18.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
16.06.12 / Die Alternative zum Drei-Kaiser-Bündnis / Vor 125 Jahren versuchte Bismarck mit dem Rückversicherungsvertrag, Deutschland den Zweifrontenkrieg zu ersparen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-12 vom 16. Juni 2012

Die Alternative zum Drei-Kaiser-Bündnis
Vor 125 Jahren versuchte Bismarck mit dem Rückversicherungsvertrag, Deutschland den Zweifrontenkrieg zu ersparen

Am 18. Juni 1887 unterzeichneten der deutsche Reichskanzler und der russische Außenminister den Rückversicherungsvertrag. Er sollte verhindern, was ein gutes Vierteljahrhundert später Realität wurde: dass Deutsche und Russen aufeinander schießen.

„Versuche, solange zu dreien zu sein, als die Welt durch das labile Gleichgewicht von fünf Großmächten regiert wird.“ Dieser Maxime versuchte Otto von Bismarck als Reichskanzler zu folgen. Von Frankreich nahm er an, dass es als möglicher Verbündeter ausfalle, da es nach dem verlorenen Deutsch-Französischen Krieg und der gegen seinen Willen realisierten deutschen Einigung auf Revanche sinne. Und Großbritannien betrieb eine Politik der „Splendid isolation“ (wunderbare Isolation), glaubte sich aufgrund seiner Insellage nicht an kontinentale Bündnispartner binden zu müssen. So blieben nur die beiden (anderen) Ostmächte als Bündnispartner. Mit ihnen war Preußen bereits nach der Herausforderung durch Französische Revolution und Napoleon in der Heiligen Allianz verbündet gewesen.

Kaum dass das Deutsche Reich 1871 gegründet war, brachte Bismarck deshalb 1873 das Drei-Kaiser-Abkommen mit Österreich-Ungarn und Russland zustande. Die Achillesverse bildete dabei der Balkan. Bismarck war zwar der Ansicht, der Balkan sei „nicht die Knochen eines einzigen pommerschen Grenadiers wert“, aber sowohl das Zaren- als auch das Habsburgerreich betrachteten ihn als ihre Interessensphäre. So zerbrach das Bündnis an der Orientkrise. Bismarck gelang es 1881, die drei Mächte im Drei-Kaiser-Bündnis wieder zusammenzuschließen, und 1884, noch einmal eine Verlängerung zu erreichen. Aber als 1887 die zweite Verlängerung anstand, war Schluss. Das Bündnis zerbrach an der Bulgarischen Krise.

Da die Vorstellungen Österreich-Ungarns und Russlands von der Zukunft der Balkanhalbinsel und des Osmanischen Reiches zu widersprüchlich waren, als das eine Fortsetzung der Dreierkoalition möglich gewesen wäre, andererseits aber beide Partner vergleichsweise unbelastete Beziehungen zum Deutschen Reich hatten, bot sich für Bismarck eine Ersetzung des Dreierbündnisses durch bilaterale Abkommen an. Mit Österreich war das Reich bereits seit 1879 durch den Zweibund verbunden und seit 1882 befand man sich gemeinsam zusätzlich mit Italien im Dreibund. Zu Russland hingegen mussten erst noch Vertragsbande geknüpft werden.

Bismarck litt zwar unter dem „Alptraum der Koalitionen“ (cauchemar des coalitions), aber es hatte wenigstens noch die k.u.k. Monarchie und Italien als Bündnispartner. Russland hingegen stand nach dem Ende des Drei-Kaiser-Bündnisses isoliert da. Die Doppelmonarchie, das Vereinigte Königreich und Italien waren sich grundsätzlich einig in der Bejahung des Status quo auf dem Balkan und der Verteidigung des Osmanischen Reiches gegen den russischen Imperialismus. Und die parlamentarische Dritte Republik war dem Autokraten in Sankt Petersburg suspekt.

Aus diesem Grunde kam die russische auf die deutsche Seite mit dem Vorschlag eines bilateralen Abkommens zu. Gerne nutzte Bismarck die ihm dargebotene Chance, einem Zweifrontenkrieg zu entgehen, und am 18. Juni 1887 unterzeichnete er mit Nikolai Karlowitsch de Giers den Rückversicherungsvertrag. Analog zum gewesenen trilateralen Drei-Kaiser-Bündnis waren auch Kern dieses bilateralen Abkommens Neutralitätsverpflichtungen. Zu jeweils wohlwollender Neutralität verpflichtete sich Russland im Falle eines französischen Angriffs auf Deutschland sowie Deutschland im Falle eines österreichischen Angriffs auf Russland. Vorausgesetzt, die Vertragspartner verhielten sich vertragstreu, war damit Russland vor einem Angriff seiner beiden benachbarten Großmächte geschützt und Deutschland vor einem Zweifrontenkrieg, denn aufgrund der Friedfertigkeit des Reichskanzlers Bismarck konnte ein deutsch-französischer Krieg nur aus einem französischen Angriff resultieren. Auch die Vertragsdauer war mit drei Jahren am vorausgegangenen Drei-Kaiser-Bündnis orientiert.

