für Sielmann ein besonders bewegender Moment. Die blühende, hervorragend funktionierende Vogelwarte seiner Erinnerung kontrastierte stark mit der nun von ihm vorgefundenen Einrichtung, die nach dem Zerfall der Sowjetunion ums Überleben kämpfte. Dort war große Hilfe, ein starkes finanzielles Engagement notwendig, und Sielmann war bereit. Als die Vogelwarte Rossitten 2001 ihr 100-jähriges Bestehen feierte, war Sielmann als Ehrengast eingeladen. Ohne seine Unterstützung gäbe es das Institut nicht mehr.

Auf Gut Herbigshagen am Rande von Duderstadt, dem operativen Zentrum der 1994 vom Ehepaar Sielmann gegründeten Heinz Sielmann Stiftung, wird an seinen Namensgeber und dessen Lebenswerk erinnert. Dort wird gezeigt, welche Bedeutung Ostpreußen für seine Karriere hatte. Die Stiftung hat zur Aufgabe, Naturräume und die in ihnen lebenden Tiere und Pflanzen zu schützen, Kinder und Jugendliche an die Natur heranzuführen sowie ein Archiv für Natur- und Tierfilme aufzubauen. Fast alle diese Projekte werden in der Bundesrepublik durchgeführt. Besonders in den neuen Bundesländern erwirbt die Stiftung Lebensräume, um sie langfristig zu sichern. Zu den ganz wenigen Ausnahmen außerhalb der Bundesrepublik gehört das heute als Exklave zur Russischen Föderation gehörende Rossitten. Dort erhält die Stiftung den Betrieb der Vogelwarte aufrecht. Auch dadurch bleibt Heinz Sielmann, der am 6. Oktober 2006 in München starb, über seinen Tod hinaus seiner ostpreußischen Heimat verbunden.  Christoph Hinkelmann


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