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09.06.12 / Stalins Köpfung der Roten Armee beginnt / Vor 75 Jahren ließ der rote Diktator den »roten Napoleon« Marschall Michail Tuchatschewskij hinrichten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-12 vom 09. Juni 2012

Stalins Köpfung der Roten Armee beginnt
Vor 75 Jahren ließ der rote Diktator den »roten Napoleon« Marschall Michail Tuchatschewskij hinrichten

Michail N. Tuchatschewskij, Jahrgang 1893, war Spross einer altrussischen Adelsfamilie und Josef Stalins jüngster Marschall, gebildeter Intellektueller und blutiger Henker, der antikommunistische Aufständische auch mit Giftgas bekämpfte, begnadeter Violinist und gnadenloser Menschenschinder von Soldaten, Feldherr und Frauenheld, Freund Dmitrij Schostakowitschs und Opfer Stalins, der ihn vor 75 Jahren erschießen ließ.

Ohne Tuchatschewskij wären Lenins Bolschewiken nicht weit gekommen. Der frühere zaristische Gardeoffizier fand bald zu ihnen, denn „Lenin macht Russland zum starken Land“. Leo Trotzkij, Begründer der Roten Armee, war sein großer Förderer. Im Mai 1918 war er Befehlshaber der 1. Armee, mit ihm startete die „Mobilisierung“ von Militärs des Zaren fürs neue Regime, „dessen Truppen benötigen erfahrene Führer, mir sind Armeen anvertraut, unter deren rote Banner ihr noch heute eilen sollt. Wer sich weigert, kommt vor ein Standgericht.“ Das wirkte, und im Bürgerkrieg schickte Lenin Tuchatschewskij überall hin, wo massiver militärischer Einsatz nötig war, gegen meuternde Soldaten in Kronstadt, gegen aufständische Bauern in der Region Tambow, gegen „weiße“ Feinde der Roten. „Tuchatschewskij kennt keine Niederlagen“, sagte man von ihm, was nicht zutraf: Den Krieg gegen Polen 1920/21 verlor er. Dieses geschah infolge „schwerer strategischer Fehler des Genossen Stalin“ – wie er in späteren Vorträgen rügte, was Stalin ihm, dem Günstling seines Erzfeindes Trotzkij, nie verzieh.

Dabei entsprach der Stalinismus Tuchatschewskijs „Patriotismus“: „Russland braucht kriegerische Kraft, tollkühne Listigkeit und den barbarischen Atem Peters des Großen. Uns steht Diktatur nun einmal am besten.“ Am liebsten hätte er engste Kooperation mit Deutschland gesehen, wofür es seit dem Vertrag von Rapallo (1922) beste Ansätze gab. Die Deutschen kauften und testeten in Russland Waffen, die sie laut Versailler Vertrag nicht haben durften. Legendär war das „Lehr- und Erprobungszentrum“, das von 1923 bis 1933 in Lipezk, 400 Kilometer südlich Moskaus, betrieben wurde. Ähnliche Trainingsstätten unterhielt die Reichswehr unter anderem in Saratow und Kasan. Fast ein Drittel des deutschen Wehretats wurden für Waffenkäufe von den Russen ausgegeben.

Das wusste niemand besser als Tuchatschewskij, der die Deutschen gut kannte, seit er von Februar 1915 bis September 1917 deren Kriegsgefangener gewesen war. Als Vize-Verteidigungsminister und Chefplaner der Armeereform war er wieder in regelmäßigem Kontakt mit Deutschen. So leitete er die Sowjet-Delegation, die im Januar 1936 am Begräbnis des britischen Königs George V. teilnahm und bei Hin- wie Rückreise in Berlin Station machte.