Weniger defensiv und auf Wahrung des Status quo orientiert als der „geheime“ Rückversicherungsvertrag war dessen „ganz geheimes“ Zusatzprotokoll. Darin verpflichtete sich das Reich nicht nur zum Beistand in der Bulgarienkrise. Vielmehr hieß es im entscheidenden Punkt 2: „In dem Falle, dass Seine Majestät der Kaiser von Russland sich in die Notwendigkeit versetzt sehen sollte, zur Wahrung der Rechte Russlands selbst die Aufgabe der Verteidigung des Zuganges zum Schwarzen Meer zu übernehmen, verpflichtet sich Deutschland, seine wohlwollende Neutralität zu gewähren und die Maßnahmen, die Seine Majestät für notwendig halten sollte, um den Schlüssel seines Reiches in der Hand zu behalten, moralisch und diplomatisch zu unterstützen.“

Hier ist Bismarck Unaufrichtigkeit vorgeworfen worden, hatte er doch im selben Jahr, in dem er den Rückversicherungsvertrag mit Russland abschloss, zwischen Großbritannien, Österreich-Ungarn und Italien die Mittelmeerentente vermittelt, deren Ziel es war, den Status quo im Mittelmeerraum im Allgemeinen und am Zu- und Ausgang des Schwarzen Meeres im Besonderen gegenüber Russland zu verteidigen.

Zu erklären ist Bismarcks nicht juristisch, aber doch moralisch nicht unproblematisches Verhalten mit seinem Ziel, den Imperialismus der Flügelmächte, sei es nun Russland oder Frankreich, von Mitteleuropa abzulenken, sowie eine politische Gesamtsituation zu schaffen, in welcher, so Bismarck selber im Kissinger Diktat, „alle Mächte außer Frankreich unser bedürfen, und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden“. Bismarck sah sich in der schwierigen Situation, genügend Unfrieden zwischen den anderen Großmächten zu stiften, dass sie sich nicht gegen Deutschland verbündeten, aber andererseits eine Eskalation zum großen Krieg zu verhindern, da er wusste, dass Mitteleuropa in einen solchen hineingezogen würde und Deutschland selbst im Falle eines Sieges davon nicht profitieren könnte, da spätestens die Krieg-in-Sicht-Krise gezeigt hatte, dass das Reich in den Grenzen von 1871 das Maximum dessen war, was das Konzert der Großmächte – heute würde man sagen die internationale Gemeinschaft – zu akzeptieren bereit war.

Im konkreten Fall der beiden Abkommen von 1887 wollte Bismarck mit dem Zusatzprotokoll nicht die Mittelmeerentente konterkarieren, sondern vielmehr stärken, denn durch die in Aussicht gestellte Unterstützung Russlands in der Meerengenfrage sollte nicht nur der russische Imperialismus an die europäische Peripherie abgelenkt werden, sondern auch Großbritannien aus Sorge um seinen Verbindungsweg nach Indien an die Seite von Deutschlands Dreibundpartnern Österreich-Ungarn und Italien genötigt werden.

Es ist bezeichnend für die deutsche Mittellage, ja für einen Deutschen deprimierend, dass ein so genialer Außenpolitiker wie Otto von Bismarck, der nach der Reichsgründung nichts anderes wollte, als seinen Landsleuten den Frieden und ihren 1871 endlich erreichten Nationalstaat zu erhalten, sich nicht anders zu helfen wusste, als zu einem derart komplizierten und labilen sowie moralisch fragwürdigen „System der Aushilfen“ zu greifen. Seinen Nachfolgern war das alles zu kompliziert und uneindeutig. Sie verzichteten 1890 auf die von den Russen erbetene Verlängerung des Rückversicherungsvertrages. 24 Jahre später wurde Bismarcks Alptraum wahr. Deutschland war statt zu dreien mit der Donaumonarchie nur zu zweien und stand im Zweifrontenkrieg außer den Franzosen im Westen auch den Russen im Osten gegenüber. Manuel Ruoff


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren