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16.06.12 / Von der SED vertrieben / Die »Aktion Ungeziefer« brachte 1952 Tausende Anwohner des Grenzgebietes um ihre Heimat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-12 vom 16. Juni 2012

Von der SED vertrieben
Die »Aktion Ungeziefer« brachte 1952 Tausende Anwohner des Grenzgebietes um ihre Heimat

Zwischen dem 27. Mai und dem 6. Juni 1952 zwang die DDR gut 12000 Menschen, das innerdeutsche Grenzgebiet für immer zu verlassen. In der „Aktion Ungeziefer“, auch „Aktion Grenze“, verschleppte das SED-Regime zu Gegnern erklärte Bürger und transportierte sie über Nacht in Viehwaggons mit unbekanntem Ziel ab. Die Folgen der Vertreibungen und Enteignungen wirken bis heute nach.

Im Mai 1952 riegelte die DDR einen rund fünf Kilometer breiten Streifen an der innerdeutschen Grenze ab. Das Gebiet war ab sofort Sicherheitszone. Rund 3000 Quadratkilometer im Herzen Deutschlands waren so binnen Tagen Sperrgebiet – fast drei Prozent der DDR. Seit Mai mussten alle Bewohner dieser Zone Passierscheine führen und das Betreten wie Verlassen des Gebiets schriftlich melden. Versammlungen waren nur noch nach Genehmigung und bis 22 Uhr erlaubt. Wenige Tage später begann das Ministerium für Staatssicherheit unter dem Tarnnamen „Aktion Ungeziefer“ ohne Vorwarnung mit der Zwangsaussiedlung Tausender. Ost-Berlin zwang alle sogenannten „antidemokratischen Elemente“ binnen 48 Stunden das Gebiet zu verlassen. Per Katalog legte das Regime fest, dass jeder „Angehörige der SS, aktive Nazi, Offiziere, reaktionäre Umsiedler, reaktionäre Großbauern, alle Vorbestraften“ zu verschleppen waren sowie „alle deklassierten Elemente, alle belasteten Elemente, alle Ausländer, Staatenlose, aus der West-Zone Zugezogene, Leute mit Westverbindungen“. Tatsächlich vertrieb die Diktatur vor allem Menschen mit Besitz: Bauern, Grundeigner, aber auch Gastwirte und Ladenbesitzer zählen zu den Meistvertriebenen. Das weisen die offiziellen Namenslisten aus. Mit diesen gingen Polizei und Stasi durch die Dörfer.

Das Vorgehen war generalstabsmäßig geplant. Vielfach stellten Bürger sich dem Zwang entgegen, so dass die Umsiedlung oft nur mit Verstärkungskräften um Tage verzögert stattfinden konnte. In manchen Orten hatte rund ein Drittel der Bevölkerung zu gehen. Andere Dörfer sind seither ganz entvölkert. Die Häuser wurden geschleift.

60 Jahre danach sind die Spuren der bis 1988 betriebenen gewaltsamen Umsiedlung überall im einstigen Grenzgebiet gegenwärtig. Heute erinnern meist privat errichtete, lokale Gedenksteine daran. Über 30 Dörfer und unzählige Höfe wurden vollständig zerstört, nur Wege erinnern mitunter noch an sie. Allein in Nordwestmeck-lenburg sind heute 13 Wüstungen anzutreffen. Wut und Verstörung angesichts staatlicher Willkür wirken bis heute nach. Unter Polizeiaufsicht mit unbestimmtem Ziel verschleppt, erhielten die Menschen auf den Listen meist minderwertige Unterkünfte, deren Besitzer genauso unvorbereitet waren wie sie. Viele der Verschleppten zogen nach Westdeutschland weiter. Trotz unterstützender Zahlungen im Rahmen des dortigen Lastenausgleichs mussten sie beruflich von vorne beginnen. Ausbildungswege blieben oft so verstellt wie die Rück-kehr. Mit dem Ende der DDR kam neue Hoffnung auf. Manfred Sippel (72), heute Bürgermeister von Lindewerra im thüringischen Eichsfeld, musste das Dorf 1952 verlassen. Jahrelang sah er vom Westen aus sein Vaterhaus verfallen. Als er nach 1989 dessen Rückübertragung beantragte, verlangte die Bundesrepublik die Rückzahlung des Lastenausgleichs nebst Zinsen. Zumindest letzteres konnte Sippel verhindern. Anderen blieb nichts, wohin sie hätten zurückkehren können.

Viele Betroffene unterlagen zudem im juristischen Tauziehen um Wiedergutmachung. Als Opfer nichtstrafrechtlicher Verfolgung haben es die Zwangsaussiedler schwerer als politische Häftlinge, eine Entschädigung einzufordern. Das sogenannte 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz baut für Anspruchsteller hohe Anforderungshindernisse auf. Aus gesundheitlichen Schäden abgeleitete Ansprüche begründen zudem praktisch nie Entschädigung. Bevor gar Alteigentum zurückübertragen wird, ist von den Enteigneten in der Regel die Entschädigung zurückzuzahlen. Da die DDR nie entschädigte, handelt es sich hierbei um bundesdeutsche Ausgleichszahlungen. Thüringen beispielsweise zahlte den 1952 Verschleppten von 1997 bis 2000 einmalig je 4000 D-Mark. Aber oft kann Grundeigentum nicht zurückgegeben werden, so dass nach formaler Anrechnung die Entschädigung auf „Null“ festgelegt wird. Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof gegen diese deutsche Rechtspraxis bleiben erfolglos. Auch eine zentrale Gedenkstätte bleibt die Politik den Betroffenen schuldig. In Sachsen-Anhalt soll zumindest bis November eine großflächige Kunstinstallation „Aktion Ungeziefer“ an die vernichteten Dörfer erinnern, und zwar als „Apotheke gegen Nostalgie“, so Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). SV


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