Bereits sechs Jahre vor seinem gewaltsamen Tod gestand er alten Freunden, er habe gegen Stalin „verloren“. Stalin, dieser „chosjain“ (Hausherr) behandelte seine Generäle wie „cholui“ (Lakaien). Tuchatschewskij und seine Kollegen hatten oft Grund zur Klage über Stalin und seinen Günstling, den „inkompetenten“ Verteidigungsminister Kliment Woroschilow. Im Juli 1936 schickten sie Offiziere und Waffen ins bürgerkriegerische Spanien, was Tuchatschewskij und seine Kollegen als „Abenteuer“ verurteilten.

Spätestens 1934 müssen die Offiziere eine Verschwörung zum Sturz Stalins eingegangen sein. Stalin hatte Sergej Kirow, Parteichef von Leningrad, ermorden lassen, weil er dessen Popularität fürchtete. Tuchatschewskij, seit 1935 einer von fünf Marschällen der Roten Armee, war noch populärer, dabei kultivierter und selbstbewusster als Kirow. Er war am meisten gefährdet: Im Frühjahr 1937 durfte er nicht nach London zur Krönung Georges VI. reisen, am 11. Mai wurde er als Vize-Verteidigungsminister abgelöst und in die Provinz verbannt. Bereits am 24. Mai war er wieder in Moskau – im KGB-Kerker Lubjanka.

Details breitet Aleksej Volin in seinem dreistündigen Film aus dem Jahre 2010 „Tuchatschewskij – Verschwörung des Marschalls“ aus: Es gab die Verschwörung Tuchatschewskijs und anderer, es war eine „Verschwörung gegen Stalin allein, nicht gegen die UdSSR, nicht zugunsten Deutschlands“, auch wenn viele heutige „Stalinisten“ das bestreiten wollen. Die Verschwörer gingen sehr leichtfertig zu Werke, ihr Vorhaben war weithin bekannt. In Berlin sammelte Reinhard Heydrichs Reichssicherheitshauptamt alle Indizien und Belege in jener legendären „roten Mappe“, die auf Umwegen über Paris und Prag von Präsident Edvard Benesch an Stalin gegeben wurde. Absicht der Deutschen war, den „roten“ Militär Tuchatschewskij zu diskreditieren, unter dem die Rote Armee gerade eine moderne und ernstzunehmende Armee wurde. Der Tscheche fürchtete ein Zusammenspiel der Moskauer Verschwörer mit Berliner Nationalsozialisten, das ein Ende der Tschechoslowakei bedeutet hätte.

Tuchatschewskij war nicht der einzige. Den ganzen Mai über wurden höchste Militärs verhaftet und verhört. Von ihnen wählte man ihn und sieben weitere als Todeskandidaten aus, sie mussten gestehen, sich unter anderem der Spionage, der Vorbereitung von Terrorakten und des Landesverrats schuldig gemacht zu haben. Ein Recht auf Verteidigung und Berufung wurde ihnen verweigert. Am 11. Juni 1937 wurde die Verhandlung eiligst durchgezogen, um 23.35 Uhr fiel das achtfache Todesurteil, das umgehend vollstreckt wurde – so dass keiner weiß, ob Tuchatschewskij vor oder nach Mitternacht den Tod fand.

Tuchatschewskij hat sich nur gegen den Vorwurf der „Spionage“ (für Deutschland) gewehrt. Alles andere gestand er am 26. Mai. Hierzu hatte man seine damals 14 Jahre alte Tochter Swetlana herbeigeschafft und ihm gedroht, sie vor seinen Augen zu vergewaltigen.

Erst zwei Jahrzehnte nach seinem gewaltsamen und vier Jahre nach Stalins natürlichem Tod wurde Tuchatschewskijs Rehabilitierung eingeleitet, wobei Gerichtsmediziner auf den Prozessdokumenten Blutspuren des Opfers entdeckten. Wie er starben 35000 Offiziere, was die anfänglichen Niederlagen der Roten Armee gegen die deutsche Wehrmacht ein Stück weit erklärt. Wolf Oschlies


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