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23.06.12 / Franz Biberkopf zwischen allen Stühlen / Trotz »Berlin Alexanderplatz« wenig gelesen: Vor 55 Jahren starb Alfred Döblin, der als Jude zum Katholizismus konvertierte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-12 vom 23. Juni 2012

Franz Biberkopf zwischen allen Stühlen
Trotz »Berlin Alexanderplatz« wenig gelesen: Vor 55 Jahren starb Alfred Döblin, der als Jude zum Katholizismus konvertierte

Obwohl der Roman „Berlin Alexanderplatz“ zum Kanon der Schullektüre gehört, mehrfach verfilmt wurde und in der Theaterfassung immer wieder aufgeführt wird, erschien erst 2007 die Biografie seines Autors: Alfred Döblin gehört trotz oder gerade wegen der Popularität seines expressionistischen Frühwerks zu den wenig gelesenen Autoren, dessen Rezeption auf dieses Buch beschränkt blieb. Der dem liberalen jüdischen Bürgertum entstammende gebürtige Stettiner entkam dem Holocaust durch die Flucht nach Übersee, fristete ein kümmerliches Leben in der Emigration und wurde von seinen Schriftstellerkollegen geschnitten. Seine innere Geistesentwicklung führte in vom assimilierten Judentum weg hin zum Glauben an den, der mit Vollmacht sagen konnte „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich“.

1878 in der pommerschen Hafenmetropole als Sohn eines Schneiders geboren, ließ sich Alfred Döblin nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin als Kassenarzt für Innere- und Nervenkrankheiten nieder. Nebenher betätigte er sich als allem Neuen aufgeschlossener Schriftsteller. Doch erst der 1929 erschienene Roman „Berlin Alexanderplatz“, der im Berliner Großstadt- und Verbrechermilieu spielt und den stilistisch eine raffiniert gehandhabte Montagetechnik auszeichnet, wurde ein Erfolg, ja ein Riesenerfolg. Das Buch machte Döblin mit einem Schlag reichsweit und aufgrund seiner zahlreichen Übersetzungen auch im nicht-deutschsprachigen Ausland als ernst zu nehmenden Dichter der Moderne bekannt.

Mit Beginn der Hitlerei Anfang 1933 erfuhr auch das Leben Döblins und seiner Frau Erna einschneidende Veränderungen. Seine Zulassung als Arzt verlor er, seine Schriften wurden auf den Index verbotener Bücher gesetzt. Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar entkam Döblin der Verhaftungswelle nur knapp. Nach einer Warnung setzte sich Döblin umgehend in die Schweiz ab. Noch im selben Jahr emigrierte er nach Frankreich, wo er 1936 eingebürgert wurde.

Doch auch in Paris, wo er sich niederließ, konnte Döblin auf Dauer nicht bleiben. Als die deutsche Wehrmacht im Frühjahr 1940 Nordfrankreich besetzte, floh er in den unbesetzten Süden. Dort irrten die Eheleute von einer Stadt zur nächsten, von einem Flüchtlingslager zum anderen. Da er befürchtete, an die Deutschen ausgeliefert zu werden, floh er weiter. Über Lissabon emigrierte er ins US-amerikanische Exil. Das nackte Leben war gerettet; doch außer einer befristeten Anstellung in Hollywood fand er keine Arbeit. Döblins lebten von Arbeitslosenunterstützung und Zuwendungen.

Während seiner Odyssee durch Frankreich hatte sich bei Döblin eine Hinwendung zum christlichen Glauben angebahnt. In der Kathedrale von Mende war er von dem Anblick eines Kreuzes mit dem Korpus des leidenden, sterbenden Christus nicht losgekommen. Eine tiefe Sehnsucht nach einem Glauben-Können an Christus hatte sich seiner bemächtigt und ließ ihn nicht mehr los. Wenige Tage später nahm Döblin an einer sonntäglichen heiligen Messe im Dom teil. Und wieder wurde sein Blick von dem Gekreuzigten gebannt: „Ich betrachte das Kruzifix. Ich suche festzuhalten: ‚Herr, dein Wille geschehe.‘ Und dann denke ich darüber nach, was die Predigt gesagt hat und was die Messe verkündet: ‚Die Welt ist unglücklich und mangelhaft, durch unsere Schuld und Schwäche. Aber die Gnade, die Liebe, die Erlösung wurde in die Welt geschickt. Gott kennt unsern Zustand. Er nimmt sich unser an. Wir müssen nur kommen und wollen.‘“

Im Exil in Los Angeles konvertierte Alfred Döblin gemeinsam mit seiner Frau und dem jüngsten ihrer vier Söhne zum katholischen Christentum. Kurz nach seiner Taufe erhielt Döblin eine Kostprobe davon, was ihm als bekennender Christ künftig an Ablehnung, aber auch an Unduldsamkeit entgegenschlagen sollte. Als er sich auf einem Empfang anlässlich seines 65. Geburtstages vor seinen illustren Gästen aus der deutschen Emigrantenszene als Christ und Katholik bekannte, schlug ihm Befremden und eisiges Schweigen entgegen. Besonders schmerzte ihn, dass wenig später in einem mit „Peinlicher Vorfall“ überschriebenen Gedicht sein Freund und politischer Weggefährte Bert Brecht ihn mit Häme und beißendem Spott überzog.

Nach dem Krieg kehrte Döblin im Herbst 1945 nach Deutschland zurück. In Interviews und Vorträgen bekannte er sich zum christlichen Glauben. Von christlichem Gehalt erfüllt sind auch seine in den nächsten Jahren veröffentlichten Bücher. Da ist einmal die „Schick­salsreise. Bericht und Bekenntnis“ seiner im Exil erlebten Wandlung. Da sind die Religions­gespräche „Der unsterb­liche Mensch“ und „Der Kampf mit dem Engel“. Selbst die Romantetralogie „November 1918“, die von der verfehlten deutschen Revolution handelt, enthält Passagen, die deutlich Döblins neuen religiösen Standort erkennen lassen. Gleiches gilt für die Erzählung „Der Oberst und der Dichter“, für den Roman „Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende“ und die in der Zeit der römischen Christenverfolgungen spielende legendarische Erzählung „Die Pilgerin Aetheria“. In „Der unsterbliche Mensch“ (1946) legte er auf knapp 300 Seiten lebendig dar, wie man in der Moderne zum Glauben finden kann.

Doch seine neuen Werke verkauften sich schlecht. Döblin fühlte sich boykottiert. Auch missbehagte ihm die in seinen Augen restaurative politische und gesellschaftliche Entwicklung, die die noch junge Bundesrepublik unter Adenauer nahm. „Ich bin in diesem Lande, in dem ich und meine Eltern geboren sind, überflüssig“, schrieb er in einem Brief an Theodor Heuss. Im April 1953 zog er enttäuscht erneut nach Paris.

Zu diesem Zeitpunkt war Döblin bereits ein sehr kranker Mann. Immer häufiger und länger musste er sich in Krankenhäusern und Sanatorien aufhalten – dies indes in Deutschland. Bevor er am 26. Juni 1957 starb, war er bereits pflegebedürftig.

Obwohl mehrfach dafür vorgeschlagen, erhielt Döblin nie den Literaturnobelpreis. Günter Grass schrieb 1967 über die Rezeption Döblins: „Der progressiven Linken war er zu katholisch, den Katholiken zu anarchistisch, den Moralisten versagte er handfeste Thesen, fürs Nachtprogramm zu unelegant, war er dem Schulfunk zu vulgär. Der Wert Döblin wurde und wird nicht notiert.“ Matthias Hilbert


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