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16.06.12 / Nato: Schwächelndes Bündnis

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-12 vom 16. Juni 2012

Gastkommentar
Nato: Schwächelndes Bündnis
von Klaus Rose

Je nach persönlicher oder redaktioneller Einstellung haben die Kommentatoren den zurückliegenden Nato-Gipfel als wertvoll oder als irritierend bis kraftlos beschrieben. Liegt auch hier die Wahrheit in der Mitte? Dass das Gipfeltreffen diesmal in den USA und dort in Chicago stattfand, war von vorneherein mehr eine Verbeugung vor dem wahlkämpfenden US-Präsidenten Barack Obama als eine richtungweisende Veranstaltung. Außerdem kam mit François Hollande wieder ein neuer Präsident dazu – und der hatte auch gerade einen Wahlkampf hinter sich. Manche der Handlungsweisen waren also nicht rational genug. Trotzdem stellt sich die Frage: Hat das Nato-Bündnis noch genug Kraft zu souveränen Entscheidungen?

Beim Blick auf den Nato-Gipfel in Chicago kann man unschwer feststellen, dass er nichts Spektakuläres erbrachte. Das war in Bukarest oder Lissabon noch anders. Doch auf der Tagesordnung für Chicago stand bloß der schon vorhandene Beschluss zum Datum des Afghanistan-Abzugs beziehungsweise zur Installation der neuen Raketenabwehr. Dass die Nato an Geld- und Material-Mangel leidet, ist auch nichts Neues. So suchte und fand man andere Schlagzeilen. Sie wurden durch den französischen Präsidenten verursacht. Hollande löste nämlich verbal sein Wahlversprechen ein, dass er sofort die eigenen Truppen aus Afghanistan heimholen will. Er gibt damit das Bündnis der Lächerlichkeit preis, weil er sich an die Spitze der „Flucht aus Afghanistan“-Bewegung stellt und den Linken in allen Nato-Ländern einen Motivationsschub zu Protesten gegen die Präsenz der Nato beziehungsweise der USA am Hindukusch verleiht. Geht es bald auch wieder nicht mehr nur um Afghanistan, sondern um den Bestand der Nato? Ist jene „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA, von der einst Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach, obsolet geworden? Noch ist es nicht so weit. Man muss dem neuen französischen Präsidenten zubilligen, dass er in einer einzelnen Sachfrage dezidiert auftritt. Freunde machte er sich damit nicht im Bündnis. Doch will er überhaupt Freunde in der Nato?

Es ist noch nicht lange her, dass Frankreich wieder in die Nato-Organisation zurückkehrte. Früher, zu Zeiten von Charles de Gaulle und seiner „Force de frappe“, stellte Paris die Nato an die Spitze der Gegner der eigenen „großen Nation“. Man wollte selbstständig sein, auch als Atommacht, die fleißig auf pazifischen Inseln die Umwelt zerstörte. So trat man schließlich 1966 militärisch aus der Nato aus, nur politisch verblieb man in ihr. Mitte der 1990er Jahre bot Paris aus taktischen Gründen dem wiedervereinigten Deutschland die Gemeinsamkeit unter dem französischen Nuklearschirm an. Der damalige Vorsitzende des französischen Verteidigungsausschusses suchte eigens seinen deutschen Kollegen auf und warb für die neue Umarmung. Diese hatte die Nato aber gerade noch verhindern können. Erst der neue Präsident Nicolas Sarkozy gab sich wieder Nato-freundlich. Er verkündete 2009 den vollen Wiedereinstieg in das Bündnis. Das Parlament stimmte ihm zu. Aber änderten sich die Zeiten inzwischen und gibt es wieder mehr Nato-Skepsis? Jedenfalls hat die Nato durch Hollande schon mehr Gegenwind als Unterstützung gefunden. Die Zukunft wird zeigen, wie stark sich die neue Souveränität Frankreichs auf die Souveränität der Nato-Entscheidungen auswirkt.

Es gibt noch eine zweite Flanke, die zunehmend für die Nato ein Problem wird. Muss sie sich schon durch Frankreich getrieben fühlen, so hat ihre neuerliche Absichtserklärung zur Raketenstationierung auch wieder den Gegensatz zu Russland deutlich gemacht. Ähnlich wie Afghanistan ist dieses Thema außerdem den „Linken“ in Europa hochwillkommen, um zu Protesten aufzurufen und die jeweiligen Regierungen unter Druck zu setzen. Wie verhält sich Hollande endgültig bei dieser Frage? Strebt er auch dabei eine neue Rolle an? Deutschland steht offiziell zum Nato-Kurs. Ein gutes Verhältnis zu Russland ist aber nach wie vor politische Doktrin. Es waren ja die „Männerfreundschaften“ zwischen Kohl und Gorbatschow beziehungsweise Jelzin, die ab 1990 ein freundliches Klima zwischen dem „Westen“ und besonders zwischen Deutschland und der Russischen Föderation, dem „neuen Russland“, erzeugten. Man spürte es damals in Bonn auf vielen Ebenen. Denn auch zahlreiche russische Parlamentarier suchten den Kontakt zu ihren deutschen Kollegen. So bot beispielsweise der Verteidigungsausschuss seine Unterstützung demokratischer Strukturen im Umgang mit den russischen Streitkräften an. Es kamen nacheinander russische Sicherheitspolitiker in den „Langen Eugen“, auch ein Gegenbesuch in Moskau gab neue Hoffnungen. Sergej Juschenkow hatte als russischer Duma-Ausschuss-Vorsitzender für Verteidigung keine Gefahr für sein Land in einer Nato-Erweiterung gesehen, wohl aber Struktur-Veränderungen in der Nato angemahnt. Als sich die Fronten wieder verhärtet hatten, traf es Juschenkow brutal: Als Vorsitzender der Partei „Liberales Russland“ und als Gegner von Putin und dessen Tschetschenienkrieg wurde er 2003 vor seinem Haus erschossen.

Seit Jahren schon schlägt Moskau wieder stärkere Anti-Töne an. Das gilt auch gegenüber Deutschland, obwohl die neue „Männerfreundschaft“ zwischen Wladimir Putin und Gerhard Schröder zunächst Chancen eröffnet hatte. Doch das Gas-Geschäft ist das eine, der Atom-Abwehrschild das andere. Die Entwicklung hin zu den erneuten Spannungen zwischen Washington/Nato und Russland hatte schon 2001 begonnen. Da hatten sich die USA nach dem Anschlag in New York auf eine neue Strategie festgelegt. Der 1972 zwischen Richard Nixon und Leonid Breschnew abgeschlossene Vertrag über die Begrenzung der Raketenabwehrsysteme wurde einseitig aufgekündigt. 30 Jahre später, so glaubte George W. Bush, habe sich die Zeit so verändert, dass neue Herausforderungen neue Antworten brauchten. So wurde das Projekt NMD (National Missile Defense) zum erneuten Zankapfel mit Mos-kau, obwohl die Nato seit Jahren betont, dass ihre Raketenabwehr nicht gegen Russland gerichtet sei.

Russland betrachtet seither die USA wieder als Haupt-Provokateur. Das Nato-Angebot einer Zusammenarbeit, etwa durch Austausch von Informationen und Daten über NMD, wurde als „reine Show“ gewertet. Denn stünde das System, könnte es auch jederzeit gegen Russland missbraucht werden. Besser, so heißt es aus Moskau, man entwickelt wieder eigene offensive Nuklearflugkörper. Man wolle sich ebenso wenig wie die USA in der militärischen Freiheit einschränken lassen, sondern souverän entscheiden. Der deutsche Außenminister betont immer wieder, dass es in Europa keine Sicherheit gegen Russland gebe, sondern nur mit Russland. Doch darf Mos-kau die Souveränität der Nato und ihrer Mitglieder einschränken? Hat es überhaupt das Potenzial dazu? Mit seinen militärischen Fähigkeiten hinkt Moskau einige Jahre hinterher. Auch hat es vor kurzem erst Truppen aus dem Westteil des Landes in den Osten verlegt. Das Gas-Geschäft wirft nicht so viel Gewinn ab, dass man militärisch aus dem Vollen schöpfen könnte. Moskau kann durch Militärparaden Show machen. Doch realiter ist das Bedrohungspotenzial eher beschränkt. Rettet dieser Fakt wieder einmal die Souveränität der Nato? Jedenfalls leben Totgesagte bekanntlich länger.

 

Der CSU-Politiker Dr. Klaus Rose, geboren 1941, gehörte dem Bayerischen Landtag und von 1977 bis 2005 dem Bundestag an. In den Jahren 1997/98 war er Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium.


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